„Ist das die lange Nase vom Papa?“ fragt meine Schwiegermutter wegen dem P.
„Nein, ein Penis!“
„Ach, weißt du denn überhaupt schon, was ein Penis ist?“
„Ja, den hat der Opa an der Mumu!“
Bin ich froh, dass die Julia ihre Hausaufgaben im Hort erledigt. Zwar stelle ich fest, dass die Hausis relativ schlampig sind und recht fehlerhaft, aber das wird schon werden. Komisch finde ich es schon, dass der Hort das so durchgehen lässt. Auch anderen Eltern fällt das auf. Man beschwert sich beim Elternabend der Einrichtung. Der Hort sei schließlich keine Privatschule und könne nicht mehr leisten, heißt es. Als ich meine Tochter eines Tages abhole und sie noch nicht mit den Hausaufgaben fertig ist, sehe ich eine Oma mit gebrochenem Deutsch in Julias Heft rumfuhrwerken, ähnlich dem Eislaufvater. Das musst du schreiben richtig, ich dir aufschreiben... und schreibt ihr die Lösungen vor. Was soll man da jetzt sagen, womöglich heißt es gleich man diskriminiert die gute Frau, die ehrenamtlich im Hort aushilft. Ergo schweige ich.
Ich denke mir bloß, oh mein Gott, das ist ja alles falsch, „für“ mit v, „und“ mit t, egal, das ist jetzt die neue Methode. Julia schreibt gerne und ist motiviert, das wird sich schon einpendeln, von Pädagogen entwickelt muss das letztendlich zu etwas führen.
Eines Tages bringt die Julia ihre Lernzielkontrollen nach Hause, so heißen die Tests in der Grundschule. Alle werden abgeheftet in einem Schnellhefter, damit auch ja keine verloren geht und den bekommen die Eltern dann vierteljährlich zu sehen. Nur was nützt es, wenn man mit dreimonatiger Verzögerung erfährt, dass die Rechtschreibung an Legasthenie grenzt.
Lauter Fehler im Diktat! Na klar, wenn man der Fantasie Monatelang freien Lauf lässt und keine Regeln lernt. Julia weint und ist frustriert. Wer hat sich denn den Schmarrn nur ausgedacht? Wochen später lese ich in der Zeitung, die neue Methode habe sich als erwiesener Schwachsinn entpuppt, wer ein Jahr lang „und“ mit t schreibt, bekomme das NIE wieder raus im Leben. Jetzt wird das wohl noch eine Weile dauern, bis die Mühlen der Bürokratie eine neue Methode entwickeln und etablieren. Spontan beschließe ich, das Ganze ab heute selbst in die Hand zu nehmen. Ab heute wird jede Woche ein Diktat geübt!
Wie ermutigt man jetzt ein Kind zum Diktat wenn die Lehrerin erlaubt, dass man schreiben darf wie einem der Sinn steht, außer natürlich in den Tests? Das ist jetzt die Aufgabe der Eltern. Hier ist man echt gefordert die Kurve hinzubekommen, ohne vor dem Kind die Methoden der Lehrerin in Frage zu stellen.
„Wir schreiben jetzt richtig, wie die Erwachsenen und spielen Sekretärin,“ schlage ich Julia vor.
„Blödes Spiel, hab‘ keine Lust.“
Dann eben lustlose Sekretärin, auf geht’s. Und so fingen wir an, jede Woche lustlose Sekretärin zu spielen. Ohne Wiederrede.
Die Qualität der Hausaufgaben im Hort bessert sich nicht, im Gegenteil.
„Aber das ist doch alles falsch, das kannst du doch!“
„Wenn die Kindergartenkinder schlafen, läuft nebenbei Musik oder eine Geschichte, da kann ich mich nicht konzentrieren, das ist so anstrengend“, klagt Julia.
„Wie bitte? Hausaufgaben mit Musik?“
„Ja, hab ich das noch nie erzählt?“
Was das Lesen betrifft, macht sie längere Zeit keine Anstalten. Sie möchte lieber Griechisch lernen, so wie ich. Das ist nämlich viel exklusiver, das kann nicht ein jeder, weil Deutsch liest ja bereits die halbe Klasse, zum Teil fließend. Das macht ihr dann natürlich keinen Spaß, wenn sie nicht mit vorne mit dabei ist. Ihre beste Freundin die Nelly beispielsweise liest, seit sie vier Jahre alt ist. Jetzt muss man dazu sagen, dass die Eltern von der Nelly ihr selten etwas vorgelesen haben, dadurch wollte sie unbedingt selber lesen können, quasi der Unabhängigkeit wegen und hat sich das einfach selbst beigebracht. So etwas scheint es zu geben. Überhaupt ist die Nelly in ihrer geistigen Entwicklung den anderen Kindern weit voraus, damit kann man sich als Normalsterblicher sowieso nicht vergleichen.
