Offen sehe ich zurück: „Weil ich mich wohl bei dir fühle. Weil mich noch nichts an dir enttäuscht hat“, wiederhole ich ehrlich und ziehe ihn auf mich. Wir küssen uns heftig mit Zunge und Zähnen, ich reibe meinen Rock an seinen Schenkeln und er umfasst meine Brüste und umkreist die Warzen erst vorsichtig dann intensiver mit der Zungenspitze. Mehr! Mehr! Ich bin vollkommen erregt.
In diesem Moment dringt ein schrilles Geräusch an unsere Ohren. Es wird lauter und lauter.
„Mist“, zischt Alexander. Er zieht sein Handy aus seiner Hosentasche und sieht aufs Display. „Mist“, ruft er wieder und geht ran.
Ich ziehe die Beine an meinen Körper und umschlinge die Knie mit den Armen. Alex hat sich ein paar Meter von mir entfernt. Erst habe ich noch eine aufgeregte Männerstimme aus dem Handy tönen hören, aber jetzt höre ich nur noch Alex‘ kurze abgehackte Antworten. Schließlich legt er auf.
„Tut mir leid, Rebecka, ich muss dich nach Hause bringen.“ Er stopft das Handy zurück in die Tasche. „Ich muss dringend bei einem Freund vorbeisehen und das wird ‘ne Weile dauern.“
Ich nicke. Nach den leidenschaftlichen Momenten von eben bin ich nun so unsanft vom siebten Himmel auf die Erde gestürzt, dass ich nun erst einmal zu mir kommen muss.
Zehn Minuten später stehen Tine und Natascha in meinem Zimmer:
„Na, wie war‘s?“
„Ich habe einen Freund“, sage ich stockend. „Und er heißt Alexander. Alexander Tewaag.“
„Alexander Tewaag?“, wiederholt Natascha und wirkt ein wenig bleich. Wahrscheinlich der Eisenmangel, wegen dem sie seit ein paar Tagen dieses Kräuterblut trinkt.
„Sie meint natürlich Kitt, du Dummchen“, mischt Tine sich ein. „Nun erzähl doch!“
„Wir waren in der Kirche, bei der Oma zu Mittag und dann Picknicken. Das ist alles.“
Tine wirkt enttäuscht. „Na, was habe ich bei dir auch erwartet.“
Vier Tage lang höre ich gar nichts von ihm. Wir haben auch noch nicht einmal unsere Handynummern ausgetauscht und ich bin zu stolz, Thomas danach zu fragen oder Alexander nach der Arbeit abzufangen. Immerhin hat er mich überstürzt zu Hause abgesetzt und hätte sich doch danach als Erster bei mir melden müssen, oder?
Letzte Woche hat Kati Natascha zur Geburtsvorbereitung mitgenommen, aber diese Woche kann sie nicht kommen, sagt Natascha. Deshalb muss ich neben ihr sitzen, als sie zum Babyboom fährt. Noch neun Wochen, dann wird das Baby kommen. Zurzeit steckt Natascha selbst im Prüfungsstress. Die Zentralprüfungen stehen an und ich höre sie jeden Abend in Deutsch, Englisch und Mathe ab. Sie hat schon vorher mit Kati gelernt und den Stoff recht gut drauf.
„Warum lernst du denn nicht mehr mit Kati?“
„Sie muss sich schonen. Sie war zwei Tage im Krankenhaus, weil sie vorzeitige Wehen hatte. Hat sie zumindest gedacht, aber die Ärzte meinen, es seien nur Senkwehen. Sie hat ja nur noch sechs Wochen bis zum Termin.“
„Also kann ihr Baby bald kommen?“
Vor der Ampel schaltet Natascha in den ersten Gang und ordnet sich rechts ein.
„Besser wäre es, wenn sie noch mindestens zwei Wochen durchhält, sonst sind die Lungen vielleicht noch nicht richtig entwickelt. Ralf war jedenfalls ziemlich besorgt.“
Es ist grün und sie fährt über die Kreuzung, links an Möbelladen und Tankstelle vorbei, rechts passieren wir einen großen Supermarkt, in dem ich später noch einkaufen könnte, denn der hat jeden Tag bis 22 Uhr geöffnet.
„Wer ist Ralf? Der Kindsvater?“
Natascha zögert. „Ihr Freund, vielleicht auch der Kindsvater.“
„Vielleicht?“, ich grinse spöttisch. „Deine Freundin weiß nicht, von wem sie schwanger ist?“
„Bitte, Rebecka, sag´ nichts. Ich habe es versprochen.“
Sie blinkt in den Kreisverkehr – kurz: Kreisel - hinein und blinkt nicht als wir ihn wieder verlassen. Vollkommen falsch.
