LUNATA
Erzählungen
Erzählungen
© 1941 Hans Fallada
© Lunata Berlin 2020
Der Trauring
Die große Liebe
Gauner-Geschichten
Einbrecher träumt von der Zelle
Warum trägst du eine Nickeluhr?
Wie Herr Tiedemann einem das Mausen abgewöhnte
Der Gänsemord von Tütz
Ein Mensch auf der Flucht
Ich bekomme Arbeit
Der Pleitekomplex
Eine schlimme Nacht
Die offene Tür
Fröhlichkeit und Traurigkeit
Die Fliegenpriester
Mit Metermaß und Gießkanne
Der Bettler, der Glück bringt
Wie vor dreißig Jahren
Schuller im Glück
Gute Krüseliner Wiese rechts
Essen und Fraß
Der Ententeich
Alte Feuerstätten
1
Die Leute gehen aufs Feld zum Kartoffelaushacken. Es ist später Herbst, in der letzten Nacht hat es schon ein wenig gefroren. Nun bei Sonnenaufgang blinkt überall Frühreif. Obwohl sie frieren, gehen sie nur langsam, zuhinterst zottelt der Feldunterinspektor, die Hände tief in die Taschen gebohrt.
Verdrossen lauscht er auf das Geschnatter der Weiber, er hat in der letzten Nacht schlecht geschlafen, seine Schulden haben ihn wach gehalten. Alles Grübeln aber hat nichts geholfen: Diese kleine Summe, diese dreißig, vierzig Mark lassen sich nicht auftreiben, es findet sich nun einmal kein Weg. Wenn er Hofinspektor wäre! Man kann ganz gut einmal ein paar Zentner Roggen vom Boden verschwinden lassen, ohne daß einer etwas davon merkt. Aber so ..., verfluchtes Leben! Er gähnt, dann spuckt er aus.
Die Kolonne ist auf dem Kartoffelschlag angelangt. Das Kraut steht schwarzbraun und naß da, der Boden ist lehmig feucht. Unterinspektor Wrede teilt jedem seine Dämme zu, natürlich gibt es wieder Streit und Gezanke unter den Weibern, er kümmert sich nicht darum, er setzt sich auf die Wagendeichsel. Die erste Hacke blinkt in der Sonne, auf dem Felde wird es stiller, die Arbeit hat begonnen. Langsam kriechen die gebeugten Gestalten am Boden hin.
Wrede will rauchen, aber er merkt, daß er seinen Tabakbeutel vergessen hat. Eine dumpfe Wut regt sich in ihm gegen dieses Leben, das so trostlos einförmig ist, dem man rettungslos verfiel, eine Wut, die nach einem Ausweg sucht. Er stürzt hinter die Leute. Wo er eine liegengebliebene Kartoffel sieht, erhebt er ein großes Geschimpf, aber das hilft nichts, die Wut wächst in ihm.
Er muß zurück zum Kastenwagen, die ersten Körbe werden ausgeschüttet, er hat Marken zu verteilen. Er stellt sich auf die Deichsel und paßt auf, daß die Körbe ordentlich voll sind. Er wird der Bande schon zeigen, woher der Wind weht, keiner bekommt eine Marke, der den Korb nicht randvoll hat. Sollen die etwa vergnügt sein, wenn ihm speiübel ist? Er spuckt auf alles.
Da kommt die Uteschen. Das ist auch so ein Aas: Die denkt, weil sie jung verheiratet und hübsch ist, hat sie es nicht nötig. Ein paarmal hat er ihr heimlich Kartoffelmarken zugesteckt, aber sie soll nicht glauben, daß sie ihm deswegen auf der Nase tanzen kann. Außerdem ist sie verliebt in ihren Kerl.
Aber es läßt sich nichts sagen, der Korb ist voll. Nachdenklich sieht er den Knollen nach, die in den fast noch leeren Kasten poltern, er sieht die Frau an, die hochgereckt, die schwere Kiepe weit über dem Kopf, dasteht, und sein Auge bleibt auf der Hand haften, die, zwischen Kasten und Korbrand eingeklemmt, mit Erde beschmutzt, eine für Landarbeiterinnen zierliche Form hat.
Da blinkt zwischen den rollenden Kartoffeln etwas auf. Wrede macht eine Bewegung, will sprechen. Und steht wieder still. Die Frau hebt den leeren Korb aus dem Wagen, er gibt ihr eine Marke, sie geht.
