Weil er sie danach mit einem für ihn so typischen intensiven Blick bedachte, wurde ihr erneut warm ums Herz. Sie liebte Viniestra Tusterus, genannt Vitus, König des westlichen Elfenreiches und ihr Ehegatte.
Ein leichtes Frösteln holte sie aus ihren Träumen. Sie rieb sich die Arme.
»Brrr, ist das kalt hier«, flüsterte sie und machte sich daran, auch von Bord zu gehen.
»Loana!« Vitus gab ihr einen flüchtigen Kuss, bevor er sie auf seine Arme hob. Sie musste automatisch blinzeln, denn dieses Mal war er zu schnell für ihre Augen gewesen. »Du solltest doch warten, bis ich wieder bei dir bin, meine Kened .«
Seit dem ersten Kennenlernen vor ein paar Monaten im Herbst nannte er sie so: Kened . Sie mochte diesen Kosenamen sehr, stammte er doch aus ihrer Heimat, der Bretagne, und bedeutete so viel wie Schönheit.
Liebevoll trug er sie auf der bereits angelegten Planke von Bord, stellte sie vorsichtig an Land auf die Füße und strich mit einer Hand über die Wölbung ihres Bauches, wobei er sie innig küsste.
»Willkommen zu Hause, meine Königin.« Dann hockte er sich nieder und legte den Kopf an ihren Bauch. »Und willkommen, ihr beiden. Könnt ihr wohl den Unterschied zwischen den schwankenden Dielen an Deck und dem festen Boden unter den Füßen eurer Mutter unterscheiden?«
Er sah zu ihr auf und sein Blick brachte sie zurück zur bretonischen See. Dort, an der Grenze zum südlichen Elfenreich, wo sie sich auf ihrer Rückkehr von der Hochzeitsreise noch einmal und dieses Mal ein wenig länger aufgehalten hatten. Vitus‘ Augen wiesen dieselbe Farbe auf wie dieses Meer, trugen damit ein Stück Heimat in ihre Seele:
… Loana verbarg den kleinen traurigen Seufzer, den ihr Herz tat, als sie die Segel setzten, um die Bretagne wieder zu verlassen und an der iberischen Küste weiter zu segeln.
Die elfischen Portale katapultierten sie in Windeseile zu traumhaften Häfen mit schneeweißen Gebäuden, deren kuppelartige Dächer golden in der Sonne glänzten. Fremde exotische Düfte lagen in der Luft. Die Farben muteten so milde warm und dennoch leuchtend an, wie sie die Sonne nur hier zaubern konnte.
Loana genoss es in vollen Zügen, mit Vitus durch die engen Gassen und über die geschäftigen Plätze des Elfenortes Pallamee zu spazieren. Einem Ort, wo es an jeder Ecke etwas Neues zu entdecken gab. Sie kaufte Kräuter und Gewürze auf dem Markt und eine wunderschöne Vase aus kunstvoll geblasenem Glas, in dessen irisierendem Widerschein alle Farben des Regenbogens schillerten.
Vitus ließ es sich nicht nehmen, sie in einen der zahlreichen Schmuckläden zu ziehen, um ihr dort eine kostbar gearbeitete Kette zu kaufen. Ein Schmuckstück, das sie mit seinen aufwendigen Ornamenten sowie kunstvoll eingelassenen Edelsteinen ihr restliches Leben lang an diese Hochzeitsreise erinnern würde.
Weil Vitus außer dem königlichen Amulett und seinem Ehering keinen Schmuck zu tragen pflegte, ließ Loana mit einem Mal seine Hand los, um geschwind in ein winzig kleines Krimskramsgeschäft zu huschen und kurz darauf mit einem Paar Leinenschuhen in grellen Farben und mit wirrem Zackenmuster wieder zu erscheinen. Zu ihrer Verblüffung zog er sie sofort an, und das, obwohl er wie so viele Elfenmänner Schuhen überhaupt nichts abgewinnen konnte. Dieses Exemplar wirkte derart grotesk komisch an seinen Füßen, dass beide noch lachten, als sie zurück an Bord waren.
