- Es roch hier sogar wie früher, also kein Brandgeruch und keine Moderluft aus den Kellern der Ruinen, dafür frische Landluft und der unverkennbare Geruch von in Betrieb befindlichen Küchenherden. Er stellte sich vor, dass auf den Tischen jetzt eine Schüssel mit dampfenden Stampfkartoffeln und mit Speck durchsetzter Einbrenne stand und er wäre dabei beinahe gestolpert.
- Durch ihre Erlebnisse hatten sie alle ein Stück ihrer Kindheit verloren und waren viel zu früh, zu kleinen Erwachsenen geworden.
Zusammen mit den Einheimischen erlebten die Flüchtlingskinder nun die Nachkriegszeit in der Landschaft Angeln in Schleswig-Holstein.
Hier wurde ihnen, nach all dem Schrecken, doch noch eine Kinder- und Jugendzeit zuteil, in welcher sie vieles geschehene vergessen konnten.
Das auf der Umschlagseite dargestellte Foto zeigt den Marktplatz in Süderbrarup mit der Volksschule im Hintergrund. Dies war auch der Ort, wo viele Erlebnisse der Kinder stattfanden.
Die Vorgeschichte
Die Kinder
Die Ankunft
Ihr erstes Quartier
Der Schaumlöffel
Die Volksküche
Der neue Mittelpunkt
Die Mittagesser
Edith, die Tischnachbarin
Mehr als nur Essenausgabe
Eine Wandzeitung
Rote Falken in der Volksküche
Die Gartenlaube
Das Flüchtlingslager im Anglerhof
Im großen Saal
Die Freiluftküche
Der Drang zur Sauberkeit
Das Nachtkonzert
Ährenlesen
Der Schulbeginn
Die Mitschüler
Das Kriminalstück im Saal
Von der Baracke ins Empfangszimmer
Gespräche in der Baracke
Herr Rahn
Das Mädchen und die Jacke
Eigen Herd ist Goldes wert.
Die vergebliche Vorstellung
Das Empfangszimmer der Fotografin
Häuslich Sanitäres
Die Kalamität, der erste Winter
Schnee und Kälte.
Die Lektüre an der Wand.
Die Eishöhle.
Es stirbt ein Baby.
Not macht erfinderisch.
Schlittenfahrten
Winter am Thorsberg.
Das Winterende
Der Stillstand
Der Wiener Kurier
Das Radio
Die Gestrandeten
Das Mütterproblem
Die Währungsreform
Die Wahlen
Treckfantasien
Noch einmal davon gekommen
Begegnungen mit Dr. Brackmann
Die Praxis
Ein neues Zimmer und TB-Verdacht
Bauchschmerzen der bisher unbekannten Art
Rheuma oder was?
Vergnügliches
Die Kinogänger von Berg's Filmpalast
Kino im Angler Hof
Die Kindergilde
Der Brarupmarkt
Alle Jahre wieder
Ein Bazar zu Weihnachten
Wo ist hier was los ?
Fußball
Die Angler
Die Badefreuden am Thorsberg
Der Heidberg
Hinterm Güderotter Wald
Auf nach Lindaunis
Die Aquarianer
Die Maler
Querfeldein.
Lerchenfeld
Lerchenfeld Gewässer
Das Heidbergrevier und die Oxbek
Der Westen
Die Westenstraße
Die Probleme des Wohnungsamtes
Wieder Herr Rahn
Alltag in der Westenstraße
Die Volksschule.
Die Klassenräume
Herr Johannsen
Herr Fiedler
Herr Bilet
Herr Hinz
Religion in der Schule
Schlussstrich
Die Konfirmation
Das Schulende naht.
Letzte Tage in Angeln
Ablenkungsversuche
Der lange Abschied
Die meisten Flüchtlinge waren erst nach Kriegsende in Schleswig-Holstein eingetroffen. Sie hatten dort die Einwohnerzahl so stark ansteigen lassen, dass auf vier Einheimische drei Flüchtlinge kamen und viele von ihnen blieben, bis in den 50er Jahren die großen Umsiedlungsaktionen nach Westdeutschland einsetzten.
Das Thema wird heute meistens als erledigt abgehakt, obwohl sich das nur darauf beziehen kann, dass die meisten von ihnen mittlerweile verstorben sind.
