»Ach, der Direktor, der kann auch nicht, wie er möchte. Und dann, Emil, hier das kleine Nest, überall laufen die Wachtmeister rum und die blauen Jungens auf Außenarbeit und ewig hast du den Bunker vor Augen und nach drei Tagen wissen die Krimschen, woher du bist. Und dann schwatzt es sich rum und die Wirtin erfährt's und dir wird gekündigt ...«
»Wir gehen gleich zu einer, die's nicht stört.«
»Ach, das sind doch auch wieder solche, die wollen uns dann gleich hochnehmen.«
»Braucht nicht zu sein, Willi, glaub mir, braucht nicht zu sein. Es gibt auch andere. – Ich denk' immer, ich krieg' noch mal ein anständiges Mädel, nicht solch Nuttenpack, und heirate und werde Meister und hab' Kinder ...«
»Würdest du's ihr denn sagen?«
»Weiß nicht. Müßte man mal sehen. Aber besser nicht.«
»Aber du mußt es ihr sagen, Emil! Sonst hast du ja immer Angst, es kommt raus und sie läuft dir weg.«
Sie stehen in der vollen Sonne, sie sehen sich nicht an, sie sehen vor sich hin in den grauen Sand, Kufalt wühlt mit seinem Pantoffel darin.
Bruhn bittet noch einmal: »Also, Willi, mach, komm mit mir!«
Und Kufalt: »Nein. Nein. Nein. Das mit dir, Emil, wäre doch auch wieder Kittchen. Wir würden immer nur vom Bau reden und vom Knast. Nee, nicht.«
»Nein!« sagt nun auch Bruhn.
»Man hat ja hier alles mitgemacht, und man hat schön mitgeschoben und beschissen und hat andere in die Pfanne gehauen und ist denen in den Arsch gekrochen, denen vorne, aber nun Schluß!«
»Ja«, sagt Bruhn.
»Und dann, wegen des anderen auch ... Weißt du, als ich auf der Penne war, auf der Schule, verstehst du, da habe ich 'ne Liebe gehabt, ganz von weitem, wir haben höchstens zweimal miteinander gesprochen, und einmal hab' ich gesehen, wie sie ihr Strumpfband wieder festmachte in den Anlagen. Das war damals, als die Mädchen noch lange Röcke trugen, weißt du ...«
»Ja«, sagt Bruhn.
»Aber das war nichts gegen das erste Jahr hier, als du mir gegenüber auf der anderen Seite die Zelle hattest und ich sah dich morgens. Du hattest nur Hemd und Hose an und setztest den Kübel raus und den Wasserkrug. Und dein Hemd stand offen über der Brust. Dann fingst du an, mir zuzulächeln, und ich hab' immer auf das Schließen gewartet, ob ich dich zu sehen kriegte ... Und dann schicktest du mir den ersten Kassiber ...«
»Ja«, sagt Bruhn, »das war damals noch durch den langen Kalfaktor, den Tietjen, der wegen Raub saß. Der war stiekum, der machte es selber so.«
»Und dann das erste Mal, als du im Duschraum, wie der Wachtmeister sich umdrehte, zu mir unter meine Dusche krochst und wie du dich immer hinter dem Schirm verstecktest, wenn der linste ... Gott, es waren doch manchmal schöne Zeiten hier im alten Bau ...«
»Ja«, sagt Bruhn, »aber ein Mädchen ist doch besser.«
Kufalt besinnt sich: »Siehst du, darum hab' ich mich daran erinnert: wenn wir beide zusammen wären, es ginge gleich wieder los wie früher ...«
»Nein«, sagt Bruhn. »Nicht, wenn Mädchen da sind.«
»Doch«, sagt Kufalt. »Und es soll alles vorbei sein. So schön es gewesen ist, es soll alles vorbei sein. Jetzt geht es ganz neu los, und ich will genau so sein wie alle anderen.«
»Also du gehst bestimmt nach Hamburg?«
»Nach Hamburg, ja, da fragt keiner nach mir.«
»Na schön, bleib bloß fest in Hamburg, Willi. – Gehen wir noch ein Stück?«
»Ja, gehen wir, die Sonne ist schon richtig heiß.«
Der kleine Bruhn sagt: »Dann werde ich also mit Krüger zusammenziehen. Der kommt am 16. Mai raus.«
Kufalt fragt erschrocken: »Hast du den jetzt, Emil? Der ist aber nicht gut.«
»Nein, ich weiß. Er klaut uns noch immer unseren Tabak. Und er hat drei Strafen, weil er Arbeitskollegen bemaust hat.«
»Na also!«
»Aber was soll ich machen? Einen muß ich haben, ganz allein halt' ich's nicht aus. Und die meisten wollen draußen nichts von mir wissen, von wegen Raubmord, weißt du.«
»Aber nicht gerade mit Krüger!«
»Wer kommt denn schon mit mir! Du hast doch auch nein gesagt.«
