Der Stiermann warf seinen mächtigen Kopf in den Nacken und stieß ein tiefes, wütendes Brüllen aus. Dann hob er die Axt und stürmte auf Sardrowain los. Die beiden Büffelmänner folgten ihm, ohne zu zögern. Den Rücken freihalten! Andrar verringerte den Abstand zu Sardrowain. Wenn sie überhaupt eine Chance hatten, dann nur gemeinsam. Der Schwertführer hielt seine Waffe mit beiden Händen. Wie stark und wie oft würde er zuschlagen müssen, um einen solchen Riesen zu töten? Wie gewaltig würde die Wucht sein, wenn er den Schlag einer Gorgoil-Axt parieren müsste?
Andrar wandte sich dem Stierköpfigen zu. Er würde sie zuerst erreichen. Aber, noch ehe seine Axt auf sie hinabfahren konnte, stoppte ein dumpfer Schlag den Angriff der Kreatur. Ein Armbrustbolzen ragte aus ihrer linken Schulter. Der Gorgoil taumelte, brüllte ungläubig. Andrar drehte sich den beiden anderen zu und sah gerade noch, wie einer von ihnen zu schwarzem Staub zerfiel. Der dritte holte mit der Axt aus.
„ Nun, Schwertführer, könnt Ihr beweisen, ob Ihr auf der Akademie auch gelernt habt zu kämpfen.“
Dieser Mistkerl! Andrar trat dem Angreifer entgegen.
Sardrowain überließ den überlebenden Büffelmann Andrar. Sollte der Grünschnabel zeigen, ob er etwas taugte. Der Stierkopf war der Anführer. Ihn zu töten war vorrangig. Er war ein mächtiger Kerl, den ein einzelner Bolzen nicht hatte umbringen können. Der Meister trug in jeder Hand eine ellengroße, doppelsehnige Armbrust. Die Waffen waren klein, aber er würde sie gegen nichts auf der Welt eintauschen wollen. Einmal gespannt, konnte jede von ihnen zweimal kurz hintereinander abgeschossen werden. Nach dem ersten Schuss schob ein Mechanismus den zweiten Bolzen an die Sehne heran und ohne Zutun war die Armbrust damit wieder geladen. Ein technisches Meisterstück, das ihn gerade deshalb so faszinierte, weil es ohne Magie auskam. Sardrowain zielte mit beiden Waffen auf den Stierkopf und schoss. Die Wucht der Bolzen riss den Gorgoil um. Mit einem dumpfen Schlag stürzte er auf den Rücken und löste sich Augenblicke später in Staub auf. Der Meister ging auf die Knie und sah sich um. Es gab keine weiteren Angreifer. Die Weibchen blieben bei ihrer Brut. Um sie würde er sich später kümmern.
Nun aber genoss er das Schauspiel, das ihm der Schwertführer und der Büffelkopf boten. Der Gorgoil hieb mit aller Macht auf Andrar ein. Der parierte, indem er die groben Schläge von sich zur Seite hin ablenkte. Das war klug. Würde er sie direkt abfangen, müsste er jedes Mal der vollen Wucht standhalten. Dann würde ihm eher früher als später die Kraft ausgehen. Aber auch so musste er sich allmählich fragen, wohin der Zweikampf führen sollte. Denn der Büffelkopf ließ dem Elvan jal’Iniai keine Gelegenheit zu einem tödlichen Konter. Diesen Kampf würde der gewinnen, der sich länger auf den Beinen halten konnte. Und Sardrowain wollte keine Wette darauf abschließen, dass das Andrar war.
Ohne die Augen abzuwenden lud und spannte der Meister seine Armbrüste wieder. Er hatte keine Eile. Noch war der Zweikampf nicht entschieden. Andrar stöhnte, als die Axt in seinen dunkelblauen Mantel fuhr und einen Teil davon abriss. Die Waffe des Gorgoils hatte ihn nur knapp verfehlt. Aber jetzt hatte sie sich nur einen Wimpernschlag lang im Stoff verfangen. Zu spät riss der Büffelkopf seine Axt wieder los, um zu einem neuen Hieb auszuholen. Andrar trieb der Kreatur sein Schwert in den Rachen. Blut spritzte ihm ins Gesicht. Die Axt fiel zu Boden. Der Gorgoil stieß ein gurgelndes Brüllen aus und ging in die Knie. Keuchend zog der Schwertführer seine Waffe zurück und stach damit seinem Gegner in die Brust. Der Büffelkopf zerfiel zu dunklem Staub.
„Das war schon gar nicht schlecht“, sagte Sardrowain in ruhigem Ton. Er meinte das ernst. Ihm entging aber auch nicht, welche Wut seine Worte bei seinem Begleiter auslöste.
