»Ich dachte immer, es liegt an Vitus, dass Viktor so viel gelernt hat. Es kann doch nicht an mir liegen!«
»Anna, du unterschätzt dich und deinen animierenden Einfluss auf Viktor maßlos. Ihr liebt euch. Diese Liebe, übrigens auch die körperliche, beflügelt euch sozusagen. Das ist stimulierend für eure Fähigkeiten.«
Viktor sah seinen Vater lächeln, weil der Annas erneut aufkommende Röte genauso wahrnahm wie er. Aber im Gegensatz zu ihm bereitete es Vitus stets größtes Vergnügen, sie in Verlegenheit zu bringen. Obwohl Anna das bekannt war, sah sie sich nie in der Lage, in solchen Situationen die Fassung zu wahren. So war es eine logische Folge, dass Vitus nicht widerstehen konnte, noch eins draufzusetzen: »Du wirst eines Tages eine wundervolle Königin sein, Anna.«
»Ogottogott, nicht immer dieses blöde Königinnenthema! Davon wird mir schlecht, ogottogott!«
»Lass sie in Ruhe«, schimpfte Loana. »Du weißt, dass ihr dein Gerede davon Angst macht. Anna ist erst siebzehn. Bestimmt hat sie zurzeit andere Pläne, als Königin des westlichen Elfenreiches zu werden. Du benimmst dich manchmal wie ein Plustergeist!«
»Wie ein was ?«, fragte Vitus entgeistert.
Jetzt lachte Viktor mit Anna um die Wette, da Loana aufgrund ihrer bretonischen Herkunft ab und an die Worte verdrehte. Besonders bei Flüchen, Schimpfwörtern und Redensarten bekam sie manches Mal Schwierigkeiten. Eigentlich hatte sein Vater trotzdem keine Verständigungsprobleme mit ihr, konnte jedoch mit diesem »Plustergeist« ganz offenkundig nichts anfangen. So stand ihm mehr als nur ein Fragezeichen auf der Stirn geschrieben, was Viktor die Lachtränen in die Augen trieb.
»Sie meint Poltergeist , Papa«, brachte er prustend hervor. »Ich hab ihr mal davon erzählt, dass manche Menschen an Geister, auch an Poltergeister glauben und darüber sogar Filme drehen.«
Er wandte sich Loana zu. » Plustergeist passt nicht so gut zu ihm, Loana. Da hat mir dein rohes Klotzholz , wie du ihn schon mal bezeichnet hast, bedeutend besser gefallen.«
»Genau, du bist und bleibst ein grober Klotz, König Vitus!«, brachte Loana ihre Schimpftirade zu Ende, ohne das Gelächter der anderen groß zu beachten.
Sie trank danach einfach mit Genuss ihre Tasse leer und wollte sich gerade nachschenken, als Vitus eine Hand auf die Kanne legte.
»Trink jetzt lieber Kräutertee, Kened . Sonst wird dir vielleicht übel.«
Loana seufzte schwer, nickte aber zustimmend und musste resigniert mit ansehen, wie die tüchtige Dienerin Etita Sekunden später eintrat, um den Tee zu servieren.
»Also gut«, gab Vitus sich zufrieden, als er sah, wie Loana einen Schluck vom Tee nahm, »genug von dem Königsthema. Stattdessen könnten wir euch ein bisschen von unserer Reise erzählen. Loana ist eine begnadete Seglerin, müsst ihr wissen. Man merkt sofort, dass sie an der Küste aufgewachsen ist.«
Er nahm die Hand seiner Frau und strich zart mit den Lippen darüber.
