Die bisherigen Programmverantwortlichen hatten aus meiner Sicht einen Fehler nach dem anderen gemacht. Die Einführungskampagne »Wir können mehr als nur Dudelfunk« warb für die Konkurrenz. Der Informationsanspruch funktionierte ohne das Korrespondentennetz nicht. Man kann einfach nicht mal bei Claus Kleber in Washington anfragen. Dadurch wurde in den ersten anderthalb Jahren viel vom rias2-Image zerstört. Es waren ja auch nicht mehr die Leute mit dem Pioniergeist da, die Mitte der 1980er-Jahre das neue Programm aufgebaut hatten. Der Punkt war, du musstest was anderes machen, was Neues.
Nachdem ich an einem Freitag unterschrieben hatte, habe ich gleich Dennis King, der mittlerweile bei einem Privatsender in Ulm arbeitete, angerufen. Dennis hatte mich bei meiner ersten Radiosendung 1985 beim RIAS an die Hand genommen, weil ich so nervös war. Am Samstagmorgen saß er in meiner Küche und wir haben gequatscht. Danach hat er seine Sachen in Ulm gepackt und am Montag bei uns moderiert.
Der zweite Anruf ging an Gerlinde Jänicke, die zusammen mit meiner Tochter in die Schule ging und immer der Klassenclown war. Damals briet sie Burger, bis ich sagte: »Du hast deinen letzten Burger gedreht, ab Montag bist du Volontärin bei 94,3 rs2.« An Gerlinde habe ich geglaubt!
Mit den beiden fing die Neuzeit von 94,3 rs2 an. Dann kam Karsten Klaue dazu, danach Andreas Dorfmann. Mit Arno Müller von 104.6 RTL hatte ich die Abmachung, dass er mich ein bisschen früher ziehen lassen würde, wenn ich ihm verspräche, keinen von 104.6 RTL mitzunehmen. Als erster wollte Karsten zu 94,3 rs2. Ich sagte ihm: »Ich kann dich nicht abwerben, du musst kündigen und 90 Tage warten, und dann stell ich dich ein.« Danach wollte Dorfmann zurück und fing an, in Sachsen das Mittagsmagazin für den MDR zu machen.
Mit Dorfi und Dennis hatte ich zwei Leute, mit denen ich die Verbindung zum alten RIAS wieder herstellen konnte. Dazu kam Karin Kuschik, die früher bei rias2 noch Volontärin war, jetzt aber festangestellt und Morgenmoderatorin. Karin war gigantisch! Mit ihr machte der Sender die erste Plakatierung in Berlin, die eine Moderatorin zeigte. Die großen Kampagnen zeigten damals nie Discjockeys. Ich sagte: »Die Karin sieht gut aus, klingt gut, die kommt auf das Plakat.« Leider hat ihr dann der SFB das dreifache Geld für die halbe Arbeit angeboten, was eigentlich den Anfang vom Radiokrieg darstellte.
Bernd Ortwig, der Chefredakteur, war ein Profi. Als bei Siemens in der Voltastraße eine Bombe gefunden wurde, sollten wir den Sender räumen, doch Dennis, Bernd und ich haben uns in einer Kammer eingeschlossen. Von dort aus sind Bernd und ich aufs Dach geklettert, um live zu berichten, während Dennis im Studio blieb. Als ich Bernd fragte, was machst Du, wenn die Bombe hochgeht, sagte er: »Keine Ahnung, aber es ist geiles Radio.«
Unverwechselbar: Rik 1994 und 2012
Anstelle der zweistündigen Kirchensendung wollte ich jemanden für den morgendlichen »Radio-Express«. Ich sprach Jürgen Fliege an, der auch gleich zusagte. Ab dem 11. Oktober 1993 moderierte er die 5-Uhr-Stunde selbst und brachte auch Themen ein. Danach hat er mehrmals die Woche am Telefon gesessen. Uns ging es wegen der Quoten damals relativ beschissen, das waren ganz trübe Zeiten. Jürgen blieb oft den ganzen Tag im Sender, bis ihn dann leider Antenne Bayern wegkaufte. Was mich echt ärgerte, war, dass bei den Kirchen in Berlin und Brandenburg niemand diese tägliche Aufgabe übernehmen wollte, obwohl sie jeden Sonntag vor leeren Kirchen predigen.
Markant war auch unsere Stimme der Nacht: Mike Dee, dem eine Diskothek in Rudow gehörte, in der ich aufgetreten war.
