1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 „Rennst du nun immer so durch die Gegend?“ wollte er noch wissen.
„Das macht Spaß wenn die Häuser und Bäume an mir vorbeisausen“ sagte sie mit einem Lächeln und es war das erste Lächeln das Hal bei ihr gesehen hatte und er war hingerissen.
„Ich renn jetzt wieder zurück, weiterarbeiten, bis mal wieder, Frisör.“
„Pass aber auf. In diesen alten Schuhen brichst du dir sonst die Beine“ Sie wetzte übertrieben schnell los, wohl um ihn zu beeindrucken und schon kurz darauf hatte sie der Waldrand verschluckt. Er hätte noch fragen können was sie sucht und ob er helfen sollte, doch mit den Kollegen im Nacken wollte er sich mit ihr nicht näher beschäftigen.
„So ein besonderes Vorkommnis müssen wir melden“ hörte Halmschor den diensthabenden Arzt hinter sich. „Wenn etwas aus dem Ruder läuft wird das Büro sofort nervös und das Mädchen hier tanzt eindeutig aus der Reihe und ist fehl am Platz.“
„Das würde ich lieber bleiben lassen“ entgegnete Hal, „denn sie ist das Maskottchen von Dr. Albritz“ grinste er den verständnislos schauenden Arzt an. „Wie hatte die Arzthelferin Dolora so schön gesagt: Sie ist das einzige Lebendige hier.“ Diesen Ausspruch konnte jeder nachvollziehen und Bimm war danach auch im Dorf am Tor gut gelitten.
Erst nach einer langweiligen Woche sah er sie wieder, kurz. Sie kam morgens angerannt, lief um die Baracken herum und sofort wieder zurück. Das Personal schüttelte zuerst die Köpfe, dann lachten sie. Was es so alles gab, ob sie wohl zu den Olympischen Spielen nach China wollte? Denn die fanden nur noch dort statt, alle vier Jahre in einer anderen chinesischen Großstadt. Aber Bimm wusste nichts von Olympia und Alemannia war als verbrecherisches Regime von den Spielen ausgeschlossen. Die Sklaven, die Bimms Gerenne schon länger mitansahen, sahen zu den Arbeitern. In ihren entspannten Gesichtern stand die Frage, ob diese Rennerei denn erlaubt sei, vielleicht erwartete der eine oder andere, dass gegen diese ungewohnte Unruhe vorgegangen wird. Doch die Beamten kommentierten das Verhalten von ihr mit keinem Wort und mit keiner Geste.
Die Woche darauf kam sie zum Bus und zeigte einer Krankenschwester ihren Arm. „Das brennt fürchterlich“ meinte sie. „Ich möchte da was drauf damit es aufhört“.
Der Unterarm war zerkratz, vermutlich von einer Heckenrose mit giftigen Dornen. Aus dem Bus schaute der Arzt der mitgehört hatte.
„Wir haben hier so ein Gerät, da legst du deinen Arm hinein und schon ist er wieder in Ordnung“ sprach er in begeistertem Tonfall. Unhöflich komplimentierte er einen Patienten hinaus, der dann seinen Leibesumfang mühevoll die Stufen hinunter schaffte.
„So, nun komm rein und ich zeige dir wie das geht“ meinte der Arzt aufmunternd.
Nur zögerlich stieg Bimm in den Bus, verwundert, weshalb er zu ihr so freundlich und gegenüber dem Mann so abweisend war. Der Arzt machte ihr vor, wie sie den Arm in ein lichtdurchflutetes Gerät zu legen hatte.
„Nur fünf Minuten und die Wunden sind versiegelt und brennen nicht mehr“ erklärte er noch. Misstrauisch, den Arzt nicht aus den Augen lassend, tat Bimm wie geheißen. Sie hatte nicht nur ihre Hosenbeine gekürzt, sie hatte auch die Ärmel ihres Hemdes abgetrennt, was im Sommer und beim Rennen bestimmt praktisch war.
Bewundernd betrachtete der Arzt ihre Haut an Armen und Beinen, sah in ihr schönes Gesicht und grinste linkisch. Dann konnte er nicht mehr anders und er fuhr mit seinen Fingern ihren schlanken Oberarm entlang. Bimm zog den Arm zurück, spritzte auf und schon war sie draußen und auf und davon. Halmschor sah sie davonsprinten, verdächtigte gleich den Arzt, dass er ihr zu nahe gekommen war und ahnte, dass sie sich hier nicht mehr blicken lassen würde.
