„Ich liebe dich, Tarpen, natürlich und unendlich!“, quoll es bebend aus mir hervor. „Ich habe dich schon vom ersten Augenblick an geliebt. Ja, ich liebe dich! Hörst du das? Lebe, bitte lebe für mich und trink das jetzt! Vertrau mir! Du darfst nicht sterben!“
Ich drückte meinen vor Blut tropfenden Arm in seinen Mund. Er musste trinken, bevor er starb!
„Das ist der schönste Tag meines Lebens!“, flüsterte Tarpen mit letzter Kraft, sah mich lächelnd an. Er trank endlich von dem Blut und schwieg dann. Ich küsste inbrünstig seine Lippen. Mein roter Nektar tropfte aus meiner Kopfwunde in seinen Mund. Sein Lebenswille erlosch, seine Augen brachen, er war tot.
Ich senkte die Lider. Die Welt stand still und erstarb. Bitter und grausam war das Leben. Jetzt konnte ich bloß auf die besondere Kraft meines Blutes hoffen. Es würde ihn verwandeln, wie mich einst das Blut eines anderen Vampirs gewandelt hatte. Ein neues Leben erwartete meinen Freund. Gleich hatte ich einen Gefährten.
Das Schicksal hatte uns aneinander geschmiedet und ihm die Entscheidung abgenommen, ob er diesen Weg beschreiten sollte. Und wenn ich ehrlich war, freute ich mich, denn fortan würde ich nicht mehr allein sein. Mein Geist träumte uns schon durch die Städte Europas. Wir würden überallhin ziehen. Ja, Urlaub machen wie ein Liebespaar für unendlich lange Zeit.
In diesem Augenblick strömten die Worte des Buddhisten noch einmal durch meine Gedanken. Karma hatte uns füreinander geschaffen, von Gefährten zu Liebenden werden lassen. Reichte das nicht? Wozu brauchte ich noch Rache? Gegenüber der Liebe erschien sie mir in diesem Moment vollkommen bedeutungslos. Sie konnte warten, mein Tarpen war unendlich wichtiger. Als Vampir könnte ich mich ihm auch ganz hingeben. Sein Leben wäre nicht mehr in Gefahr.
Jetzt verabscheute ich mein Treiben mit den anderen Männern zutiefst. Wie eine Schlangenhaut würde ich die Nymphe von mir abschütteln, den Schmutz hinter mir lassen und meinen Körper mit der Reinheit der Liebe abwaschen. Wir waren fortan ein Paar, in alle Ewigkeit miteinander verbunden.
Die Partisanen zogen sich zurück. Die Gegenwehr der kampferprobten Tschechen war zu groß. Diese verfolgten die Fliehenden und gewährten keinerlei Gnade.
Als alle Teufel endlich in ihrem eigenen Blut lagen, grub man mich unter den Trümmern des Waggons frei. Mein Bein war schwer verletzt. Ein Brei aus malträtiertem Fleisch gewährte den Blick auf den Knochen. Der Seelenschmerz ließ mich jedoch den körperlichen nicht wahrnehmen.
Die Soldaten begannen die Toten aus den eigenen Reihen notdürftig zu begraben und deren Marken einzusammeln, damit sie die Angehörigen benachrichtigen konnten. Als sie Tarpen abholen wollten, verbot ich es.
„Er lebt noch und ist bloß ohnmächtig“, wandte ich ein. „Lasst ihn bei mir.“
Der Sanitäter, der mich verband und mein Bein schiente, fühlte sicherheitshalber nach Tarpens Puls und schüttelte den Kopf. „Er ist tot“, bestätigte er den Soldaten.
„Ich gebe ihn nicht her!“, rief ich erbittert und stieß mit dem gesunden Fuß nach dem Sanitäter. „Er ist mein!“
Die Soldaten blickten bedauernd auf mich. Sie vermuteten, ich wäre verrückt geworden. So etwas gab es häufig. Nicht jeder kam mit dem Schrecken des Krieges klar. Zum Glück gab es genug anderes zu tun. Sie ließen von mir ab und beerdigten ihre anderen Kameraden.
Dafür tastete jetzt der Staatsanwalt nach dem Puls meines Liebsten. Sokolow hatte überlebt. Sein Gesicht verlor sich in tiefer Betroffenheit. „Kein Anzeichen von Leben. Er ist wirklich verstorben“, erklärte er und setzte sich zu mir, um meine Hand zu halten. „Bitte akzeptieren Sie die Tatsache. Sie müssen das begreifen.“
Seine Frau sagte nichts. Sie war ebenfalls zu uns getreten. Tiefes Mitgefühl stand in ihren traurigen Augen.
