Klaus Zander - Zwischen Baum und Borke

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Die meisten Flüchtlinge waren erst nach Kriegsende in Schleswig-Holstein eingetroffen. Sie hatten dort die Einwohnerzahl so stark ansteigen lassen, dass auf vier Einheimische drei Flüchtlinge kamen und viele von ihnen blieben, bis in den 50er Jahren die großen Umsiedlungsaktionen nach Westdeutschland einsetzten.
Hier wird von den Menschen und ganz besonders von den Kindern erzählt, die im Juli 1946 mit ihren Müttern, als Flüchtlinge nach Süderbrarup in Schleswig-Holstein kamen.
Wegen der bedrückenden Wohnverhältnisse in den Lagern und zugewiesenen Zimmern konnten die Kinder der Flüchtlinge meistens nur draußen spielen. Aber auch da lagen sie ständig auf der Lauer um etwas zu ergattern, dass ihnen und ihren Müttern das Überleben erleichtern würde. Ob bei der Kohle oder den Briketts nachgeholfen wurde, damit sie von den Zügen fallen oder wenn Zuckerrüben oder Kartoffeln auf dem Bauernhof vom Wagen stibitzt, wurden, wobei der stets wachsame Hofhund geschickt abzulenken war, stets vermischte sich ihr Überlebensdrang mit Abenteuerlust und ganz normalen kindlichen Verhaltensweisen. In diesem Zwischenraum von Spielen, Neugier, Vergnügen, Abenteuer und Not spielte sich ihr Leben ab.
Die Wiederaufnahme des Schulbesuchs, zusammen mit den einheimischen Kindern, sorgte dann für etwas Normalität. So erlebten sie, nach all dem Schrecken doch noch eine Kinder- und Jugendzeit in dem noch dörflichen Charakter des Ortes, der alles was sie durchgemacht hatten, in eine unwirkliche Ferne rückte.
Für sie waren die Feste, wie Kindergilde mit Kuchenessen und Tanz oder der Weihnachtsbasar im alten Anglerhof mit Varieté, jetzt ein wichtiger Mittelpunkt des Jahres geworden. Das Baden in Bächen, moorigen Gewässern und in der Schlei, war das schiere Sommervergnügen.
So könnte man nach Art einer " Sentimental Journey " noch viele unwiederbringliche Momente aufzählen. Auch davon wurden alle, die hier ankamen geprägt, das nahmen sie mit, wohin sie auch später gingen.

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- Es roch hier sogar wie früher, also kein Brandgeruch und keine Moderluft aus den Kellern der Ruinen, dafür frische Landluft und der unverkennbare Geruch von in Betrieb befindlichen Küchenherden. Er stellte sich vor, dass auf den Tischen jetzt eine Schüssel mit dampfenden Stampfkartoffeln und mit Speck durchsetzter Einbrenne stand und er wäre dabei beinahe gestolpert.

- Durch ihre Erlebnisse hatten sie alle ein Stück ihrer Kindheit verloren und waren viel zu früh, zu kleinen Erwachsenen geworden.

Zusammen mit den Einheimischen erlebten die Flüchtlingskinder nun die - фото 1

Zusammen mit den Einheimischen erlebten die Flüchtlingskinder nun die Nachkriegszeit in der Landschaft Angeln in Schleswig-Holstein.

Hier wurde ihnen, nach all dem Schrecken, doch noch eine Kinder- und Jugendzeit zuteil, in welcher sie vieles geschehene vergessen konnten.

Das auf der Umschlagseite dargestellte Foto zeigt den Marktplatz in Süderbrarup mit der Volksschule im Hintergrund. Dies war auch der Ort, wo viele Erlebnisse der Kinder stattfanden.

Inhaltsverzeichnis

Die Vorgeschichte

Die Kinder

Die Ankunft

Ihr erstes Quartier

Der Schaumlöffel

Die Volksküche

Der neue Mittelpunkt

Die Mittagesser

Edith, die Tischnachbarin

Mehr als nur Essenausgabe

Eine Wandzeitung

Rote Falken in der Volksküche

Die Gartenlaube

Das Flüchtlingslager im Anglerhof

Im großen Saal

Die Freiluftküche

Der Drang zur Sauberkeit

Das Nachtkonzert

Ährenlesen

Der Schulbeginn

Die Mitschüler

Das Kriminalstück im Saal

Von der Baracke ins Empfangszimmer

Gespräche in der Baracke

Herr Rahn

Das Mädchen und die Jacke

Eigen Herd ist Goldes wert.

Die vergebliche Vorstellung

Das Empfangszimmer der Fotografin

Häuslich Sanitäres

Die Kalamität, der erste Winter

Schnee und Kälte.

Die Lektüre an der Wand.

Die Eishöhle.

Es stirbt ein Baby.

Not macht erfinderisch.

Schlittenfahrten

Winter am Thorsberg.

Das Winterende

Der Stillstand

Der Wiener Kurier

Das Radio

Die Gestrandeten

Das Mütterproblem

Die Währungsreform

Die Wahlen

Treckfantasien

Noch einmal davon gekommen

Begegnungen mit Dr. Brackmann

Die Praxis

Ein neues Zimmer und TB-Verdacht

Bauchschmerzen der bisher unbekannten Art

Rheuma oder was?

Vergnügliches

Die Kinogänger von Berg's Filmpalast

Kino im Angler Hof

Die Kindergilde

Der Brarupmarkt

Alle Jahre wieder

Ein Bazar zu Weihnachten

Wo ist hier was los ?

Fußball

Die Angler

Die Badefreuden am Thorsberg

Der Heidberg

Hinterm Güderotter Wald

Auf nach Lindaunis

Die Aquarianer

Die Maler

Querfeldein.