»Aber doch nicht darum, Emil!«
»Und ich muß auch jemanden haben, der mir hilft, Willi. Ich bin doch elf Jahre im Bunker, ich weiß doch von nichts, Mensch. Manchmal habe ich direkt Angst, ich denke, ich mach' was falsch, und es geht gleich wieder schief und ich sitz' mein' Lebtag drin.«
»Schon darum ginge ich nicht mit Krüger.«
»Also zieh du zu mir.«
»Nein. Ich kann nicht. Ich will nach Hamburg.«
»Dann nehme ich Krüger.«
Eine Weile gehen sie stumm nebeneinander. Dann sagt Bruhn: »Ich muß dich auch noch was fragen, Willi. Du weißt doch mit solchen Sachen Bescheid ...«
»Mit was für Sachen?«
»Mit Geld. Mit Sparkassenbüchern.«
»Ein bißchen. Vielleicht.«
»Wenn jemand – also einer hat ein Sparkassenbuch auf meinen Namen und er hat auch die Marke dazu, kann er da Geld abheben darauf? Nicht wahr, das kann er doch nicht?«
»Meistens wird er's können, wenn das Sparbuch nicht gerade gesperrt ist oder es ist Kündigung ausgemacht Meistens kann er's. Hast du ein Sparbuch?«
»Ja. Nein. Es ist eins angelegt worden für mich ...«
»Vor deinem Knast?«
»Nein, hier ...«
»Quatsch dich rein aus, Emil, ich halt' schon den Sabbel. Vielleicht kann ich dir was helfen?«
»Ich hab' doch immer in Schuppen drei gearbeitet, erst bei den Möbeltischlern und nachher für die Firma Steguweit die Geflügelställe ...«
»Ja?«
»Und dann hat doch Steguweit auf der Großen Geflügelausstellung die goldene Medaille gekriegt auf seine Fallennester und mußte liefern, noch und noch. Und damit wir ordentlich was fertig kriegten, haben seine Werkmeister uns heimlich Tabak zugesteckt. Das war damals, als im Bau überhaupt noch nicht geraucht werden durfte.«
»Vor meiner Zeit ...«
»Ja, und dann kam es raus, es gab einen Riesenkrach, und mit dem Tabak war es alle. Aber sie hatten sich was anderes ausgedacht. Wir hatten ja nun keine Lust mehr, uns das Leder von den Händen zu arbeiten, bloß damit Steguweit Geld verdiente, und schlugen so Nest für Nest zusammen, gerade, daß der Tag hinging. Und da kamen dann die Werkmeister und sagten: ›Jungens, für jedes Nest, das ihr über fünfzehn abliefert pro Tag und Mann, kriegt ihr zwanzig Pfennig. Und das Geld wird für jeden von euch eingezahlt auf ein Sparkassenbuch mit seinem Namen. Und wenn ihr entlassen seid, dann kommt ihr zu uns und holt euch das Geld ab.‹«
»Saubere Sache das! Da wurden Nester fertig?«
»Mensch, ich sage dir! Wir haben Tage gehabt, da haben wir zweiunddreißig, ja, fünfunddreißig pro Nase extra abgeliefert. Na, es war auch Schinderei, meine Pfoten hättest du sehen sollen, das hat was gekostet!«
»Und das Geld ist richtig für dich eingezahlt?«
»Klar. Im ersten Jahre waren schon über zweihundert Mark da. Und im nächsten machte es noch mehr. Jetzt müssen's schon weit über tausend sein.«
»Na, nun verlang doch das Sparbuch. Nimm's ihm einfach weg, wenn er's dir zeigt.«
»Ja, jetzt zeigt er es doch nicht mehr. Ist zu gefährlich, sagt er, riecht sauer, sagt er. Da sind doch eine Masse Leute rausgekommen in der Zeit, und manche haben Krach gemacht und sind zum Direktor gelaufen, weil es zu wenig ist. Und Steguweit hat zum Direktor gesagt, das alles ist Scheißhausparole, so was wie Sparbücher gibt es natürlich überhaupt nicht, weil es nicht zulässig ist vor dem Gesetz, daß Gefangene sich Geld extra verdienen.«
»Es sind doch sicher welche von den Entlassenen wieder reingekommen in der Zeit in den Bau, was haben die denn erzählt?«
»Welche sind, die hat der Steguweit gefragt, wenn sie zu ihm gekommen sind, ob sie träumen, er weiß von Sparbüchern nichts. Und wenn sie gemein geworden sind, dann hat er mit der Polizei gedroht. Manchen, die sehr gebettelt haben, hat er auch zwanzig Mark gegeben und manchen fünfzig, aber was ist das gegen die vielen Hunderter, die sie zu kriegen hatten? Ich hab' allerdings das meiste, ich bin von Anfang an dabei.«
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