Blinzelnd starrte ich auf das ungleiche Paar. Wie durch ein Wunder war den beiden nichts geschehen. Der Staatsanwalt umklammerte sogar den Griff seines ledernen Koffers.
Als Sokolow meinen Blick auf das Gepäckstück bemerkte, hellte sich seine Miene auf. „Keine Sorge“, beruhigte er mich, „dem ist nichts geschehen! Das war die Vorsehung und …“ Pikiert rieb er sich die Nase. Er bemerkte, wie unpassend seine Bemerkung in dieser Situation war. Wie viel Wert besaß ein Koffer voller Beweismaterial gegenüber dem Leben des liebsten Menschen?
Einige Soldaten scharten sich wieder um mich, um den Toten abzuholen. Ich schwieg und schüttelte grimmig den Kopf. Was sollte ich den Sterblichen erklären?
Niemand konnte mich jedoch dazu bewegen, Tarpen herzugeben. Alle Versuche, mir meinen Liebsten fortzunehmen, scheiterten. Wie eine Wahnsinnige klammerte ich mich an ihn. Ich würde nicht zulassen, dass sie ihn begruben. Er würde bald erwachen. Er musste! Nichts anderes ließ mein Herz zu. Und die Logik des Blutes schloss sich meinem Herzen an. Ich war eine Vampirin, folglich konnte ich andere zu Vampiren machen. Gleich würden wir wieder vereint sein!
Lediglich das Eingreifen seines Cousins verhinderte, dass die Soldaten mir Tarpen endgültig wegnahmen. Am Ende trugen sie mich zusammen mit seinem leblosen Körper ein Stück in den Wald hinein und lehnten uns an einen zerstörten Waggon. Ein Sanitäter schiente und verband mein verletztes Bein.
„Das sieht nicht gut aus“, stellte er gelassen fest. Er sah so etwas jeden Tag. Dann luden sie das Gepäck, die Waffen und die verbliebene Munition in den letzten am Zug hängenden Wagen. Die tödlich Verletzten erschossen sie gnädig, die Schwerverwundeten legten sie auf das Gepäck. Alle anderen mussten zu Fuß weitergehen. Sie stapften dem Rest des intakten kleinen Zuges hinterher. So wollten sie es bis zur nächsten Station schaffen.
Mich ließen sie zurück, da sie keine Gewalt gegen mich ausüben wollten. Es kam auf mich Verletzte nicht an.
„Kommen Sie so schnell nach, wie Sie können!“, ermahnte mich die schwangere Frau Sokolows und ihr Mann nickte ernst. Doch ihre Augen zeigten mir, dass sie nicht daran glaubten. Meine Verwundung erschien ihnen zu groß. Sie gingen davon aus, dass es ein Abschied für immer war.
„Schauen Sie nicht zurück! Sie müssen an Ihr Baby denken!“, bestärkte ich sie tapfer lächelnd. „Für euch gibt es noch Hoffnung.“
„Danke nochmals, vielen Dank, dass Sie uns geholfen haben!“ Tränen standen in den Augen beider.
„Das habe ich gern getan!“, entgegnete ich erschöpft. Sie sollten alle gehen.
Einzig Tarpens Cousin, der Leutnant, blieb gegen meinen Willen bei mir. Er sagte kein Wort, beobachtete mich und die Umgebung, deren Luft jederzeit von einem Schuss durchschnitten werden konnte.
„Sie sollten mit den anderen gehen“, wandte ich mich an ihn. „Die Partisanen werden sicher zurückkommen.“
Ich musste ihn irgendwie loswerden. Er sollte keinesfalls Tarpens Verwandlung und meine schnelle Heilung erleben. Schon jetzt spürte ich, wie das Wundloch an meinem Rücken schrumpfte. Es zog sich zusammen. Bald würde da jungfräulich frische Haut sein.
Vorsichtig sah er sich um, ob ihn niemand hörte. Dann lehnte er sich zu mir vor. „Ich könnte dich niemals allein lassen!“
Diese Worte machten mich unruhig. Es war das erste Mal, dass er mich so vertraut ansprach. Aus Respekt vor Tarpen hatte er das Gespräch mit mir gemieden und mich stets mit Sie angeredet.
„Aber Sie müssen mich allein lassen“, versuchte ich ihn erneut zum Gehen zu bewegen und den Abstand zwischen uns aufrecht zu erhalten. „Tun Sie es für Ihre Familie. Es reicht, wenn sie Tarpen verloren hat.“
Eine bittere Flüssigkeit bildete sich auf meiner Zunge, als ich auf die schlaffen Züge meines Seelengefährten herabsah. Hatte das bei mir auch so lange gedauert? Ich wurde zunehmend nervöser. Warum gerann Tarpens Blut und warum schlossen sich seine Wunden nicht?
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