»Na ja«, meinte Loana zurückhaltend, »viel konnten mir meine Eltern nicht beibringen. Sie starben ja früh. Und während meiner Jahre im Heim habe ich das Meer kaum zu Gesicht bekommen. Aber danach habe ich ein paar Jahre als Fischerin gearbeitet. Das war herrlich. Dabei lernte ich Tanguy kennen, bevor wir zu seiner Familie zogen.«
… Viktor sah Loana an, dass sie eigentlich nicht über Tanguy hatte sprechen wollen. Sein Name war ihr einfach so herausgerutscht. Meist erwähnte sie ihn nicht. Die Erinnerung tat ihr unverkennbar weh. Loana hatte Vergangenheit samt Heimat hinter sich gelassen. Sie hatte einen Schlussstrich unter all das gezogen und war mit Vitus gegangen. Ihre gesamten Ländereien hatte sie Ewen, dem Bruder ihres verstorbenen Gatten, und dessen Frau Armelline überlassen. Seither war sie nie mehr dorthin zurückgekehrt.
Sie hatte jetzt Vitus und seine Liebe. Das reichte ihr voll und ganz. Was brauchte sie mehr? Die bretonische See, die sie jeden Tag in Vitus‘ Augen sah, die hatte sie dennoch hin und wieder schmerzlich vermisst. …
Da auch Vitus ihre Melancholie erkannte, streichelte er Loanas Wange. »Du bist eine sehr gute Seglerin und Fischerin. Das hast du mir gezeigt. Und du bist ganz besonders schön, wenn du das Meer um dich hast, Kened . Wir werden solche Reisen noch oft unternehmen, das verspreche ich dir.«
Während er in ihre edelsteingrünen Augen schaute, wickelte er versonnen eine Strähne ihres honigblonden Haars um seinen Finger. »Jetzt lass uns den Kindern von unserer Hochzeitsreise erzählen.«
»Ach nein, Viktor, ich bitte dich«, stöhnte Anna verdrossen. »Nicht schon wieder.«
Ab und zu hielt Viktor sie am frühen Morgen fest in seinen Armen. Er gab sie einfach nicht frei, auch wenn sie eine volle Blase plagte und deshalb dringend auf die Toilette musste.
Eigentlich war er meist vor ihr wach. Er beobachtete gern, wie sie schlief. Sie sähe dabei zum Anbeißen süß aus, so zusammengerollt wie ein kleines Kätzchen, hatte er ihr erklärt. Trotzdem übermannte ihn wohl manchmal die Müdigkeit. Dann schlief er so tief und fest, dass er kaum wachzubekommen war. Währenddessen umarmte er sie derart besitzergreifend, als ob man sie ihm wegnehmen könnte.
Viktors Bett in seinem Schlosszimmer war mit dem goldenen Himmel und den kunstvollen Schnitzereien im dunklen Holz nicht nur wunderschön, es bot zudem auch ausreichend Platz. Dennoch nahmen sie beide meist nur einen Bruchteil davon ein, da Viktor seine Arme und Beine um Anna geschlungen hielt, als wäre er ein Oktopus und nicht nur vier, sondern acht Gliedmaße würden sich um sie winden.
Demnach war seine Reaktion auf ihre Bitte, sie aufstehen zu lassen, eigentlich vorhersehbar, denn er zog sie, wie jedes Mal, noch fester an sich. »Nein, meine Süße, du bleibst fein bei mir. Vielleicht kommst du sonst nicht zurück«, knurrte er im Halbschlaf. »Wer weiß, vielleicht wirst du entführt und dann stehe ich da – allein – ohne … Oh – ooh, scheiße!«
Wie vom Blitz getroffen ließ er Anna los und sprang aus dem Bett. Nun hatte er doch davon angefangen: von Entführung! Und der Gedanke daran führte sie zwangsläufig und geradewegs zu dem heute stattfindenden Strafprozess.
»Entschuldige, Anna, das war echt blöd von mir!«, rief er aus und raufte sich die vom Schlaf zerzausten Haare. Dann schüttelte er vehement den schönen Kopf. »Es tut mir leid. Es tut mir so leid! Ich bin ein Volltrottel! Ich …«
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