Jan-Derek legte die Hand auf den Türknauf. Die Brause sprang wieder an und Linda stellte sich wieder unter den harten Wasserstrahl. Er bemerkte wie die Wassertropfen von ihrem Busen abprallten und gegen die schwarze Marmorwand der Duschzeile prasselten. Natürlich standen ihre Brüste nicht mehr so wie vor zehn Jahren. `Dein Sack hat auch schon fast die Länge deines Schwanzes erreicht´, dachte Jan-Derek und ließ den Türknauf wieder los. Bloß keine Wehmut aufkommen lassen. Linda war auch mit Anfang 40 noch eine attraktive Frau. Es war auch nicht nur der Busen, der sich verändert hatte. Ihr Gesicht hatte einen neuen ernsthafteren Ausdruck bekommen, dabei lachte sie noch immer so viel wie früher. Das zeigten die Falten um die Augen. Dazu kamen dann die um den Mund und am Hals. Sie waren im Begriff gemeinsam zu altern. Ein paar Jahre blieben ihnen noch in denen es nicht allzu weh tat. Jan-Derek trat einen Schritt ins Badezimmer. Linda drückte auf die Shampooflasche, die an der Wand angebracht war und schmierte sich rosa Flüssigkeit in die Haare. Er zog seinen Fuß wieder aus dem Badezimmer heraus. „Was wolltest du denn jetzt eigentlich?“, rief Linda hinter ihm her, als er die Tür hinter sich zuzog.
Für Anfang April war die Luft immer noch frisch. In einigen schattigen Ecken lag sogar noch Schnee, nicht in der Stadt, aber draußen an den Landstraßen. Seitdem David kaum noch die Vorlesungen besuchte, fuhr er nur noch selten nach Hamburg. Er hielt sich eher im Haus seiner Eltern in Hamberge auf, einem Dorf vor den Toren Lübecks. Mit Anfang 30 noch den Kühlschrank seiner Erzeuger zu leeren war kein Umstand, auf den er besonders stolz war. Aber er sah es auch nicht ein, den Platz, den der geräumige Resthof ihm bot, mit der 27 qm Wohnung in Hamburg-Barmbek einzutauschen. Er stand sogar kurz davor die Wohnung in Hamburg zu kündigen. Gerade kam er wieder von einem dieser unsäglichen Seminare an der Uni. `Wirtschaftsrecht ist einfach nicht mein Thema´, dachte er ohne zu wissen, was ihn am BWL-Studium überhaupt interessierte. Das große Ganze, hatte er begreifen wollen. Die Wirtschaft an sich. Aber die einzelnen Puzzelteile wollten sich nicht in seinem Kopf zusammenfügen. David kniff die Augen zusammen. Hatte er das Pizzageschirr weggeräumt? Es würde nächste Woche wieder mächtig stinken, wenn er die Wohnungstür aufmachte. `Zum Glück gibt es jetzt noch keine Fruchtfliegen. Zu kalt. Ich hätte in der Mensa essen sollen!´ Aber ebenso wie Wirtschaftsrecht und Uniseminare hasste er es, allein in der Mensa zwischen hunderten gut gelaunter Massenstudenten zu sitzen. `Am besten war heute noch die Schnalle, die ihre Sonnenbrille in der Vorlesung nicht abgenommen hat.´ David lachte bitter. Was bildeten sich diese Leute ein? Er begann laut vor sich hinzusprechen: „Ich kündige die Wohnung. Da stinkt es. Dann such ich mir einen anderen Studiengang.“ Es tat gut, das einmal laut auszusprechen. `Nun also doch Sport auf Lehramt.´ Sofort verschlechterte sich seine Laune wieder. Angewidert verzog er das Gesicht. `Das steht also noch nicht fest. Darüber muss ich noch nachdenken. Fürs Wochenende bleibe ich sowieso noch Wirtschaftsstudent an der Uni Hamburg.´ Wieder Schnee. Dahinten lag noch ein halbes Feld unter der weißen Decke. Das Tennishotel in Laboe warb damit, den Mannschaften ab dem 1. April mindestens zwei Sandplätze zur Saisonvorbereitung zur Verfügung zu stellen. David fragte sich, wie sie das hinbekommen wollten. `Die müssen ja schon im Februar begonnen haben, die Plätze fertig zu machen.´ Sand aufschütten, Plätze walzen. Der Sand musste sich setzen. `Ob sie den Schnee einfach wegschaufeln? Vor vier Wochen lag definitiv noch Schnee. Fußbodenheizung für Sandplätze gibt es doch hoffentlich noch nicht. Vielleicht haben sie irgendeinen Spezialbelag. Oder Theodor hat einfach Scheiße erzählt. Wahrscheinlich müssen wir doch in die Halle gehen. Tolle Saisonvorbereitung, wenn wir gar nicht auf Sand spielen.