Ohne Probleme schafften wir es aus Cuernavaca und konnten uns ein verstecktes Übernachtungsplätzchen suchen. Auch die nächste Nacht verbrachten wir noch im Hochland von Zentralmexiko, hinter Puebla, irgendwo zwischen Huamantla und El Carmen. Die Strecke über das Hochland war geprägt von einem fast einschüchternden Blick über weite Salzlagunen mit dem Pico de Orizaba im Hintergrund. In die eisige Höhe von 5.636 Meter ragt dieser höchste Berg Mexikos. Aber wir hatten genug von der Kühle des Hochlandes. Wir waren auf dem Weg nach Vera Cruz, wir wollten endlich an die tropische Küste der Karibik, an den Golf von Mexiko.
Über die Ausläufer der Sierra Madre del Sur führte die Straße Nr.140 immer tiefer in die tropischen Gefilde des Landes. Wir näherten uns dem ältesten kolonialen Ort Mexikos, der ältesten spanischen Siedlung Nordamerikas: Veracruz, von Hernán Cortés nach seiner Landung 1519 gegründet. Weich umwehte uns die sattfeuchte karibische Luft, und es duftete nach Tropen, einem Geruch, den man nie vergisst, wenn man ihn einmal in die neugierige Nase hat steigen lassen.
Veracruz... Im siebzehnten Jahrhundert entstand hier das bekannte Lied 'La Bamba'. Wer hätte gedacht, dass dieser Song so alt ist, nicht wahr? Veracruz... Tropische Küste, Piratengeschichten, größter Hafen Mexikos, den ich erst einige Jahre später als Seemann richtig kennenlernen durfte.
Veracruz... Tropenland. Lauerten da nicht unbekannte Krankheiten? Als Seemann hatte ich den Segen des ziemlich neuen Malaria-Medikaments 'Resochin' schätzen gelernt. Obwohl das Tropenfieber in Mexiko nicht als gefährlich galt und es nur wenige Landstriche mit Ansteckungsgefahr gab, hatten wir uns die Einnahme von einer wöchentlichen Dosis als Prophylaxe zur Pflicht gemacht. Resochin galt damals fast als Wunderdroge und wirkte ohne allzu böse Nebenwirkungen. Erst Jahre später entdeckte man, dass dieses Mittel als 'Nebenwirkung' auch eine heilende Wirkung bei Rheuma hatte. Mit Resochin war man seinerzeit besser vor Malaria geschützt als heute, weil in der Zwischenzeit der Malariaerreger leider eine Resistenz gegen das Medikament entwickelt hat.
Veracruz, natürlich wieder so ein Ort, wo uns das Verlassen der Camping-Bullis zu riskant erschien. So machten wir unser Sightseeing eben vom Auto aus und stellten uns zur Übernachtung an den malerischen Palmenstrand von Mocambo. Dort konnten wir in Ruhe, das rauschende Atmen der karibischen Dünung im Ohr, ein kleines Jubiläum feiern: wir hatten den 20.000sten Kilometer unserer Reise unter die runderneuerten Reifen gebracht.
Schon seit Monaten hatten wir uns auf Anraten anderer Camper angewöhnt, abends vor dem Schlafengehen den Innenraum des Campers mit Mückenspray auszugasen. So konnten wir uns ein wenig der Plagegeister, hier im Süden vor allem gegen potentielle Malariaüberträger, erwehren. Seinerzeit ging man mit solchen Giften - da war DDT drin - noch sehr unbesorgt und unaufgeklärt um. Leider hatte unsere blecherne Schlafkiste noch keine Moskitofenster. Derartige kluge Errungenschaften waren erst im Kommen. Allerdings hatten wir uns Moskitogaze besorgt und diese in die Seitenfenster geklemmt. Bei unerträglich heißen Nächten verhängten wir einfach die geöffneten Türen mit einem großen Stück Moskitogaze.
Auf der Küstenstraße Nr.180 fuhren wir Richtung Süden nach Alvarado, überquerten dort auf einer Fähre die Lagune und brausten weiter in Richtung Coatzacoalcos. Zwischen diesem Hafen am gleichnamigen Fluss und der pazifischen Küste bei Tehuantepec befindet sich die schmalste Stelle Mexikos. Nur rund 200 Kilometer trennen hier die beiden Weltmeere Atlantik und Pazifik. Wir hatten folglich die Grenze zum geographischen Mittelamerika erreicht.
Vor Coatzacoalcos, in Minatitlan, wohnte mein Freund Georg Schiffer. Mit 'Schorschi' hatte ich vor einigen Jahren die Seefahrtschule in Lübeck besucht, wo wir uns zum Seefunker hatten ausbilden lassen. Georg, ein typischer Mecklenburger mit Wohnsitz im westfälischen Münster, war bereits als Elektriker zur See gefahren und hatte als Fernmeldetechniker auf Auslandsmontage einiges erlebt.
