Die Wellen, die Kellen, sie schnellen nach oben, nach unten. Die Schnallen, die Quallen, sie kleben wie Pech. Was nur, wenn es anderes Wetter gibt und aus dem Neumond die Bombe fällt?
Der Aufruhr, die zerrissene Schnur, laut und heftig geht es zu mit dem Rühren und dem Führen durcheinander geht's wie eh und je. Was, wenn die Bombe platzt und aus dem Neumond die zweite Bombe fällt?
Es geht die Straße rauf und runter, Steine fliegen wie Schnuppen hin und her, Fenster scherben hoch zum dritten Stock, es steckt andres unterm weiten Rock als nur die Schenkel mit den Hüftgelenken, wo sonst alles kurz ist bis zum Denken.
Autos rasen in die Menge, Schüsse hört man auch; an den Autos keifen die Sirenen, die andern heulen später lang genug. Was soll aus dem Menschen werden, wenn die dritte Bombe aus dem Neumond fällt?
Keiner wird es sagen, was passiert, das Massaker macht die Runde, Tote gibt's zu jeder Stunde. Wenn es keiner glauben will, am Ende ist es wieder still.
Zwei ungewöhnliche junge Soldaten
Draußen war es stockfinster gegen halbneun, als das Geräusch eines Motorrades zu hören war, das mal lauter, mal leiser wurde, dann ganz stockte und wieder zu hören war. Das Geräusch wurde lauter, und ein Licht war durch das andere kleine Küchenfenster zu sehen. Das Motorrad kam auf den Hofeingang zugefahren. Eckart Dorfbrunner, der wie die andern bei den Bratkartoffeln war, verließ den Tisch, zog sich eine warme Jacke an, die neben dem Herd aufgehängt war, und ging nach draußen. Der Motor war ab- und das Licht ausgestellt. Man hörte, wie zwei Männer zu Eckart sprachen. Was sie sprachen, das hörte man in der Küche nicht. Es dauerte lange, bis Eckart mit einem verstörten Gesicht zurückkam. Er berichtete im Stehen, dass zwei Landser mit dem Motorrad gekommen seien, die sich von der Truppe in Nisky abgesetzt hatten und sich nun verstecken müssten. Sie sagten, dass sie auf der Stelle erschossen würden, wenn sie von der Feldgendarmerie aufgegriffen würden. “Was sollen wir tun?”, fragte Eckart und sagte: “Die stehen draußen, es sind zwei junge Männer. Ich habe ihnen gesagt, dass ich erst mit meiner Mutter sprechen muss.”
Es kam zum langen Schweigen. Die Bratkartoffeln auf den Tellern wurden kalt. Dann sagte Wilhelm Theisen, dass es für alle gefährlich sei, Deserteuren Unterschlupf zu gewähren. Die würden von der Truppe mit Sicherheit gesucht. Da würde auch jeder Bauernhof in der näheren Umgebung von der Gendarmerie abgeklappert werden. Marga Dorfbrunner sah mit großen Augen auf den Tisch. Sie konnte sich nicht entscheiden, weder zur Seite der Hilfe noch zur anderen Seite der Ablehnung. “Was würdest Du tun?”, fragte sie Eckhard Hieronymus. “Wenn es mein Hof wäre”, sagte er, “würde ich den beiden Männern helfen, die doch in großer Not sind.” Wilhelm Theisen warf ein, dass sie die Gründe nicht wüssten, warum sich diese Männer von der Truppe abgesetzt hätten. “Darüber muss mit ihnen gesprochen werden”, erwiderte Eckhard Hieronymus. Marga Dorfbrunner, die Frau von Haus und Hof, sagte ihrem Sohn Eckart, die beiden Männer mit dem Motorrad in den Hof zu bringen und die Hofeinfahrt zu schließen. Eckart tat, was ihm aufgetragen war. Die beiden Männer in den verdreckten Uniformen setzten sich auf die Außenbank neben dem Kücheneingang. Das Motorrad stellte Eckart im Pferdestall ab. Nachdem in der Küche fertig gegessen war, räumte Anna Friederike die Teller und Bestecke vom Tisch in die Spüle. Bäuerin Dorfbrunner stellte die Kanne mit frisch gebrühtem Pfefferminztee auf den Tisch, dazu die Tassen mit Teelöffeln und die Zuckerdose. Während sie den Tee in die Tassen goss, gab sie dem Sohn auf, die beiden Männer in die Küche zu führen. Sie traten ein. Beide waren noch jung, und beide hatten ausgezehrte Gesichter. Der Jüngere von ihnen trug einen Kopfverband. Eckart brachte zwei Stühle. Die beiden Männer setzten sich an die freien Tischseiten. Jedem von ihnen schenkte die Bäuerin eine Tasse Tee ein.