Lerchenfeld

Lerchenfeld Gewässer

Das Heidbergrevier und die Oxbek

Der Westen

Die Westenstraße

Die Probleme des Wohnungsamtes

Wieder Herr Rahn

Alltag in der Westenstraße

Die Volksschule.

Die Klassenräume

Herr Johannsen

Herr Fiedler

Herr Bilet

Herr Hinz

Religion in der Schule

Schlussstrich

Die Konfirmation

Das Schulende naht.

Letzte Tage in Angeln

Ablenkungsversuche

Der lange Abschied

Die Vorgeschichte

Die meisten Flüchtlinge waren erst nach Kriegsende in Schleswig-Holstein eingetroffen. Sie hatten dort die Einwohnerzahl so stark ansteigen lassen, dass auf vier Einheimische drei Flüchtlinge kamen und viele von ihnen blieben, bis in den 50er Jahren die großen Umsiedlungsaktionen nach Westdeutschland einsetzten.

Das Thema wird heute meistens als erledigt abgehakt, obwohl sich das nur darauf beziehen kann, dass die meisten von ihnen mittlerweile verstorben sind.

Sich selbst auf die Schulter klopfend, wird diese Zeit heute meistens als gelungene Integration bezeichnet. Das wurde damals keineswegs so gesehen. Bestenfalls kann man heute rückblickend bestätigen, dass man miteinander auskam, ohne dass der teilweise offene Hass der ihnen entgegenschlug, Gewalt auslöste.

Wobei ihre persönlichen Geschichten sicher an allen Orten anders waren. Diese hier beginnt in Süderbrarup, einer Gemeinde im nördlichsten Teil Schleswig-Holsteins, in der schönen Landschaft Angeln, nahe der Ostsee.

Auch hier steht das Thema dieser Flüchtlinge heute natürlich nicht mehr im Mittelpunkt, obwohl sie für die Zeitgenossen, Flüchtlinge wie Einheimische, prägend waren. Aber selbst in der aktuellen Ortschronik wird darauf nicht besonders tiefschürfend eingegangen. Sie werden zwar erwähnt, aber ohne besondere Teilnahme, was angesichts der allgemeinen Tendenz auch nicht zu erwarten ist. Im Ortsbild deutet nichts mehr auf die großen Lagerkomplexe hin, die es hier einst gab, kein Hinweisschild oder Ähnliches gibt darüber Auskunft.

Ihr damaliges Erscheinen auf der Ortsbühne wird häufig nur noch als eine lästige und überstandene Episode der Geschichte angesehen, die man bald vergessen möchte, was auch verständlich ist.

Die Flüchtlinge kannten bei ihrer Ankunft meistens nur noch zwei Gefahren, den Hunger und im Winter die Kälte. Und damit wurden sie zu Konkurrenten der Einheimischen, da es für beide Gruppen um das gleiche Stück Brot auf den Lebensmittelkarten und das gleiche Dach über dem Kopf ging.

Die Bauern unter den Alteingesessenen, die man auch Selbstversorger nannte, brauchten keine Lebensmittelkarten. Und das waren in dem Agrarland Schleswig-Holstein nicht wenige und die meisten Einheimischen hatten natürlich ihre gewachsenen Beziehungen zur Verwaltung, welche die Einweisung der Flüchtlinge in Wohnraum realisieren sollte. Was aber wegen des wachsenden Widerstandes und mangels Masse oft erschwert wurde, sodass sich über viele Jahre ein Lagerleben etablierte. Damit konzentrierte sich das ganze Elend der Zeit auf die Flüchtlinge.

Nun gab es im Norden von Schleswig-Holstein noch etwas, was über die „normale“ Rivalität zwischen diesen konkurrierenden Bevölkerungsgruppen hinausging. Das war die dänische Minderheit. Diese wollte, offenbar ermutigt durch das Beispiel der Polen, die ihre Grenze nach Westen bis zur Oder verschoben hatten, ebenfalls gerne die dänische Grenze nach Süden bis zur Eider verschieben. Danach sollten alle Flüchtlinge ausgewiesen werden.

Die fast täglich neu hinzu Kommenden waren dafür natürlich hinderlich, sodass ihnen Ablehnung und Feindseligkeit entgegenschlug. Eben waren sie noch in ihrer Heimat verfolgt worden, weil sie deutsche waren und jetzt wurden sie hier deswegen erneut infrage gestellt. Sie saßen also wieder zwischen Baum und Borke.

Die Neuankömmlinge entstammten verschiedenen Flüchtlingswellen. Mit Schiffen oder auf dem Landweg waren die Ersten, meist unter dem Beschuss der heranrückenden Front, noch vor Kriegsende angekommen. Die Nächsten kamen direkt aus dem unmittelbaren Frontgeschehen und dann jene die man den so genannten „wilden“ und zum Schluss, die man den „regulären“ Vertreibungen zurechnete.

Sie alle mussten noch die Erlebnisse von Kampfhandlung, Plünderung und Exzessen verarbeiten, bevor sie in Schleswig-Holstein eintrafen. Was immer man hier mit Worten erklären wolle, es würde nicht reichen.

Hinzu kamen noch die Soldaten, die in Schleswig-Holstein in Gefangenschaft geraten waren und die nicht wieder in ihre mittlerweile von Russen und Polen besetzte Heimat zurück konnten.

Die ersten der Flüchtlinge konnten noch die schon vorhandenen Baracken der Wehrmacht und des Reichsarbeitsdienstes benutzen. Die später kamen wurden dann in Schulen, Säle von Gaststätten oder auch zwangsweise in Privaträume von Einheimischen untergebracht.

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