„Danke.“ Das Wort kommt mir nur halb zynisch über die Lippen. Sie hat echt ein Meisterwerk vollbracht. „Du solltest es als Stylistin versuchen.“
„Schon darüber nachgedacht. Aber in die fettigen Haare anderer Leute zu fassen oder fremde Pickel auszudrücken ist nicht mein Ding.“ Das ist wieder voll und ganz unser Tine.
Es klingelt. „Nicht so eilig. Lass ihn warten.“
„Aber die Kirche wartet nicht. Und ich habe keine Lust auf Spielchen.“
„Die hier brauchst du aber noch.“
Mensch, meine Schwester hat sogar eine passende Handtasche für das Outfit. Ich stopfe schnell mein altes Nylonportemonnaie und das Gesangbuch hinein und laufe los.
„Ich will Details“, höre ich noch.
Kitt begrüßt mich mit einem Pfeifen.
„Holla, du bist bildhübsch.“
„Überrascht dich das?“
„Nein, ich dachte nur, du willst dein gutes Aussehen nicht zeigen.“ Er ruft meinen Eltern einen kurzen Gruß zu, die vorsichtig durch den Türrahmen spähen. Zum Glück spielt er nicht auch noch den Musterknaben und stellt sich lang und breit vor.
„Du siehst übrigens auch hübsch aus“, sage ich zu meinem Beifahrer, als der Vectra um die Ecke unserer Siedlung biegt. Er trägt schwarze Edeljeans und ein dunkles Hemd mit blauen und orangen Streifen. Dafür ernte ich ein Glucksen.
„Sonst würde mich meine Oma auch nicht mitnehmen.“
„Deine Oma?“
Jetzt bin ich irritiert.
„Meine Oma besucht jeden ersten Sonntag im Monat die Dommesse und ich begleite sie als Taxifahrer. Es macht dir doch nichts aus hinten zu sitzen, wenn wir Oma einladen? Sie ist 78 und kann nicht mehr so gut ins Auto kommen. Deshalb habe ich vor kurzem meinen Zweisitzer verkauft und den Vectra angeschafft. Ist geräumiger.“
„Aha“, mache ich nur und bin nur noch verwirrt.
Zwei Dörfer weiter hält Kitt an einer Doppelhaushälfte an.
„Hier wohne ich zur Untermiete bei meiner Oma“, erklärt er und ich registriere schon eine alte Dame im Sonntagsstaat und mit Gehstock an der Tür.
„Konntest es wohl nicht mehr abwarten“, ruft Kitt seiner Großmutter lächelnd zu und hakt sie unter.
„Ich will einen guten Platz bekommen. Ganz hinten mag ich nicht sitzen.“
Sie streicht ihre kurzen weißen Haare glatt und sieht mich an. „Das ist das junge Fräulein? Ist aber ein nettes Mädchen.“
Nett? Ich habe doch noch gar nichts gesagt.
„Nett bedeutet bildhübsch “, übersetzt Kitt, als habe er meine Gedanken erraten. Aber sein Frotzeln bei der Betonung des bildhübsch entgeht mir natürlich nicht.
„Guten Morgen, ich bin Rebecka.“
Ich reiche ihr gut erzogen die Hand.
„Nein, Alexander, was für ein liebes Mädchen“, begeistert sich die Oma. „Ich bin Lotte Tewaag.“
Alexander, Alexander!
Ich kann mich gar nicht auf Oma Lottes weitere Worte konzentrieren. Endlich kenne ich seinen richtigen Namen und muss mir nicht mehr überlegen, wie ich dieses blöde „Kitt“ umgehen soll.
Die Domstadt ist vierzig Kilometer von unserem Dorf entfernt. Eine gut ausgebaute Bundesstraße führt schnurstracks hin. Wir streifen die Universität, an der ich mich eingeschrieben hätte, wenn ich den NC nicht geschafft hätte, fahren eine Linden gesäumte Allee hinab, über eine Stahlbrücke und kommen zum Domparkplatz. Die Glocken läuten laut und kraftvoll. Wir sind hier in einer rein katholischen Gegend und es strömen viele Besucher zum Gottesdienst. Lotte Tewaag hatte schon Recht, als sie meinte, man müsse pünktlich da sein.
Ich überlege unterdessen krampfhaft, wie ich mich zu verhalten habe. Seit meiner Firmung war ich nur noch zu Weihnachten in der Messe. Den Dom habe ich nur einmal im Erstkommunionunterricht besucht und vorm Messdieneramt konnte ich mich drücken. Meine Mutter ist evangelisch und als mein Vater darauf bestand, dass seine Brut katholisch getauft wird, sagte sie, dann müsse er sich um die religiöse Erziehung kümmern. Die fiel dann ziemlich lasch aus, weil mein Vater nur der Verwandtschaft zuliebe auf die Konfession bestand und eigentlich eher Atheist ist.
