„Warum hast du dich nicht gemeldet?“
„Ich habe auch nichts von dir gehört“, wirft er mir vor, aber mit einem Lächeln. „Kann ich von einer Frau nicht auch ein wenig Initiative erwarten?“
Verlegen sehe ich auf meine Fußspitzen.
„Vielleicht.“
Meine Finger fahren den Schriftzug auf seinem T-Shirt nach.
„Ich habe nicht mal deine Handynummer.“
„Und ich nicht deine.“ Er nestelt sein Handy hervor und gibt es mir. Langwierig kämpfe ich mich durch das Menü, denn er besitzt eine Handymarke, die ich noch nie in Fingern hatte, und speichere meine Nummer. Dann schicke ich mir selbst eine SMS über sein Telefon.
„Dein Hintern piept.“
Alex umfasst meine Pobacken, scheinbar, um mein Handy ausfindig zu machen.
„Komm, gehen wir zu mir.“
Über den Flur ziehe ich ihn hinter mir her, treppauf, nochmals treppauf und in mein Zimmer. Hinter jeder Tür glaube ich eine meiner Schwestern durchlinsen zu sehen, doch das ignorieren wir beide.
In meinem Zimmer sieht sich Alexander genau um. Mein Zimmer ist mit schlichter weißer Raufaser tapeziert und die klebt da auch schon seit fast acht Jahren. Eine große Korkpinnwand gespickt mit Postkarten, Eintrittskarten von Konzerten und Museen, hängt an der einen Wand, daneben ein Memoboard mit Magneten und den nächstanstehenden Terminen. Ich gehe an Alex vorbei, wische die abgelaufenen Termine mit dem Handrücken weg und schreibe mit dem schwarzen Marker: Sa, 10.00 Friseur; 19.00 Abiball
„Abiball. Ach, sowas gehört ja auch dazu.“
„Klar. Hast du kein Abitur gemacht?“
Ich weiß echt gar nichts über ihn. Nicht mal, wo er früher gewohnt hat. Ein Sofa gibt es in meinem kleinen Zimmer nicht, nur einen großen uralten Sessel, den ich mit einer bordeauxroten Cordhusse überzogen habe, um den hässlichen abgeriebenen Bezug des Polsters zu überdecken. Darauf liegen ein paar Bücher, die ich schnell ins Regal zurückräume um Platz zu schaffen falls Alexander sich setzen möchte.
„Nein, ich bin froh, dass ich meinen Abschluss an der Hauptschule geschafft habe.“
Er geht zum Fenster und zieht die limonengrünen Vorhänge zur Seite, um zu sehen, wohin der Fensterblick geht. Ich denke noch über seine Worte nach. Er macht mir intelligenzmäßig nicht den Eindruck, als sei er zu dumm für einen vernünftigen Schulabschluss. Ja, ich bin ein Snob! Ein Hauptschulabschluss ist nicht akzeptabel. Seine scheinbaren Schulschwierigkeiten wundern mich jedoch nicht. Wenn ich mir so seine auffällige Kleidung, die heftig zerfetzten Jeans, die abgelaufenen Sportschuhe und den Pferdeschwanz ansehe, die ein zwar leiser, aber doch sichtbarer Widerspruch gegen die Norm sind, kann ich mir vorstellen, dass sie nur ein schwacher Abglanz eines 17jährigen Revoluzzers sind, der gegen alles rebelliert hat, was von ihm verlangt wurde. Solche Burschen habe ich schon ein paar Mal beim Nachhilfeunterricht erlebt. Mit sanfter aber bestimmter Führung lassen sie sich recht schnell einnorden, denn sie suchen eigentlich nur nach Aufmerksamkeit. Wer ihn wohl zu Hause nicht beachtet hat?
Ich gehe zu ihm und lege mein Gesicht an seinen Rücken, die Arme schlinge ich fest um seine Taille. Er drückt meine Hände.
„Du hast ja einen Balkon“, staunt Alex.
„Ja, er führt rund um die Hausecke und ist auch mit Tines Zimmer verbunden.“
„Könnte ich da eine Zigarette rauchen?“
Die Frage überrascht mich.
„Ich habe dich noch nie rauchen sehen.“
„Kommt nicht oft vor, nur, wenn ich gestresst bin.“
Er dreht sich zu mir um und ich sehe die Ringe unter seinen Augen.
„Du siehst müde aus.“ Sanft streichele ich seine raue Wange. „Was ist denn los? Gibt es einen Grund, weshalb du dich die ganze Woche nicht gemeldet hast?“
„Ach komm, ein bisschen mit dir kuscheln und eine gute Mütze voll Schlaf und dann geht‘s mir wieder gut. Kriege bestimmt nur eine Sommergrippe.“
„Dann ist Rauchen aber nicht die ideale Lösung“, lasse ich die Erzieherin heraushängen.