Sein unruhiges Abenteurerblut hatte ihn aber nicht lange bei der Handelsmarine gehalten. Er war nach Kanada ausgewandert, wo er an Bord eines kleineren Segelschulschiffs auf den Großen Seen als 'Mädchen für alles' eine Art Hausmeisterjob ausgeübt hatte. Doch Schorschi hatte die Lockungen des Südens verspürt. Also hatte er seine Habseligkeiten in seinen VW-Käfer gepackt und war in wenigen Tagen quer durch die USA bis nach Mexiko gefahren.
Wie so oft im Leben entscheiden sich Lebensläufe am Tresen einer Kneipe. Dort nämlich, in einer Pinte bei Puerto Vallarta, hatte Schorschi einen Belgier kennen gelernt, der mit seinem Team in ganz Mexiko moderne Telefonzentralen installierte. Mit dem vielbesungenen 'Trick siebzehn' war Schorschi in Mexiko geblieben und hatte fortan Telefonzentralen verdrahtet. Trick siebzehn? Das war die Plakette, die man als Tourist in Mexiko in die Windschutzscheibe klebte und die für mehrere Monate das Verweilen im Lande ermöglichte. Nach einer Arbeitserlaubnis hatte anscheinend niemand gefragt, und die große belgische Firma wusste bestimmt, wie man derartige bürokratische Klippen mit landesüblichen kleinen Bestechungen umschiffte.
Schorschi war in Mexiko geblieben, und ich freute mich sehr, meinen alten Freund in Minatitlan wiederzusehen. Es war ein Freitagnachmittag und Schorschi hatte sich frei genommen, so dass wir reichlich Zeit zum Plaudern und zum Austausch von Erinnerungen hatten. Er lud uns Vier zum Abendessen in ein beliebtes Strand-Restaurant im nahen Coatzacoalcos ein. Hier, zu Füßen der Sanddünen am langen Strand, fanden wir auch gleich einen passenden Platz zum Übernachten.
Das Essen war vorzüglich. Schorschi ließ sich nicht lumpen, und wir hauten genussvoll rein. Als Vorspeise gab es einen Krabbencocktail, und dann ein köstliches Grill-Steak mit allerlei Zutaten. Wir plauderten, schnackten und mampften und waren dem lieben Georg für seine herzliche Großzügigkeit sehr dankbar. Hatten wir doch lange genug an unseren eintönigen Pfannengerichten gekaut...
Mitten in der Nacht wachte ich mit Bauchkrämpfen auf und schaffte es gerade noch, in einem schamvollen Abstand vom Bulli eine Sandkuhle zu buddeln und mich zu erleichtern. Das ist höflich umschrieben. Ich bin einfach explodiert und war schockiert, dass ich mindestens zur Hälfte aus einer grausig stinkenden Brühe bestehen musste, die mir erst hinten und dann vorne gurgelnd entwich. Es war furchtbar, und mir wurde schnell klar, dass es sich nur um die Revanche des Aztekenkönigs, um Moctezumas Rache handeln konnte!
Kaum zurück im Bulli meldete sich Hildrun stöhnend. Ich begleitete sie zum Strand, wo sich bei Flut die See um unsere Hinterlassenschaft kümmern konnte. Ich habe es Hildrun erst viel später erzählt, dass sich da im hellen Vollmondlicht einer der Soldaten, die in regelmäßigem Abstand das bedrohte Ufer des Vaterlandes verteidigen sollten, das Schauspiel nicht entgehen ließ und gierig plierte. Erst als ich mich ihm demonstrativ zuwandte und abwinkte verdrückte sich der militante Spanner in die Dünen.
Im Laufe der Nacht war es uns schließlich völlig egal, ob da eine ganze Armee glotzte oder nicht. Von Krämpfen gepeinigt waren wir eigentlich leerer als leer und mussten doch immer wieder an den Strand hetzen, um dem wüsten Verlangen unseres Gedärms Folge zu leisten und würgend und furzend um Gnade zu flehen.
Inzwischen hatte sich auch Uschi aus dem Nachbar-Bulli an den Strand geschlichen und kam stöhnend und entsetzt zurück. Bis zum Morgengrauen eilten wir abwechselnd an den weitläufigen Karibikstrand. Nur Herbert mit seiner trägen Verdauung war noch nicht soweit. Der arme Kerl musste sich dann bei Sonnenaufgang ein Plätzchen suchen, was bei dem endlosen Strand ein sinnloser Versuch war. Zum Glück stand das Restaurant auf Stelzen und Herbert konnte dort etwas Deckung finden. Später, als dann endlich das Restaurant öffnete, konnten wir dort die Toilette benutzen.
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