"Das überfordert mich jetzt etwas. Dürfte ich mir das aufschreiben?" fragte Mr. Fittichman.
"Ja, natürlich. Maya = Täuschung, Schein, Illusion; vi = Kraft, und rupa = Körper, Form, Formgestalt."
"Aha. Könnten Sie Ihre Manifestation auch in einem wissenschaftlichen Labor unseres Geheimdienstes vorführen, für Forschungszwecke?" meinte Mr. Fittichman.
"Nein. Ich bin nicht Ihre Laborratte. Tut mir leid. Diese Manifestation muß Ihnen genügen. Sie dürfen mich gerne anfassen und einen Schnipsel meiner Uniform ins Labor bringen, mehr aber nicht. - Hier haben Sie eine Schere!"
Wie aus dem Nichts tauchte eine Schere auf!
"Wow!" rief der Skin-Nation-Typ erneut aus. "Da könnten Sie gleich ein paar Pistolen, MGs und Panzerfäuste nachliefern!" fuhr er fort.
"Theoretisch ja, praktisch nein." sagte der Magier bestimmt. Er gab Mr. Fittichman die Schere, welche er überrascht und etwas ungläubig annahm.
"Dann mache ich ja die Uniform kaputt!" entgegnete Fittichman.
"Das macht überhaupt nichts, schneiden Sie drauflos! Eine Probe der Astralmaterie für Ihr Labor, für die ungläubigen Thomasse der positivistischen Forschung!"
"Sie überfordern mich." sagte Fittichman. "Gut, ich schneide ein Stück heraus. - Es geht erstaunlich leicht, wie in Butter! Aber ich kann Sie und den Stoff fühlen. Es fühlt sich eindeutig nach physischer Materie an, aber irgendwie doch einen Tick anders. Leicht anders, aber ich kann nicht sagen, wie."
"So. Sie haben jetzt Ihre Probe fürs NSA-Labor, und ich werde jetzt meine Vorstellung beenden. Auf Wiedersehen, die Herren!"
"Woher wissen Sie, daß ich... ähh...?? Ich ermittle doch verdeckt!"
"So, so! Mr. NSA, der Fittichman von der NSA! Sie sind aufgeflogen, Fittichman!" lästerte der Skin-Blondschopf amüsiert.
"Jetzt ist es ja eh egal. - Nein, ich bin 008 seiner königlichen Majestät!" warf er schlagfertig einen etwas konstruiert wirkenden Scherz ein.
"Die Nationalität ist leider falsch!" sagte der Magier als letztes Wort für diesen Tag. "Unlogisch, aber macht nichts. - Auf Wiedersehen, die Herren!"
Und der Magier von Varanasi dematerialisierte sich innerhalb von einer Minute, wie er ursprünglich erschienen war. Immer schwächer wurde die Erscheinung, ähnlich wie wenn eine Person in der Voyager weggebeamt wurde, aber einen Hauch anders und in Zeitlupe. Nur, daß es kein klassisches Beamen war. Das wäre physikalisch nicht ganz korrekt. Die Beam-Technologie der Zukunft ähnelt der Materialisation eines Mayavirupas aber insofern, daß in beiden Fällen gedanklich-feinstoffliche Matrizen vorliegen, nach dessen Bauplänen der astral-ätherische Lichtkörper formiert wird. Allerdings ist diese Astralmaterie vom Atomgewicht etwas leichter als dichte, physische Materie und löst sich nach einer gewissen Zeit wieder auf. Ja, Astralmaterie zerfällt wesentlich schneller als physische Materie. Daß die irdische grobstoffliche "Materie", die eigentlich auch nur verdichteter Gott-Geist ist, ebenfalls zerfällt, ist nach orthodoxer Sicht immer noch nicht hundertprozentig bewiesen. Immer noch warten viele Forscher auf den selbstständigen Zerfall des Protons, ohne Forcierung von außen. In riesigen unterirdischen Kammern in Kalifornien zum Beispiel gibt es Lichtdetektoren, die eine Photonenemission registrieren sollen als Beweis eines Protonenzerfalls. Dies Experiment läuft schon seit vielen Jahren. Vielleicht gab es ja inzwischen schon den einen oder anderen Lichtblitz??
"Was ich irgendwie äußerst eigenartig finde: Der Uniformteil, den ich aus dem Mantel unseres Zauberers herausgeschnitten hatte, existiert weiterhin, während sich der Rest des Mantels samt Mann darin vollständig vor unseren Augen aufgelöst hatte!" berichtete Mr. Fittichman.
"Und die Laboranalyse von dem Fetzen, den Sie herausgeschnitten hatten? Was sagt das Labor?" fragte einer der Assistenten, Mr. Marbles.