“Wo kommt ihr denn so spät noch her?”, fragte Wilhelm Theisen die beiden Männer. “Wir mussten die Dunkelheit abwarten”, sagte der Ältere: “Das Motorrad stand auf einem Platz in der Nähe des Bahnhofs in Nisky. Es war nicht abgeschlossen, und der Zündschlüssel steckte. Ich habe den Kickstarter durchgetreten, und der Motor lief. Da bin ich mit dem Motorrad abgehauen.” “Und warum bist du abgehauen?”, fragte Eckard Hieronymus. “Das ist eine lange Geschichte”, sagte der Ältere und fing an, seine Geschichte zu erzählen: “In zwei Wochen ist es ein Jahr her, dass ich mit den anderen Klassenkameraden, wir standen eben vor dem Abitur, von der NAPOLA Grimma zur SS-Panzerdivision “Großdeutschland” eingezogen wurde.
Nach kurzer Ausbildung im Schießen wurden wir an die Ostfront befördert. Es war in Lublin, wo ich einem Erschießungskommando zugeteilt wurde. Einige hundert Menschen, es waren Männer aller Altersgruppen, hoben etwa einen Kilometer abseits von der Straße nach Warschau ein Massengrab aus. Weniger als hundert Meter weiter standen hunderte von alten und jungen Frauen, die jungen mit ihren Kindern. Sie alle sollten erschossen werden, obwohl sie den gelben Stern nicht trugen. Ich fragte den Kommandeur, was das für Menschen seien, und warum sie erschossen werden sollten. Der Kommandeur war ein junger, bissiger Untersturmführer des SS-Wachbataillons. Er schrie mich an, dass ich nicht zu fragen, sondern Befehle auszuführen hätte.
Die Frauen und Mütter mit ihren Kindern schauten voller Entsetzen, was die Männer unter scharfer SS-Bewachung hackten und schaufelten. Kinder schrien aus ihrer Not von den Armen weinender Mütter. Der Untersturmführer befahl uns, die Gewehre zu entsichern und in einer Stunde Aufstellung zur Straßenseite längs des ausgehobenen Grabens zu beziehen. Ich war mir sicher, dass ich auf diese wehrlosen Menschen nicht schießen könne und nicht schießen werde.
In dieser Stunde der Vorbereitung zur Massenerschießung ging ich zum Mannschaftswagen zurück, entsicherte mein Gewehr und schoss mir in den rechten Fuß. Der Vorfall wurde dem bissigen Untersturmführer gemeldet, der herbeieilte, auf mich einschrie und mich zur Minna machte. Er versicherte mir auf der Stelle das Disziplinarverfahren. Wutschnaubend ging er zur Grabung mit den wartenden Menschen zurück. Ein Kollege entfernte mir dann den Schuh und die Socke, säuberte die Wunde und legte den Notverband an. Die Grabung dauerte länger als erwartet. Der Untersturmführer befahl das Antreten der zu Erschießenden vor dem ausgehobenen Grab und der Mordschützen hundert Meter hinter der stehenden Reihe vor dem Grab. Ich wurde Zeuge dieses furchtbaren Geschehens.
Erst wurden die Männer, dann die alten Frauen und schließlich die jungen Frauen mit ihren Kindern von hinten, von links nach rechts erschossen. Sie fielen tot oder nicht ganz tot in den Graben, der sich mit mehreren Lagen von Erschossenen füllte. Ich hörte das Wimmern der Kinder und das Stöhnen von Erwachsenen und sah, wie die Erde von Männern eines mitgeführten Gefangenenzuges über die Lagen geworfen, das Massengrab zugeschaufelt und der lockere Boden von einem Kettenfahrzeug festgedrückt wurde. Dann stieg die Mannschaft mit ihren Gewehren auf die Wagen, die sie nach Lublin zurückbringen sollte. Ihnen folgten die Fahrzeuge mit den Gefangenen unter schwerer Bewachung.”
Er trank einen Schluck Tee, setzte die Tasse mit zittriger Hand auf den Tisch und fuhr mit der Geschichte fort: “Es war dunkel, und die Wagenkolonne hatte Lublin noch nicht erreicht, als die Kolonne von Partisanen in einer engen Straßenkurve vom Hügel aus mit Maschinengewehren angefallen wurde. Es kam zum heftigen Schusswechsel, bei dem es Tote in der eigenen Mannschaft gab und drei der acht Fahrzeuge zerstört wurden. Ich nutzte die Gelegenheit und verschwand in einen nahe gelegenen Wald. Dort wartete ich, dass die restlichen Fahrzeuge mit den SS-Leuten nach Lublin weiterfuhren. Die kalte Nacht verbrachte ich im Wald, und der Fuß schmerzte. Ich wusste, dass mir in Lublin die standrechtliche Erschießung wegen Befehlsverweigerung drohte, wie sie an vielen jungen Soldaten ausgeführt wurde, weil sie keine wehrlosen Menschen, vor allem keine Mütter mit ihren Kindern erschießen konnten.
Читать дальше