Als ich hier Programmchef war, ging es darum, dieses große Schiff mit den riesigen Hörerverlusten wieder in ruhiges Fahrwasser zu bringen. Ich hatte beim Einstieg wirklich unterschätzt, was es bedeutet, die Verantwortung für so viele Leute zu tragen. Am Anfang musste ich so viele entlassen, das war hart. In dieser Zeit bot mir Peter Schwenkow an, als geschäftsführender Programmchef bei seinem Radio jfk mitzumachen, doch ich habe abgelehnt.
Glücklicherweise haben wir aber die richtigen Mitarbeiter gefunden. Viele aus dem Westen wollten unbedingt beim RIAS arbeiten oder eben weitermachen – unabhängig vom Geld. Die Ostler, es ist schon fast peinlich, wie die diesen Sender geliebt haben. Wir haben sehr davon profitiert, dass nach der Wende gut ausgebildete Ostmoderatoren als alte RIAS-Fans unbedingt hier arbeiten wollten. Diese Begeisterung in Ost und West – das war am Ende die Rettung von 94,3 rs2. Die neue Mannschaft arbeitete mit Liebe und Stolz, weil sie definitiv nicht wegen des Geldes bei uns war. Wir alle wollten ein Radio für den bodenständigen, normalen Berliner machen, den Klempner aus Neukölln, den Nachbarn aus dem Wedding oder in Pankow.
Fünf Jahre Programmchef von 94,3 rs2 zu sein, war ermüdend, vor allem nach den verheerenden Zahlen in der Anfangszeit. Nicht immer läuft es rund, Radiostar zu sein, heißt zwangsläufig, dass dich mehr Leute hassen als mögen. Wir haben das Ding umgedreht. Als ich wegging, waren wir die Nummer 1 bei den 30- bis 39-Jährigen in Berlin.
Rik DeLisle, Programmdirektor (1993 – 1997)
Prof. Dr. Peter Schiwy: »rias2 ist mein Baby «
Sie waren nicht mehr beim RIAS. Was hat Sie bewogen, sich derart für rias2 einzusetzen?
Prof. Dr. Peter Schiwy, 1.
Geschäftsführer von 94,3 rs2
Schiwy:Es war eine richtige Bewegung. Viele Leute wollten, dass rias2 weiterlebt. So dachten auch die Macher des Programms. Sie dürfen nicht vergessen, rias2 war mein Baby. Ich war in den 1980er-Jahren als Intendant zum RIAS zurückgekommen und hatte gesehen, wie der Sender langsam starb. Pro Jahr verlor er etwa 10 Prozent seiner Hörerin nen und Hörer. Die Jungen gin gen zu SFBeat. Samstagsvormit tags lief dagegen im RIAS noch »peruanische Hirtenlyrik«. Als ich die aus dem Programm kippte, bekam ich zehn wütende Hörer briefe, alle aus dem Umkreis des Iberoamerikanischen Instituts. 1985 habe ich dann die Programmre form durchgesetzt. Ich hatte die Unterstützung der Amerikaner, die auch sagten, so ein Sender muss wenigstens auch ein massenattrak tives Programm haben. So haben wir mit rias2 einen Vorläufer des Formatradios gestartet – mit jugendlicher Ansprache, aber reich an politischer Information. Später habe ich RIAS TV angestoßen. Kurz gesagt, ich war dem RIAS und den Programmen auch emotional verbunden. Der Sender sollte gerade wegen seiner großen politischen Verdienste um Berlin programmlich auch wieder eine publizistische Führungsrolle übernehmen.
Weswegen waren Sie sich so sicher, dass auch ein privatisiertes Radio funktionieren könnte?
Das Programm war erfolgreich, in West wie Ost. Wir haben sogar versucht, die Menschen im Osten nach ihrer Meinung zu befragen. Es gab Forscher an der Uni Bamberg, die fragten Westdeutsche nach Besuchen ihrer ostdeutschen Verwandten in der DDR nach deren Hörgewohnheiten. Das war zwar wissenschaftlich lange nicht so präzise wie die Hörerforschung heute, aber wir wollten einfach nur wissen, ob die Leute beim Frühstück Radio hörten, ob sie Ost-oder Westsender hörten, um unser Programm danach ausrichten zu können. RIAS-Anspruch war es doch, die DDR und Ostberlin zu informieren. Dabei ging es uns immer um bodenständige Information. Wir haben dabei immer streng darauf geachtet, keine Formulierungen zu gebrauchen, die uns den Vorwurf des »Hetzens« einbringen könnten.
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