Er steht wieder ganz still da, sein Gesicht ist seltsam heiß geworden, die Stirn zog sich zusammen – denkt er sehr über etwas nach? Plötzlich tut er einen Schrei, springt wie ein Unsinniger in den Kasten, mit beiden Füßen zwischen die Kartoffeln und brüllt: »Welches Aas schmeißt hier Steine zwischen die Kartoffeln?«
Er bückt sich, er wirft weit ins Feld hinein Knollen und Erde, seine Hände suchen fieberhaft. Die Leute lachen untereinander, halblaute Spottreden fliegen von einem zum andern: »Nun ist er ja wohl ganz mall geworden.« – »Seine Marie hat gestern Abend nicht gewollt.« – »So ein Aas, das nichts kann wie Leute schikanieren, sollte man mit der Hacke vor den Schädel hauen.«
Wrede ist wieder aus dem Kasten gestiegen. Er schreit noch einmal: »Wenn ich jemand erwische, der Steine zwischen die Kartoffeln tut, jage ich ihn vom Felde, versteht ihr das!«
Aber dies zu rufen war schon schwer. Ihm ist sehr warm, sein Herz scheint ganz voll zu sein. Er weiß gut, er muß den Vormittag weiter schimpfen, denn er darf keinen Verdacht erregen. Er muß schimpfen, obwohl er nun seine Schulden bezahlen kann.
Er kann seine Schulden bezahlen!
2
Es ist Feierabend geworden. Martha Utesch steht in der Küche und rührt ihren Schweinen warmen Schrotbrei an. Sie taucht die Arme bis zu den Ellenbogen in das warme Gemenge, um heil gebliebene Kartoffeln noch zu zerdrücken. Schmeichelnd empfindet sie die sämige Glätte des Tranks auf der Haut. Ein Gefühl von unbestimmter Leere taucht in ihr auf, das vage dämmernde Bewusstsein eines Verändertseins: Sie zieht langsam ihren rechten Arm aus dem Brei und betrachtet ihn. Völlig ist er von einer dicken Schicht weißgelben Schrots umgeben. Zögernd nimmt sie den andern Arm zur Hilfe, hebt ihn aus dem Eimer, die linke Hand streicht über die Handwurzel der rechten. Sie sieht darauf hin. Dann über den Handrücken, der sacht rosig aus dem abrinnenden Schrot auftaucht. Dann über die Fingerwurzeln ... »Es ist unmöglich«, flüstert sie. Und jetzt tut sie einen Schrei. Sie wirft beide Hände gegen den Kopf, sie sieht nichts mehr, ihr Körper beugt sich nach vorn.
Der Hobel in der Werkstatt wird mit einem Ruck still. Tischler Utesch zieht die Tür auf und fragt: »Hast du gerufen, Martha?«
Sie wendet langsam, zögernd das Gesicht gegen den Mann, sie kommt von weit her, als sie sagt: »Nein. Nichts. Das Schrot war zu heiß, ich habe mich verbrannt.«
Er steht im Türrahmen und betrachtet sie. Ein Schein der Petroleumlampe läßt das Gold in ihrem Haar aufleuchten, das zarte Rosa ihres Gesichtes vertieft sich zu Rot: »Es war nichts, Willem«, wiederholt sie, steht auf, faßt die Eimer und läuft in den Stall zu den beiden Schweinen. Sie gießt den Trank in den Trog, die Schweine schlabbern und schmatzen.
Beim Buddeln muß ich ihn verloren haben, in der Erde, denkt sie. Es hat keinen Zweck, ihn zu suchen, ich bin mit den Knien darüber weggerutscht, er liegt im Boden. Was soll ich tun? Höchstens beim Nacheggen kommt er nach oben, aber wer sieht solch kleines Ding? Was soll ich tun?
Sie faßt die Eimer, wendet sich zur Tür, stellt sie wieder hin.
Willem darf nie etwas erfahren. Er glaubte nicht, daß er in der Erde liegt. Der Schäfer in Zülkenhagen hat den Ring besprochen, da war Willem von seiner Eifersucht geheilt. »Solange du den Ring trägst, gehörst du mir. Hat ein andrer ihn, gehörst du ihm. Ziehe ihn nie, auch nur im Spaß, vom Finger.« Er glaubt daran. Es ist gut, daß ihn die Erde hat, vielleicht glaubte auch ich daran.
Ihr Gesicht ist noch vertiefter geworden.
Ich muß mir einen andern machen lassen. Es wird schwer sein. Schon mit dem Geld. Und dann, weil es kein Fabrikring ist. Bis dahin ...
Sie kommt in die Küche zurück. Nebenan stöhnt wieder der Kurzhobel. Sie greift das Beil und schlägt Kleinholz. Der Kurzhobel wird still. Wilhelm fragt: »Haust du jetzt Holz?«
»Alles ist naß«, sagt sie. »Dies Schlackerwetter.« Sie schlägt zu.
Wie ungeschickt ist Martha, denkt Utesch. So ungeschickt ist Martha doch sonst nicht. Schon sieht er eine Hand, die sich rötet, rötet. Alles ist Blut.
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