Dort wich das Lachen augenblicklich wilden Küssen, innigen Liebesschwüren und aufwallender Leidenschaft. Diese Leidenschaft kannte keine Grenzen. Sie schenkte ihnen eine Erfüllung, von der sie hofften, dass sie stets ein wenig unerfüllt bliebe, damit sie sich stets noch mehr davon geben konnten.
An manchen Tagen verließen sie das Boot überhaupt nicht, genossen Sonnenaufgang wie auch -untergang gleichermaßen, liebten sich immer wieder und verwöhnten einander zwischendurch mit den Köstlichkeiten, die Wonu, der Koch und einzige Bedienstete, der sie begleitete, vorbereitet hatte.
Es war bis zu diesem Zeitpunkt wirklich eine durch und durch wundervolle Hochzeitsreise.
Trotzdem hob Vitus nach vierzehn Tagen Loanas Kinn an und musterte sie, bevor er ihr schlicht erklärte: »Auf geht‘s, Kened , zurück zur bretonischen Küste. Ich denke, dort gibt es noch so allerhand, was du mir gern zeigen möchtest.«
Wie gut er sie kannte, dachte Loana.
So verbrachten sie noch eine Woche an den Orten, an denen Loana vor langer Zeit mit ihren Eltern gelebt hatte, bevor diese bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen waren. Vitus‘ Vorschlag, auch ihren Schwager Ewen und dessen Frau Armelline zu besuchen, lehnte sie allerdings rundweg ab. Die Erinnerung an ihren ermordeten ersten Ehemann Tanguy schmerzte noch immer, weshalb sie die Gegend, in der sie mit ihm gelebt hatte, lieber mied.
Alles andere jedoch erfüllte ihr Herz mit reiner Freude. Wenn sie daran zurückdachte, konnte sie die salzige Luft schmecken und das Brausen des Meeres, die klagenden Schreie der Möwen hören. Es war, als wäre sie wieder klein und ihr Vater würde ihr zeigen, wie man die Segel raffte oder die Netze auswarf, während ihre Mutter sich um den letzten Fang kümmerte oder sie in die Heilkunst einwies.
Auch an Land hatte sie ihren Spaß, konnte sie Vitus doch noch einmal in aller Ruhe zeigen, wo auf dem schroffen Fels der Klippen die seltenen Kräuter wuchsen, von denen sie ihm schon so oft erzählt hatte. Sie nutzte die Gelegenheit, gleich einen Korb voll zu pflücken. Zudem grub sie ein paar besondere Exemplare aus, weil sie diese im heimischen Garten anpflanzen wollte. Natürlich half Vitus ihr dabei, denn seiner Meinung nach durfte seine schwangere Frau keine solch schwere Arbeit verrichten.
Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie mit dem Korb in der Hand auf den von Pflanzen übersäten Klippen über das tosende Meer schaute und der Wind an ihren Haaren zerrte. Trotzdem empfand sie es als Streicheln. Zum Abschied begleiteten Delfine und Möwen das Boot, während sie einen letzten Blick auf die sanft geschwungenen Dünen und malerischen Buchten warf, bevor das nächste Portal sie forttrug. …
Bei der Erinnerung an diesen spektakulären Ozean lächelte Loana, wusste sie doch, dass sie ihn jederzeit in den Augen ihres Mannes wiederfand. Noch einmal seufzte sie mit einem seligen Lächeln.
»Ja, wir sind wieder zu Hause.«
***
Annas Sehnsucht nach ihrer sommerlichen Lieblingsstelle im nahegelegenen Wald wuchs von Tag zu Tag. Der Gedanke an die kleine Lichtung mit der großen Birke, an dieses besondere Licht mit seinen Silber- und Goldreflexen, welches die Sonne dort in die grünen Bäume und den bemoosten Boden hineinwob, so wie sie es ausschließlich im Sommer vermochte, ließ sie nicht mehr los.
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