„He, konzentrier dich auf die Straße“, ermahne ich sie, als sie einen kleinen Schlenker macht. „Ich kenne sie doch gar nicht, ist mir doch egal, mit wem sie ins Bett geht.“
Während Natascha atmet und hechelt, treffe ich mich mit Rike in der Stadt auf ein Eis. Das italienische Eiscafé ist im unteren Geschoss eines Gründerzeithauses untergebracht und hat das Glück, nicht nur an der Hauptstraße zu liegen, sondern auch einen großen Innenhof zu haben, wo man gemütlich draußen sitzen kann ohne dem direkten Verkehr und den Blicken der Passanten ausgesetzt zu sein.
„Wann treffen wir uns denn nun morgen zum Abiball?“ Henrike leckt ihren Löffel ab.
„Ach, den habe ich ganz vergessen“, gebe ich zu. Im Schrank hängt seit Wochen ein dunkelblaues Cocktailkleid aus Satin, das meine Mutter hinter meinem Rücken für mich gekauft hat.
„Wird Kitt dich begleiten?“
„Weiß ich auch nicht. Denke, das ist nicht so sein Ding.“
Meine Freundin nickt, als sei es nicht seltsam, dass ich meinen Freund nicht eingeplant habe.
„Um zehn habe ich für uns beide Friseurtermine in dem neuen Laden an der Hauptstraße gemacht. Wegen Haare aufstecken, das kriege ich selbst bei mir nicht hin und ich hatte gehofft, du begleitest mich.“ Mit der Rechten winkt sie dem jungen schlaksigen Kellner zu und bestellt noch einen Cappuccino.
„Ja, warum nicht? Normalerweise macht das Natascha, aber vielleicht haben die Experten ja ein paar hilfreiche Ideen. – Oh, ich muss los, der Kurs ist schon zu Ende.“
Ich drücke meiner Freundin das Geld für das Eis in die Hand und laufe los. Von der Eisdiele sind es ungefähr fünf Minuten Weg bis zur Hebammenpraxis. Zwei Zebrastreifen und drei Straßenecken weiter bin ich angekommen.
Zu Hause fängt mich meine Mutter an der Tür ab.
„Der junge Mann, dieser Alexander, wollte dich besuchen. Ich habe ihn zu Thomas geschickt, weil ich nicht wusste, ob es dir recht ist, wenn er in deinem Zimmer wartet.“
„Ach so.“
Ich mustere Mama, um rauszukriegen, was für einen Eindruck sie von ‚dem jungen Mann‘ hat. Sie zeigt sich aber ganz arglos. Bei vier Kindern und gefühlten 50 ein- und ausgehenden Freunden und Freundinnen hat sie sich eine gewisse Professionalität angeeignet. Also hänge ich nur meine Strickjacke an der Eichenholzgarderobe hinter der Haustür auf und gehe durch die Zwischentür und die Treppe ins Erdgeschoss zurück.
Mein Bruder und Alexander fläzen sich auf der alten Couch von Opa und spielen Play Station. Fußball.
„Hallo“, sage ich und bekomme ein kurzes Kopfnicken. Das wird mit Sicherheit noch eine Weile dauern. Deshalb schnappe ich mir eine Zeitschrift aus einem Pappkarton, in dem Thomas seinen ganzen Papierkram aufbewahrt und werfe mich in einen Sessel. Autos! War ja klar. Na wenigstens kein Schmuddelmagazin, das wäre mir ziemlich peinlich gewesen.
Bereits fünf Minuten später johlt Thomas begeistert auf und gibt Alexander einen heftigen Boxhieb. Man merkt, dass ihm ein Bruder fehlt.
„Ha, hab´ ich dich! Drei zu zwei in letzter Minute! Yeah!“
Ein wenig halbherzig flucht Alexander vor sich hin und wirft den Joystick in die Ecke.
„Sah erst gar nicht gut für mich aus“, erklärt mir Thomas, als würde mich das interessieren. „Bist genau richtig zum Ablenken gekommen. Mit deinem Erscheinen begann sein Abstieg“, freut er sich.
„Na, da bin ich ja froh, dass du kein Profisportler bist, sonst würde ich deine ganze Karriere zerstören“, flachse ich.
Alexander grinst.
„Ähem ja, wenn ihr es mir nicht übelnehmt, hätte ich jetzt gerne meine Ruhe. Bin ziemlich groggy“, geräuschvoll gähnt Thomas.
Mein Bruder, die Partymaus, will schlafen? Um kurz nach acht?
„Du bist eher ein alter Kuppler“, werfe ich ihm vor, lasse mich aber willig von Alexander auf den Flur ziehen. Als wir allein sind, küsst er mich endlich, diesmal mit Drei-, nein Vier-Tage-Bart.
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