„Warst du Messdiener?“, flüstere ich Kitt – nein, Alexander - zu, der gerade die Spitzen seiner mittleren drei Finger ins Weihwasser taucht und das Kreuzzeichen auf Stirn und Brust ausführt.
„Fünf Jahre“, flüstert er zurück und ich zeige mich beeindruckt. Es folgen anderthalb Stunden Orgelklänge und Gesänge, Gebete und Predigten. Oma Lotte singt mit lauter Inbrunst mit und auch Alexander lässt einen kräftigen Bass ertönen. Soweit ich das beurteilen kann, hat er eine gute Stimme. Beide brauchen kein Gesangbuch. Nur in den vierten oder fünften Strophen rückt er näher an mich heran und singt den Text aus meinem Buch ab, an das ich mich haltsuchend klammere, während ich mit leisem Stimmchen unsicher mitpiepse. Überhaupt: manche dieser Lieder haben Texte, die für mich gar keinen Sinn ergeben. Komponiert 1546. Na, die könnten auch mal überarbeitet werden.
Schnell leiste ich bei Gott wortlose Abbitte für meine blasphemischen Gedanken. Nicht rumgrübeln, Rebecka, konzentrier dich! Zur Kommunion stapfe ich verhohlen hinter Alexander her. Wie ging das noch? Man verschränkt beide Hände irgendwie ineinander. Irgendwie? Ich kann bei den Vorangehenden nichts erkennen. Und dann sagt man doch noch was zu dem Pastor, wenn er die Hostie in die Hand legt. Danke?
Alexander ist schon dran. Er stellt sich ein wenig schräg und ich sehe, wie er seine linke Hand unter die Rechte legt und sie wie ein Schälchen formt. Der Pfarrer sagt: „Der Leib Christi.“ Und Alexander antwortet übertrieben laut, was ihm auch ein Stirnrunzeln des Geistlichen einbringt: „AMEN!“
Oh ich danke dir, lieber Gott, du hast mir einen Engel gesandt. Ich mache ihm alles nach und spüre, wie sich die Last von meinen Schultern hebt.
Gern würde ich etwas zum Geschmack des Leibs Christi sagen, aber ich fürchte, dann komme ich geradewegs in die Hölle, ohne auch nur das Fegefeuer gesehen zu haben. Und dann kommen fast nur noch ein paar abschließende Worte und ein Abschlusslied. Geschafft!
„Da wird dein Braten gut durch sein, wenn wir nach Hause kommen!“, meint Alexander zu Oma Lotte.
Bei Oma Lotte gibt es sonntags, zumindest am Domsonntag, noch richtig großes Menü. Erst eine selbstgemachte Rinderbrühe mit dicken Markklößchen und handgefertigtem Eierstich. Da schwimmt gehackte Petersilie drin herum und richtige Fettaugen bilden sich an der Oberfläche. Solche Suppen gab es bei meiner Oma auch immer als ich klein war. Und ich liebe es!
Als zweiter Gang der Schweinebraten und dazu Rotkohl, Salzkartoffeln, Erbsen und Möhren. Das ist wirklich unglaublich lecker und ich wundere mich, wie Alexander bei solcher Kost so schlank bleiben kann. Danach bin ich so vollgestopft, das ich an dem Vanillepudding mit heißen Kirschen nur noch nippen kann.
„Erzähl mal, Kleines, wo arbeitest du denn?“
Das ist typisch bei uns auf dem Lande. Die Alten duzen die Jungen und die Jungen siezen die Alten.
„Oh“, ich lächele die Oma an. „Ich habe gerade mein Abitur gemacht und gebe ein paar Stunden Nachhilfe. Im Herbst gehe ich nach Süddeutschland zum Studieren.“
„Das wusste ich gar nicht.“
Das ist Alexander. Er lehnt sich auf seinem Stuhl zurück, um mir besser ins Gesicht sehen zu können.
„Ich habe erwartet, du würdest an die Uni hier gehen.“
Das konnte er auch nicht wissen, wir haben uns bisher noch nie länger als fünf Minuten unterhalten. Es sei denn Thomas würde über seine Schwestern reden, aber ich gehe davon aus, dass die beiden nur über Autos und Knight Rider sprechen.
„Nein, Natascha braucht mein Zimmer“, gegenüber der Oma will ich nicht von meiner minderjährigen schwangeren Schwester sprechen, „und eine Tante von mir wohnt in der Stadt, wo der Studiengang angeboten wird, der mich interessiert. Ich kann günstig bei ihr wohnen.“
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