Seine Versetzung ließ weiter auf sich warten, denn ihm wurden zwei neue Arbeiter zugeteilt die er schulen musste. So war er drei weitere Monate an die öde Barackenansammlung gefesselt, sah nichts von den prächtigen alten Bäumen, nichts von dem idyllischen alten Dorf und nichts von der lebendigen Bimm. Auch bei ihm zuhause ging es eher unlustig zu. Sein Sohn Sarus entpuppte sich als unwilliger Schüler der nur spielen im Kopf hatte und im Unterricht nur wenig Punkte zusammenbrachte. Seine Frau, die wie er und ihr Kind einen endlosen Kampf gegen die Fettleibigkeit fochten, bestand auf eine zweite Haut, denn sie wollte unbedingt ihre unebene Körperoberfläche kaschieren.
Eine zweite Haut war rein optisch eine feine Sache, wenn sie nur nicht so teuer wäre. Das hauchdünne künstliche Gewebe konnte nahtlos auf dem ganzen Körper aufgebracht werden, haftete problemlos und endete in der Regel an den Fingern und Zehen, denn ab dort wurde es zu kompliziert. In der Bevölkerung und besonders bei älteren Frauen, war die künstliche Haut weit verbreitet und gehörte zum guten Ton. In der Oberschicht war es ab einem gewissen Alter undenkbar die eigene Haut zu Markte zu tragen. Keiner der Reichen, egal ob Frau oder Mann, würde sich trauen mit Altersflecken in der Öffentlichkeit zu zeigen. Auch Angehörige der Beamtenoberschicht legten auf eine perfekte Haut viel wert.
Bevor diese Haut aufgetragen werden konnte, musste der Körper zuerst mit einer Salbe eingerieben werden, die die Behaarung auflöste. Die neue Haut straffte dann die Körperoberfläche, überspannte Falten und Narben und verdeckte sämtliche Pigment-und andere Flecken. Weil sie täglich, um den sprießenden Haarwuchs aufzulösen, eingecremt werden musste, fühlte sie sich auch noch fantastisch an. Das Ergebnis war eine makellose gleichmäßige Haut. Eine so verjüngte Frau bedeutete für den Mann auch einen Lustgewinn. Wer über wenig Geld verfügte, beschränkte die zweite Haut auf das Gesicht und versteckte den Rest unter seiner Kleidung. Für die Familie Drohsdal würde diese Ausgabe bedeuten, ihren Jahresurlaub mangels Geld im eigenen Land verbringen zu müssen, was sehr ärgerlich war, denn sie bekamen jährlich eine Ausreisegenehmigung, um in Italien, Spanien oder Paris Urlauben zu können. Und diese Haut hielt nur wenige Jahre, dann war die nächste fällig.
Den drei Monaten der Schulung, folgte der dreiwöchige Jahresurlaub in einem Heim des Syndikats am Bodensee. Bei dieser Gelegenheit ließ sich Marlesa auch mit einer künstlichen Haut einkleiden. Zu ihrem Unglück verpasste sie dadurch eine Reihe von Sonnentagen, derer sich die anderen Feriengäste erfreuen konnten, wo doch im Sommer die meiste Zeit der Himmel wolkenverhangen war. Die künstliche Haut war nämlich nicht besonders UV-fest. Wie bei allen Feriengästen endete das tägliche Fastenbemühen abends am Büffet und sie kamen genauso übergewichtig nachhause wie sie gegangen waren. Aber anschließend durfte Halmschor endlich auf seinen Wunscharbeitsplatz.
Am Montagmorgen nach den Ferien fuhr er noch wie gewohnt mit seinen alten Kollegen zum Barackendorf. Kurz nach ihnen erschienen Bus und Lastzug von Albritz` Truppe, die bei der Halle anhielt. Dr. Albritz persönlich stieg mit einem Paket in der Hand aus und rief nach Drohsdal. Halmschor ging erwartungsvoll auf ihn zu und der Alte reichte ihm das Paket, das bei näherem Hinsehen aus drei Overalls bestand. Alle Arbeiter und auch das medizinische Personal trugen bei der Arbeit hinter der Mauer die gleichen schwarzen Overalls. Nur hatte jede Gruppe ein anderes Emblem, deshalb wusste Halmschor gleich, als er die neuen Overalls sah, dass er nun nach hinten mitfahren durfte. Endlich wieder im Wald. Artig wünschte er mit freudigem Gesicht seinen Ex-Kollegen einen schönen Tag, bestieg den Bus zu dem er in Zukunft gehörte und begann im Innern gleich mit dem Kleidungswechsel.
„Na, bist du jetzt wo du hinwolltest?“ begrüßte ihn Dolora.
„Es ist immer wieder schön hier zu sein“ zwinkerte er ihr zu und begab sich in die Toilette.
Während der Mittagspause, als er zum Pinkeln an einem seiner geliebten Riesenbäume stand, wurde er von hinten angesprochen.
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