´ Die Reise war auf Theodors Mist gewachsen. `Schon erstaunlich, dass der Langweiler mal was vorantreibt.´ Geradezu euphorisch hatte Theodor verkündet: „Saisonvorbereitung! Nur wir Männer! Ohne Frauen! Endlich mal wieder den Aufstieg ins Visier nehmen.“ Vor fünf Jahren waren sie schon mal auf große Fahrt gegangen. Damals war Karsten die treibende Kraft gewesen. `Ein Wunder, dass unsere braven Familienväter sich wieder dazu aufraffen. Oder gerade weil sie sich was davon versprechen.´ David verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. Rein mannschaftsmäßig war das Wochenende damals ziemlich in die Hose gegangen. Verharmlosend ausgedrückt. D-J, Karsten und Theodor hatten danach ein halbes Jahr kein Wort mehr miteinander geredet. Ulrich war sofort aus dem Verein ausgetreten und ihre Herren 30 waren zwei Jahre in Folge abgestiegen. `Jetzt dümpeln wir in der 1. Bezirksklasse rum´, ärgerte sich David. Diese Saison sollten sie wieder aufsteigen, so viel stand fest. Übernächstes Jahr dann Verbandsliga. Eigentlich gehörte er in die Landesliga. So gesehen konnte eine Saisonvorbereitung nicht schaden: eine Trainingseinheit mehr für die Anderen. Wo er gerade dabei war, konnte er ja gleich noch eine Wahrheit aussprechen: „Natürlich hätte ich mir in Hamburg einen Verein suchen müssen. Ich hätte zum Club an der Alster gehen sollen und Regionalliga spielen.“ Andererseits wusste David um die Gründe, warum er das nicht getan hatte: `Hab leider Lacoste-Allergie.“ Nun also Trainingslager mit den Tennislegasthenikern aus Lübeck. `Vielleicht bedeutet eine weitere Reise sogar den Abstieg in die 2. Bezirksklasse.´ Ihm fiel beim besten Willen nicht ein, wessen Ausscheiden die Mannschaft grundsätzlich weiter schwächen könnte- bis auf sein Eigenes. `Wenn Karsten als Trainer geht. Das wäre schlecht. Wenn Karsten geht, gehe ich nach Hamburg´, beschloss David. Dabei wusste er, dass die Trainer in Hamburg schon jetzt zehnmal besser waren als Karsten. `Na ja, hab eh gerade beschlossen meine Wohnung in Hamburg zu kündigen.´ Er könnte natürlich zum Tennis nach Hamburg pendeln anstatt nach Lübeck. Hätte er schon längst machen sollen. 28 Jahre beim TC Lübeck waren schon zu viel. Davids Audi R6 Baujahr ´98 rollte auf die Hofeinfahrt seiner Eltern. „Mist!“ Er schlug mit der flachen Hand aufs Lenkrad. Der Passat seines Vaters stand nicht dort, wo er stehen sollte. Noch im Wagen kramte er sein Handy aus der Jackentasche. Er brauchte mindestens 100 Euro für das Wochenende. Nach dem fünften Klingeln sprang die Mailbox an. „Klasse…“ David stieg aus und sog die frische Landluft in sich ein. Irgendwo weiter weg düngte ein Bauer sein Feld. David tippte erneut auf das Handy, ließ es ein paar Mal klingeln und legte genervt wieder auf. Er sah zum Haus hin. Der weiße Glanz unter dem alten, erneuerungsbedürftigen Reetdach heiterte ihn ein wenig auf. Erst letztes Jahr hatte er allein die Fassade gestrichen. Auch der Schuppen, neben dem sein Auto parkte, brauchte einen neuen Anstrich. `Mach ich im Sommer. Besser noch: Wir reißen das schiefe Ding ab und bauen da eine Garage hin.´ „Meine Bastelstube“, nannte sein Vater den alten Hühnerstall immer mit Altmännerpippi in den Augen. `Scheiß auf seine Bastelstube…´ Eine Werkstatt ohne Werkzeug war es… und das Einzige, was dort gebastelt worden war, waren die unzähligen Joints, die David und seine Schulfreunde in dem Schuppen zusammengerollt hatten. David ließ den Blick weiter umherschweifen. Jetzt, wo die Natur noch nicht von den Staudenbeeten seiner Mutter, den meterhohen Bambussträuchern oder den wildwuchernden Obstbäumen Besitz genommen hatte, wirkte das kahle Grundstück größer- und absolut leblos. `Könnte auch ein Bauernhof in der Ostukraine sein. Wenn mein Caparol Acryl Fassadenweiß nicht wäre.´ Hinter dem Haus lag eine 3000m2 Koppel. Kühe, Hühner, Schafe und Pferde…alle waren sie Vorhaben geblieben.
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