Sich selbst auf die Schulter klopfend, wird diese Zeit heute meistens als gelungene Integration bezeichnet. Das wurde damals keineswegs so gesehen. Bestenfalls kann man heute rückblickend bestätigen, dass man miteinander auskam, ohne dass der teilweise offene Hass der ihnen entgegenschlug, Gewalt auslöste.
Wobei ihre persönlichen Geschichten sicher an allen Orten anders waren. Diese hier beginnt in Süderbrarup, einer Gemeinde im nördlichsten Teil Schleswig-Holsteins, in der schönen Landschaft Angeln, nahe der Ostsee.
Auch hier steht das Thema dieser Flüchtlinge heute natürlich nicht mehr im Mittelpunkt, obwohl sie für die Zeitgenossen, Flüchtlinge wie Einheimische, prägend waren. Aber selbst in der aktuellen Ortschronik wird darauf nicht besonders tiefschürfend eingegangen. Sie werden zwar erwähnt, aber ohne besondere Teilnahme, was angesichts der allgemeinen Tendenz auch nicht zu erwarten ist. Im Ortsbild deutet nichts mehr auf die großen Lagerkomplexe hin, die es hier einst gab, kein Hinweisschild oder Ähnliches gibt darüber Auskunft.
Ihr damaliges Erscheinen auf der Ortsbühne wird häufig nur noch als eine lästige und überstandene Episode der Geschichte angesehen, die man bald vergessen möchte, was auch verständlich ist.
Die Flüchtlinge kannten bei ihrer Ankunft meistens nur noch zwei Gefahren, den Hunger und im Winter die Kälte. Und damit wurden sie zu Konkurrenten der Einheimischen, da es für beide Gruppen um das gleiche Stück Brot auf den Lebensmittelkarten und das gleiche Dach über dem Kopf ging.
Die Bauern unter den Alteingesessenen, die man auch Selbstversorger nannte, brauchten keine Lebensmittelkarten. Und das waren in dem Agrarland Schleswig-Holstein nicht wenige und die meisten Einheimischen hatten natürlich ihre gewachsenen Beziehungen zur Verwaltung, welche die Einweisung der Flüchtlinge in Wohnraum realisieren sollte. Was aber wegen des wachsenden Widerstandes und mangels Masse oft erschwert wurde, sodass sich über viele Jahre ein Lagerleben etablierte. Damit konzentrierte sich das ganze Elend der Zeit auf die Flüchtlinge.
Nun gab es im Norden von Schleswig-Holstein noch etwas, was über die „normale“ Rivalität zwischen diesen konkurrierenden Bevölkerungsgruppen hinausging. Das war die dänische Minderheit. Diese wollte, offenbar ermutigt durch das Beispiel der Polen, die ihre Grenze nach Westen bis zur Oder verschoben hatten, ebenfalls gerne die dänische Grenze nach Süden bis zur Eider verschieben. Danach sollten alle Flüchtlinge ausgewiesen werden.
Die fast täglich neu hinzu Kommenden waren dafür natürlich hinderlich, sodass ihnen Ablehnung und Feindseligkeit entgegenschlug. Eben waren sie noch in ihrer Heimat verfolgt worden, weil sie deutsche waren und jetzt wurden sie hier deswegen erneut infrage gestellt. Sie saßen also wieder zwischen Baum und Borke.
Die Neuankömmlinge entstammten verschiedenen Flüchtlingswellen. Mit Schiffen oder auf dem Landweg waren die Ersten, meist unter dem Beschuss der heranrückenden Front, noch vor Kriegsende angekommen. Die Nächsten kamen direkt aus dem unmittelbaren Frontgeschehen und dann jene die man den so genannten „wilden“ und zum Schluss, die man den „regulären“ Vertreibungen zurechnete.
Sie alle mussten noch die Erlebnisse von Kampfhandlung, Plünderung und Exzessen verarbeiten, bevor sie in Schleswig-Holstein eintrafen. Was immer man hier mit Worten erklären wolle, es würde nicht reichen.
Hinzu kamen noch die Soldaten, die in Schleswig-Holstein in Gefangenschaft geraten waren und die nicht wieder in ihre mittlerweile von Russen und Polen besetzte Heimat zurück konnten.
Die ersten der Flüchtlinge konnten noch die schon vorhandenen Baracken der Wehrmacht und des Reichsarbeitsdienstes benutzen. Die später kamen wurden dann in Schulen, Säle von Gaststätten oder auch zwangsweise in Privaträume von Einheimischen untergebracht.
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