»Rührt euch, Männer.« Philipus lächelte. »Wer hat das Kriegsschiff gemeldet?«
»Ich, Herr«, sagte einer der Marineinfanteristen.
»Gut, Horio, dann geh voran.«
Der Marinesoldat legte das Brot auf seinen Teller, durchquerte den Raum und stieg die Treppe zur Aussichtsplattform hinauf.
(Simon Scarrow, »Die Legion«, Heyne 2012)
Beides, Narration und Szene, wird dem Leser – im Großen – von einem Erzähler nahegebracht. Hier im Beispiel könnte das ein auktorialer Erzähler sein, der sowohl den Schauplatz beschreibt als auch die Szene darstellt. Dieser Erzähler zeichnet für jedes einzelne Wort des Romans verantwortlich. (Haben wir es mit mehreren Erzählern zu tun, teilen sie sich diese Arbeit auf.) Am Ende bleibt kein Wort übrig, das nicht durch den Erzähler hindurchgegangen wäre: Der Erzähler ist wie eine Produktionsmaschine, der Roman ihr Endprodukt.
Übrigens ...
Auch Sachbücher haben Erzähler: Etwa dieses, wo ich (oder mein prosaisches Ich) Sie dann und wann direkt anspreche. Autor und Erzähler respektive prosaisches Ich sind einander bei Sachbüchern häufig näher als bei Romanen.
Erzählen besteht im Wesentlichen aus zwei Aspekten: Waswird erzählt und wiewird es erzählt? Zur Frage nach dem Wie gehört die Frage, werdie Geschichte erzählt. Zur Frage nach dem Wer gehört wiederum die Frage, mit welcher Stimmeder Erzähler die Geschichte erzählt.
Das Was ist die Story, die Ereignisse selbst samt Thema und aller Charaktere, das Wie ist auf der einen Seite der Plot und auf der anderen der Erzähler samt Erzählperspektive (POV).
Den Erzähler kennzeichnen – vor allem, aber nicht nur diese – drei Aspekte: Neben seiner Stimmesind das seine Persönlichkeitund der Erzähltypus(sichtbar/unsichtbar, objektiv/subjektiv, zuverlässig/unzuverlässig).
Jeder dieser Aspekte kann eine unterschiedlich große Rolle spielen, jeder beeinflusst die anderen. Das reicht vom Typus des unsichtbaren Erzählers, der jeden der Aspekte verbirgt, bis hin zu einem unzuverlässigen personalen Erzähler, der mit einer sehr eigenen Stimme spricht und täuscht, um sein Ziel zu erreichen.
Die Erzähltypen und die Persönlichkeit des Erzählers sehen wir uns weiter unten im Detail an. Mehr zur Stimme finden Sie im Buch »Die Stimme: Leser verzaubern mit den Stimmen von Autor, Erzähler und Charakter«.
Erzählen ist Teamwork. Der Erzähler braucht ein Gegenüber, das seine Worte aufnimmt und daraus eine Geschichte kreiert. Ohne einen Leser gibt es keinen Roman.In seiner reinsten Form ist dieser eine Leser, der Erstleser, der Autor selbst.
Um die Geschichte zu vollenden, wandelt der Leser das Gelesene in eine eigene Stimme in seinem Kopf um. Aus diesem Grund sind Bücher so viel persönlicher als Filme oder sogenannte Hörbücher: weil sie mehr Eigenleistung, mehr Eigenes des Lesers fordern. Der Leser erzählt sich die Geschichte selbst, ja, er muss es sogar tun.
Der Leser wird zum unverzichtbaren Mitschöpfer, zum Mitautor des Romans.
Was die Verlage Ihnen als Autor nicht verraten
Nicht Sie sind es, der das Manuskript an den Verlag verkauft, in vielen Fällen ist es nicht mal der Hammerplot Ihres Romans oder seine unvergesslichen Charaktere – das Verkaufstalent ist der von Ihnen geschaffene Erzähler. Viele Lektoren oder Agenten sind sich dessen nicht bewusst. Sie schieben die Gründe für Ge- oder Missfallen auf ihr Bauchgefühl. Tatsächlich war es der Erzähler oder seine Stimme, die in der Agentur oder im Verlag ein so warmes Gefühl auslösten.
Übrigens ...
Mit der Maxime »Show, don’t tell« (»Zeige, statt nur zu erzählen«) hat der Erzähler Ihres Romans oder eines Handlungs- oder Erzählstrangs nicht direkt zu tun. Er ist fürs Zeigen ebenso verantwortlich wie fürs Erzählen. Er kann dem Leser also sowohl etwas zeigen , etwa eine Szene oder einen Dialog, als auch etwas – im engeren Sinn – erzählen , zum Beispiel Informationen über den Schauplatz geben oder Gefühle eines Charakters beschreiben.
Bevor wir uns ansehen, was der Erzähler kann und können sollte, dürfte Ihnen seine Bedeutung für Ihren Roman deutlich geworden sein: Sie sollten Ihren Roman – Ihr Baby! – nicht von irgendwem erzählen lassen. Oder würden Sie Ihre (menschlichen) Kinder jedem Dahergelaufenen anvertrauen?
Der Erzähler ist derjenige, aus dessen Sicht der Roman geschildert wird. Seine Perspektive – die Erzählperspektive – ist die, aus der der Leser den Roman liest. Sie führt seinen Blick und zeigt ihm, was der Erzähler auf welche Weise sieht oder was er dem Leser präsentieren will.
Eine hilfreiche Unterscheidung ist die in personale und auktoriale Erzähler. Der personale Erzähler gehört zum Personal des Romans, während der auktoriale Erzähler von einer Position außerhalb des Romans erzählt. Berichten mehrere Erzähler in einem Roman, nennt man das multiperspektivisches Erzählen.
Die wichtigsten personalen Erzählperspektiven sind die erstpersonale oder Ich-Perspektive, die drittpersonale Perspektive (er, sie, es) und, schon sehr viel seltener, die zweitpersonale oder Du-Perspektive. Ebenfalls weit verbreitet ist multiperspektivisches (personales) Erzählen.
Der auktoriale Erzähler kann allwissend sein oder lediglich über eingeschränktes Wissen verfügen.
Der auf das Wissen einer Romanfigur beschränkte und unsichtbare auktoriale Erzähler entspricht dem drittpersonalen Erzähler. Da dieser auktoriale Erzähler jedoch weder über mehr verwertbares Wissen als der drittpersonale Erzähler verfügt noch überhaupt als Erzähler sichtbar wird, können Sie nicht direkt mit ihm arbeiten. Mir erscheint es daher einfacher und praktikabler, diesen Erzähler als personalen Erzähler zu betrachten.
Letztlich kommt es für Sie darauf an, mit welcher Lesart Sie am besten arbeiten können. Fällt es Ihnen leichter, inspiriert es Sie mehr, wenn Sie sich einen von außen auf die Geschichte blickenden Erzähler vorstellen? Oder wenn Sie sich in den Kopf einer Figur begeben und schreiben, als erzählte diese Figur den Roman in der dritten Person Einzahl?
Der einmal gewählten Perspektive sollten Sie, den Erfordernissen des Romans entsprechend, treu bleiben.
Den Erzählperspektiven im Detail widmen wir uns in einem eigenen Buch. Dieses hier legt die Grundlagen dafür.
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