Die Mundpropaganda der Rucksackreisenden und Weltenbummler war tatsächlich noch gültig gewesen. Oft ist ja das geheime Weitersagen von Hinweisen auf ein letztes Stück Paradies das Ende so eines 'Geheimtipps'. Doch wir hatten noch Glück, und hatten ein Idyll gefunden!
Mittlerweile hat dort Sylvester Stallone 'Rambo' gedreht. Und in den Siebziger-Jahren hatten korrupte Polizeikräfte im geheimen Auftrag der Regierung bei Pie de la Cuesta mindestens 143 angebliche Guerilleros der 'Partei der Armen' brutal ermordet und die Leichen vom Flugzeug aus weit draußen im Pazifik 'entsorgt'.
Erfreulicher ist da das Geständnis des leider 2014 verstorbenen Literaturnobelpreisträgers Gabriel Garcia Marquez, dass ihm hier 1960, während einer Fahrt von Acapulco nach Pie de la Cuesta, die Idee zu seinem berühmten Roman 'Hundert Jahre Einsamkeit' gekommen war.
Wir lernten Harald und Valerie kennen. Valerie war Engländerin, Harald Deutscher. Beide lebten in Kanada und machten auf die ganz rustikale Art eine mehrmonatige Reise im VW-Käfer. In der blechernen Knutschkugel zu schlafen war schon eine asketische, wenn nicht gar sportliche Leistung. Schnell fanden wir Gefallen aneinander und beschlossen, die Zeit hier am Fuße des Hügels - Pie de la Cuesta - zwischen Pazifikbrandung und Kokospalmenrauschen gemeinsam zu verbringen. Harald war Hotelkoch und mit diesem Beruf schon weitgereist. Wir staunten nicht schlecht, wie er geschickt in einer riesigen Eisenpfanne auf einem kleinen einflammigen Coleman-Stove das Frühstück zubereitete. Auf der einen Seite brutzelten Spiegeleier, in einer anderen Ecke garten Kartoffelscheiben, daneben einige Zwiebelringe und Tomatenstücke. Die Kochhitze wurde durch spielerisch wirkendes Hin und Her der Pfanne geregelt. Man merkte, Harald wusste, was er tat.
Es waren herrliche Strandtage. Endlich, nach den Wochen im kühlen Hochland Mexikos, konnten wir uns volltanken mit Sonnenschein und Tropenklima. Meine Gitarre kam immer wieder zum Einsatz. Songs von Bob Dylan und Trini Lopez waren angesagt. Während meiner Seefahrtzeit hatte ich in Süd- und Mittelamerika einige spanische Lieder gelernt, vor allem die sehnsuchtsvollen Schmachtfetzen des 'Trio Los Panchos'. Hildrun und ich versuchten uns auch an typischen mexikanischen Klassikern wie 'La Llorona' und, natürlich, 'La Bamba', was unsere mexikanischen Nachbarn stets mit Sympathiebekundungen belohnten. Wir feierten vergnügt in die warmen Tropennächte hinein, ließen uns von der Farbenpracht pazifischer Sonnenuntergänge berauschen, und wenn wir besonders neckisch drauf waren, rannten wir zur nahen Lagune und badeten nackt.
Zu unserer sparsamen Ausrüstung gehörte auch ein kleines aufblasbares Plastikboot, eher ein Spielzeug. Harald fand es aber groß genug, um damit auf der Lagune fischen zu gehen. Draußen auf dem See wurstelten wir mit dem Angelzeug herum, was mich sehr an meine Kindheit am Bodensee erinnerte, wo wir mit primitivster Ausrüstung Fische angelten. Auch hier funktionierte es schließlich und wir holten einen kleineren 'Catfish', eine Art Wels aus dem Wasser.
"Klappt ja prima!", jubelte ich, während Harald in Gedanken bestimmt schon an einem leckeren Fischgericht bastelte.
Als Kind hatte ich gelernt, Fische gleich zu töten und nicht endlos zappeln zu lassen. Harald war der gleichen Ansicht. Also legte ich den Burschen auf den Bootsrand und schlug ihm kräftig in den Nacken. Leider war das nicht klug, denn Welse sind ziemlich stachelig am Ende ihrer Flossen, und so ein spitzes Teil bohrte sich nun in das aufblasbare Gefährt. Tja, wir hatten einen Platten - und das Ufer war mindestens einen Kilometer entfernt.