„Kommt auch nicht so gut beim Knutschen, was?“
Er küsst mich intensiv und ich glaube noch einen leichten Nachhall einer Zigarette vom Vormittag zu schmecken. Aber er hat sich die Zähne geputzt und es kann auch nur Einbildung sein. Seine Hand wandert zu meinem Kofferradio auf einem Wandregal und schaltet es ein. Die Musik lässt ihn das Gesicht verziehen und er löst sich von mir, um den Suchlauf zu betätigen. Schließlich ist er zufrieden. Ob TNT von AC/DC aber der richtige Sound für eine romantische Stimmung ist, bezweifle ich. Nur ehrlich gesagt sind wir so gierig aufeinander, dass wir gar nicht auf die Hintergrundgeräusche hören.
Nur mit unseren Slips bekleidet kommen wir beide viele Minuten später wieder in meinem Bett zu Bewusstsein.
„Tines Futon war bequemer“, meint Alex, während er versucht, in meinem 90 x 200 Zentimeter Kastenbett eine bequeme Position zu finden.
„Da hast du wohl Recht. Was für ein Bett hast du?“
„2 x 2 Meter“, grinst er. „Beim nächsten Mal bei mir?“
„Absolut.“
Wir machen weiter, wo wir aufgehört haben.
„Schlafen wir heute Nacht miteinander?“, frage ich ihn. Die Frage scheint ihn zu verwirren.
„Nein“, meint er schließlich, „ich glaube nicht.“
„Nein? Warum nicht?“
Was ist denn das für eine Masche? Die Dämmerung hat eingesetzt und Alexander setzt sich auf, um meine Nachttischlampe anzuschalten.
„Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du schon bereit bist und habe keine Kondome mitgenommen.“
Noch nicht bereit? Hält er mich für eine verklemmte Jungfer? Wahrscheinlich. Vielleicht sollte ich das sofort klarstellen.
„Ich habe noch Kondome.“
Ich wühle in meiner Nachttischschublade. „Wenn die nicht abgelaufen sind. – Und, wenn sie da sind …“
Ich wühle weiter, finde aber nichts. Wahrscheinlich hat sich eine meiner Schwestern hier bedient. Die liegen da ja auch schon seit einem Jahr unberührt da drin.
„Warte mal, Rebecka.“
Alex dreht mich zu sich um. „Sieh mal.“ Er zeigt auf seine linke Brust. Ich kneife die Augen zusammen und sehe dort einen kleinen tätowierten Schriftzug in Schreibschrift: „Discite moniti“, lese ich und krame in meinem Hirn nach der Übersetzung des lateinischen Spruches. „Lernt, ihr Ermahnten.“
„Lernt, ihr seid gewarnt“, wandelt Alex ab. „Den Spruch habe ich mir vor vier Monaten machen lassen, als ich beschlossen habe, mein Leben zu ändern.“
„Als du der Vielweiberei abgeschworen hast?“
Ich lächele schwach, denn ja, zugegeben, die Worte seiner Oma von den ewig wechselnden Mädchen haben mir heftige Stiche versetzt.
„Als ich vierundzwanzig wurde und mein Jugendstrafregister gelöscht wurde. Als ich erfuhr …“, er zögert, „dass es Zeit ist, erwachsen zu werden.“
Jugendstrafregister. Darauf zielen die ganzen Andeutungen, die im Umlauf sind. Straftaten, die zwischen dem 15. und 21. Lebensjahr begangen werden. Ich wusste, dass die irgendwann verjähren, nur nicht, wann.
„Du bist vorbestraft?“, flüstere ich und denke, dass meine Eltern durchdrehen werden, wenn sie erfahren, dass ich mit einem Kriminellen das Bett teile.
Meine Eltern sind relativ locker, was das Übernachten andersgeschlechtlicher Jugendlicher in unserem Haus betrifft. Das mussten sie bei vier Sprösslingen einfach werden. Thomas bringt hin und wieder ein Mädel mit und Tine hat keinerlei Skrupel oft und immer andere Männer anzuschleppen. Aber nachdem sie Sven beherbergt haben und unter unserem Dach ein ungeplantes Kind gezeugt wurde, sind sie empfindlicher geworden.
„Nein, meine Weste ist weiß wie frischgefallener Schnee“, reißt Alexander mich aus meinen Gedanken. „Die Akte wurde vernichtet und ich könnte jetzt sogar Polizist oder Anwalt werden. Nur das hier“, er tippt auf das winzige Tattoo, „soll mich ermahnen, dass ich an mir arbeiten muss.“
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