"Es ist Fasermaterial, und es hat durchaus irdische physikalische und chemikalische Eigenschaften. Aber..."
"Was aber?"
"Das Gewicht des Materials ist etwas zu leicht für irdische Maßstäbe! Wir haben die Fasern genau analysiert, es ist eine Art Filzmantel, aber das Material ist, relativ gesehen, viel zu leicht! So einen Filz gibt es auf der Erde eigentlich gar nicht!"
"Und wenn es eine Neuentwicklung ist?"
"Ist mir bisher nicht bekannt. Aber vielleicht muß da noch mehr recherchiert werden."
"Wie war das nochmal mit diesem Mayavirupa? Und dieser Materialisation?"
"Es war garantiert keine Halluzination. Sie sehen ja selbst, dieser eigenartige Filz, das zu leichte Gewicht..."
"Ich werfe Ihnen nicht vor, daß Sie spinnen."
"Nein. Das weiß ich ja. Zu dumm, daß ich keinen Photoapparat griffbereit hatte!"
"Und Ihre Mobiltelephonkamera?"
"Verdammt, stimmt! Da habe ich nicht geschaltet! Aber jetzt ist es eh zu spät."
"Dann recherchieren wir mal weiter, klappern die Faser- und Textilhersteller ab, die chemische Industrie..."
"Das machen wir."
Zwei Tage später begann ein eigenartiger Prozeß.
"Mr. Fittichman, kommen Sie! Schnell!" rief Mr. Marbles aufgeregt ins Telephon.
"Was ist denn?"
"Der Stoff, also dieses braune Uniform-Filzteil, beginnt sich vor meinen Augen aufzulösen! Es ist absolut unglaublich!"
"Das gibt's doch nicht! Photographieren oder filmen Sie es, notfalls mit ihrem Mobiltelephon!"
"Ja, mache ich! Kommen Sie so schnell wie möglich, sonst ist das Filzteil ganz weg!"
"Ich komme!"
Schnell brauste Mr. Fittichman ins Labor.
"Unglaublich! Es löst sich vor unseren Augen in Luft auf! Das Teil ist auch irgendwie so durchscheinend geworden, als ob es sich unsichtbar machen würde!" war Fittichman ganz außer sich.
"Das ist jetzt die große Frage. Eine Technologie zum Unsichtbarmachen, oder eine Dematerialisation?" meinte Mr. Marbles.
"Der Mann, dieser Magier von Varanasi, hat sich vor meinen und den Augen des Skin-Rassisten in Luft aufgelöst! Es wirkte auf mich eher wie eine Dematerialisation, kein Zaubertrick, da bin ich mir ziemlich sicher! - Ein Unsichtbarkeitsmodus mittels Technologie können wir natürlich nicht ganz ausschließen."
"Faszinierend! Sehen Sie, jetzt ist das Filzteil schon fast weg! Darf ich es kurz anfassen?"
"Ja. Tun Sie das."
"Es fühlt sich weiterhin weich an, wie Filz, aber die Empfindung ist viel schwächer. Und das Teil fühlt sich definitiv viel kleiner an. Also, wenn es ein Unsichtbarkeitsmodus wäre, müßte es sich doch noch gleich groß wie vor dem Auflösungsprozeß anfühlen!"
"Da haben Sie logisch Recht!"
"Da! Jetzt ist es weg! Vollkommen verschwunden! Und wenn ich hinfasse - es ist wirklich weg! Keine Empfindung mehr! Es ist einfach weg!"
"Haben Sie den Film auf dem Mobiltelephon?"
"Ja. Es ist alles drauf."
"Gut. - Das glaubt uns keiner. Das wird voll erst einmal zu den Geheimakten kommen, das ganze. Ich werde unseren Chef anrufen, und fragen, wie weiter verfahren sollen."
Nach dem Anruf war klar: Das ganze wurde zur Geheimsache erklärt, und alle Zeugen wurden zum Stillschweigen bis auf Widerruf verpflichtet. Außer dem Skin-Nazi, der das Auftreten des Magiers besonders faszinierend gefunden hatte.
Intelligent war der Magier, keine Frage. Und alles war sehr mysteriös. Wer war er, woher kam er, wohin ging er nach seinen Dematerialisationen? Keiner konnte diese Fragen bisher beantworten. Keiner. Selbst die indischen Brahmanen, Pujaris und Sannyasins waren sprachlos! Der Magier von Varanasi, ein Meister der Verwandlung und der Jesus'schen Kunst der Konfrontation, kam auf Touren. Immer öfters erschien er an verschiedenen Orten auf der Welt, auch außerhalb Indiens, um die Menschen aus ihrem Dauerschlaf und ihrer Reserve zu locken.
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