Harald paddelte. Ich hielt das Loch zu. Trotzdem entwich immer mehr Luft aus einer der drei Luftkammern und machte unsere kleine Titanic immer schlapper. Wir mussten der Tatsache ins Auge sehen: Schiffsuntergang! Doch wir nahmen diese kleine Katastrophe mit Humor. Schließlich konnten wir schwimmen, und von Krokodilen in der Lagune wussten wir nichts. Wir schwammen gelassen heimwärts, schoben das Plastikwrack vor uns her und sahen zu, dass unser Fang nicht über die Kante ging. Und Harald wusste, wie man auch aus nur einem einzelnen 'Catfish' eine leckere Suppe zaubert.
Am Ufer der malerischen Lagune hatten sich ein paar Kanadier ein Stück Land gepachtet und aus Camp-Trailern und einem Überdach aus Palmblättern eine urige Sommerresidenz gebaut. Eigentlich war es ein Winterfluchtort. Sie erzählten uns, dass sie bereits mehrere Jahre während der Winterzeit, wenn in Kanada sowieso viele Jobs gekündigt werden, hier im tropischen Mexiko das einfache Leben genießen. Sie waren die ersten 'Snowbirds', die wir kennenlernten. So werden nämlich eine Vielzahl von Kanadiern genannt, die sich einen zweiten Winterwohnsitz im Süden - vorzugsweise Florida - leisten, und von November bis April, wie die Snowbirds und andere Zugvögel, dem kalten Norden Richtung Süden entfliehen.
Mittlerweile hatte sich die mexikanische Nachbarschaft an unser Hippie-Lager gewöhnt und kam regelmäßig zu einem Plausch vorbei. Einmal, als ich Wasser aus der Zisterne holte, rettete mich die Tochter unserer Vermieterin vor einer schmerzhaften Erfahrung. Fröhlich zog ich das Seil, an dem der Wassereimer hing, Hand über Hand aus dem Wasserloch. Wir plauderten gerade über irgendetwas als sie plötzlich aufschrie: " Cuidado! Alacrán!- Vorsicht, ein Skorpion!"
Mit der nächsten Hand hätte ich voll in das stachelbewehrte Spinnentier gegriffen, das stoisch auf dem Seil hockte. Mann, ich hatte wirklich Glück gehabt und dankte dem aufmerksamen Mädchen, das sich in unserer Gesellschaft sichtlich wohl fühlte.
Sie rettete mich vor dem Alacran
Die Bevölkerung an der Küste lebte vom, noch, spärlichen Badetourismus und vom Fischfang. Den Badegästen konnte man schattenspendende Unterstände mit Picknicktischen und Strandstühlen vermieten. So ein praktisches Teil also wie wir es gemietet hatten. Oder man wanderte am endlosen Strand entlang und versuchte ein paar Pesos durch den Verkauf von Bananen, Obst oder Tamales zu verdienen. Wir hatten uns mit einer Strandverkäuferin angefreundet, die regelmäßig vorbeikam und uns mit Obst versorgte.
So lernten wir, dass Papayas erst durch etwas Limettensaft richtig schmackhaft werden. Und wir versuchten zum ersten Mal Mameyes, etwa so groß wie Mangos, mit einem ebenso großen Kern, aber braunem Fruchtfleisch, das ein wenig an Schokoladenpudding erinnert. Wir versuchten auch ihre Tamales, ein in Maisblättern gegartes mexikanisches Fingergericht in allerlei Variationen. Sie schmeckten wirklich gut und wir verdauten sie ohne von Moctezumas Rache, dem landesüblichen Durchfall für Touristen, heimgesucht zu werden.
Apropos Moctezumas Rache: Wir vermieden es nach Möglichkeit irgendetwas Nicht-selbst-Gekochtes zu essen. Salat, Tomaten, Gemüse oder Obst wuschen wir mit Wasser, in dem wir ein paar Kristalle Kaliumpermanganat gelöst hatten. Diese violette Lösung ist ein vielseitiges Desinfektionsmittel, mit dem man gegen Erkältungen gurgeln, Fußpilz bekämpfen oder eben Bakterien abtöten kann. Vor allem beim Wasser waren wir sehr vorsichtig, denn in Mexiko wurde Trinkwasser auch von der einheimischen Bevölkerung nur in großen Wassergaraffen gekauft. Wir füllten zwar unsere Wasserkanister meistens beim Tanken an der Tankstelle auf, entkeimten es aber stets mit 'Micropur', das wir von Deutschland mitgenommen hatten. So hatten wir immer gutes Trinkwasser. Wir hatten uns auch schon mal am Tor einer Getränkefabrik von den dortigen Arbeitern die Kanister mit 'Agua Purificada' auffüllen lassen.
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