„Das war ... was?“, presste Andrar hervor. „Wann wäre es Euch eigentlich genehm gewesen, mir zu helfen, wenn ich fragen darf?“
„Überhaupt nicht.“ Wieso sollte er ihn anlügen?
„Ihr hättet mich verrecken lassen? Was seid Ihr nur für ein unwürdiger, ketzerischer Meister? Ich reite lieber mit einer Rotte Gorgoils als weiter mit Euch.“
„Das ließe sich sicher arrangieren“, gab Sardrowain mit einem Lächeln zurück. „Aber nicht jetzt. Wir haben zu tun. Es sind noch Gorgoils übrig.“
„Frauen und Kinder, die sich in schäbigen, kleinen Hütten verbergen. Wollt Ihr sie wie ein ehrloser Meuchler einfach abschlachten?“
Sardrowain sah den Schwertführer ernst an.
„Habt ihr mir vorhin nicht zugehört, Andrar? Ich kenne keine Ehre. Und ich liebe es, zu töten.“
Der Schwertführer wusste, dass Gnade ein Zeichen von Schwäche war. Wenn ein Soldat Lysin’Gwendains die Waffe erhob, dann tat er das, um einen Feind zu richten - aus keinem anderen Grund. Dann tötete er einen, der sich der göttlichen Macht der Adro’wiai - mögen sie lange leben und herrschen - nicht beugte und damit den Tod verdiente. Und doch war das Blutbad, das Sardrowain in den drei Hütten angerichtet hatte, nicht recht. Der Meister hatte zuerst die Mütter erschossen, hatte ihnen Bolzen in Hals und Brust getrieben, noch ehe sie selbst zum Schlag ausholen konnten. Das Brüllen und Heulen der Gorgoil-Jungen würde Andrar niemals vergessen. Es war anklagend, voller Schmerz und flehend. Aber Erbarmen war von Sardrowain nicht zu erwarten. In seinen hellen, braunen Augen loderte der Hass, seine Mundwinkel zuckten vor Wollust, jedes Mal wenn er einem der kleinen Körper das Leben entriss. Er tat das auf eine Weise, wie es der Schwertführer niemals zuvor gesehen hatte. Er ließ die Köpfe der Gorgoil-Kinder platzen. Ein Wort des Meisters reichte dazu aus. Mit erhobener, geöffneter Hand sprach er es und löste damit eine Kraft aus, die nur Wimpernschläge später ihr vernichtendes Werk tat. Und als es endlich getan war, als sie alle - es mochten wohl 20 gewesen sein - getötet waren, ging Sardrowain erschöpft auf die Knie, strich mit der Hand durch die blutige Masse, die sich über den Boden verteilt hatte, und sah Andrar an, als habe er eben einen besonders feinen Tropfen aus den Metkellern der silbernen Stadt genossen. Das war nicht die Tat eines Soldaten gewesen, nicht der Akt eines Kriegers. Das war nichts weiter als blanke Mordlust. Wie konnten die drei Adro’wiai - mögen sie lange leben und herrschen - solche barbarischen Taten dulden?
„Die Gorgoils vermehren sich“, hatte der Meister im Ton eines Lehrers wenig später erklärt. „Das sollten sie nicht. Die Neuen Herrscher von Lysin’Gwendain hatten sie einst in der anderen Welt aus Menschlingen und Tieren geformt, um zu kämpfen und dann zu sterben. Ihre Aufgabe hatte darin bestanden, Abtrünnige unter uns zu richten. Mehr nicht. Aber die Neuen Herrscher waren so arrogant, zu glauben, dass selbst der naturgegebene Lauf der Dinge ihrer Macht unterworfen war. Das war vermessen. Denn die Gorgoils hatten nicht vor, einfach so wieder im Nichts zu verschwinden. Sie erhoben sich, fingen an zu denken, fanden heraus, dass einige wenige unter ihnen befähigt waren, ihre Art zu erhalten. Und sie wandten sich gegen jene, die sie geschaffen hatten. Sie wollten Rache an ihren Schöpfern, die sie als Monster in eine Welt aus Krieg und Blut gesetzt hatten. Und so kehrten sie nach Lysin’Gwendain zurück. Und jetzt, nach mehr als zwei Jahrtausenden, sind sie hier noch immer. Aus einem einzigen Grund.“
Trotzig und zugleich ratlos hatte der Schwertführer den Meister angesehen - außerstande, ihm zu widersprechen. Was waren das für Geschichten? Die Gorgoils kamen aus der anderen Welt, aus der Welt des Bösen. Das lernte jedes Kind. Und nun wollte ihm dieser Mistkerl weismachen, dass die Adro’wiai selbst diese Kreaturen einst erschaffen hatten, um sie gegen andere Elvan jal’Iniai zu hetzen. Für wie dumm hielt er ihn eigentlich?
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