Julia schon und hat gleich gar keine Lust überhaupt ernsthaft anzufangen, weil so gut wie die Nelly das kann, schafft sie es ihrer Meinung nach sowieso nie.
„Das kommt schon noch,“ baue ich sie auf. Manche Kinder können Ende des ersten Schuljahres noch nicht richtig lesen.
Es kamen weitere Lernzielkontrollen und teilweise hat Julia da gar keine Antworten hingeschrieben, weil sie die Fragen noch nicht lesen konnte. Sie hatten offiziell ja auch noch nicht einmal alle Buchstaben durch.
„Wie sollen die Kinder die Fragen verstehen, wenn sie noch gar nicht lesen können müssen?“, wende ich mich an die Lehrerin.
„Wir sprechen das schon vorher mündlich durch,“ heißt es.
Nur weiß mein Kind natürlich nicht mehr auswendig, was es bei Frage eins hinschreiben soll, nachdem Frage zehn vorgelesen wurde.
Die 1b sei eine ganz besonders leistungsstarke Klasse, die sind alle so toll, sie kann als Lehrerin doppelt so schnell voranpreschen als sonst. Das einzige türkische Mädchen liest fließend und kann sogar schon die Schreibschrift.
Ja nur weil die alle ein halbes Jahr vorauslernen sind wir hier die Bummerl oder was? Man geht doch zur Schule, um dort Lesen und Schreiben zu lernen und nicht, damit man zeigen kann, dass man schon Lesen und Schreiben kann. Beim Elternabend hieß es noch, man brauche überhaupt nichts zu üben.
Dass ich halbe Perserin bin, geht zum Glück nicht aus meinem Namen hervor, sonst würden Sie die Julia glatt in den Kurs Förderdeutsch stecken. Endet der Familienname auf –vic, -owski oder noch Exotischeres und das Kind ist jetzt nicht mit der Nase ganz vorne im Lesen und Schreiben, muss beziehungsweise darf es Nachmittags mit Verdacht auf LRS – sprich Lese-Rechtschreib-Schwäche in den Deutschkurs für Förderkinder. Das sind die Kinder mit Migrationshintergrund, Legasthenie oder diejenigen, die nicht bereits im Kindergarten mit Lesen und Schreiben begonnen haben. Julia als Frühgeburt mit Migrationshintergrund bewegt sich daher auf sehr gefährlichem Pflaster.
Frau Herzig empfiehlt uns dennoch täglich 15 Minuten zu lesen. Das sei kein zusätzliches Üben, sondern eigentlich so selbstverständlich wie das Amen in der Kirche und fünf Minuten Kopfrechnen gleich noch dazu, weil beim Rechnen benutzt Julia noch immer die Finger. Ehrlich gesagt, ich benutze heute noch die Finger.
Wir beginnen zu üben, täglich die 20 Minuten Dosis, wie verordnet. Wir gehen zur Bücherei aber Julia zeigt noch recht wenig Begeisterung am Lesen. Sie liest aus Pflichtgefühl und ist froh, wenn die obligatorischen 15 Minuten vorbei sind.
Eines Tages schnappt sich Julia „Harry Potter und der Stein der Weisen“ und liest und liest und hört nicht mehr auf zu lesen. Ob Sie es glauben oder nicht, es soll sogar noch dazu kommen, dass ich ihr eines Tages das Buch aus der Hand reißen werde. Man liest ja eigentlich auch nicht um des Lesens Willen, sondern weil man erfahren möchte, wie die Geschichte endet, quasi pure Neugierde und was die Erstlesebücher betrifft sind die alles Andere als spannend. Das sind einfach keine richtigen Abenteuer, da gibt es Schulgeschichten, Ballettgeschichten, Piratengeschichten, Ponyhofgeschichten, Zaubergeschichten, Julia gähnt. Ob sie Harry Potter bereits versteht? Das ist mir eigentlich egal, Hauptsache sie hat lesen gelernt. Zumindest beim Film kommentiert sie andauernd: aber im Buch war das so und so und der hatte aber dies und jenes an. Was der Hannes rein erzieherisch zu all dem meint? Also rein schulisch meint der jetzt nicht so viel, da hält er sich fein raus.
Eine Leseprobe war der Hit. Da hatte Julia bereits meterweise Bücherstapel verschlungen, dann kam so ein Pipifaxtext und sie kreuzelt einen kompletten Unsinn an. Ach das war eine Probe? Das hat sie jetzt gar nicht mitbekommen.
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