Irgendwann fuhr ich mit Juán per Motorrad zum Schwimmbad, er wollte mir den Bischof vorstellen. Karl Ritter, ein Rosenheimer, wie ich rausgefunden hatte. Es war das erste und letzte Mal, dass ich das Schwimmbad betrat. Ritter saß auf einer Bank und schraubte an einem elektrischen Bauteil herum. Er schaute uns bei unserer Ankunft nicht mal an, grüßte beiläufig Juán und schraubte weiter, ohne aufzuschauen. In etwa zehn Meter Entfernung von ihm tummelten sich zwei riesenhafte Indios, fett und etwa zwei Meter lang.
»Monseñor, ich wollte Ihnen einen Freund und neuen Mitarbeiter des Munizips vorstellen, Robert Spreng, er kommt aus Deutschland, wie Sie auch.«
»Ach ja?« Er schaute auf zu uns, dann fokussierte er mich durch seine Nerdbrille, kurzer grauer Vollbart und zusammengekniffene Augen. Er war ziemlich fett. »Und? Für was sind Sie gut?« Er studierte mich kurz und wandte sich dann wieder gebückt seinem elektrischen Bauteil zu.
»Wer will das wissen?« fragte ich und zündete mir eine Zigarette an.
»Robert hilft mir sehr in der Baumschule, wir haben schon viele neue Gewürze angepflanzt und ansonsten unterstützt er vor allem den Bürgermeister in der lokalen Wirtschaftsförderung.« Juán litt, er hätte ahnen müssen, dass ich den Typ nicht würde ausstehen können.
»Die kommen und gehen. Wie viele von der Sorte hatten wir schon hier? Was haben sie letztendlich hier gemacht? Was haben sie hinterlassen?« Ritter schraubte weiter. »Ich habe ihn in der Messe noch nicht gesehen. Ist er katholisch?« Sein Spanisch klang sehr bayrisch.
»Du gehst scheißen!« murmelte ich leise auf Deutsch, er musste es gehört haben.
Er drehte seinen Blick zu Juán und meinte:
»Bring mir ein paar Setzlinge der Gewürze, welche sind es denn? Habt ihr Majoran?«
»Ja auch, aber wir haben auch Oregano und Thymian.«
»Interessiert mich nicht, ich will deutsche Gewürze. Habt Ihr Pimpernelle? Bohnenkraut?«
»Bald, Monseñor, wir arbeiten dran.« Juán schaute mich fragend an, ich wandte mich paffend ab.
»Na dann! Kann ich sonst noch was für dich tun, Juáncito?«
»Nein, Monseñor, ich danke Ihnen für die Zeit und die Aufmerksamkeit.«
»Ja, schon recht.« Ritter hatte sich wieder voll seinem elektronischen Bauteil gewidmet und beachtete uns nicht weiter. Wir verließen ihn, seine Riesenindios und sein Schwimmbad. Wieder auf Juáns Motorrad meinte ich:
»Wahnsinn, ist das ein Arschloch, Juán! Und du duckmäuserst so vor dem rum, ich glaub es nicht!«
»Ja, aber er ist der Vertreter Gottes hier in San Ignacio. Außerdem hat er Macht. Er kann sich wahlweise in einen Schimmel oder einen Rappen verwandeln, je nachdem, wie er drauf ist. Ich habe ihn letzthin in Schimmelgestalt am Ufer des Sees gesehen, wir fuhren grad raus nach San Rafael, es war um 05.30 Uhr, ich weiß es noch genau.«
»Ach, und das war der Bischof?«
»Ja, es gibt keinen Schimmel hier in San Ignacio, niemand besitzt einen. Es kann nur er gewesen sein.«
»Klar, dann kann es nur er gewesen sein.«
»Genau.«
Zu jenem Zeitpunkt hatte ich bereits etwa zehn Monate in San Ignacio verbracht. Die Lage im Haus schien stabil, auch wenn wir jetzt weniger Zeit zusammen verbrachten. Wilson war irgendwie sehr beschäftigt und blieb nun tatsächlich öfters mal über Nacht weg, ich fragte ihn nie, was er machte. Marcela war auch sehr beschäftigt, weil sie mit ihrem Chef Rafael an der endgültigen Formulierung des Fünfjahresplanes arbeitete, manchmal auch die Nacht durch. Ich achtete nur darauf, dass in dem Plan meine Vorschläge zur institutionellen Umstrukturierung des Munizips nicht zu knapp vorkamen.
Manuel war längst ausgezogen, er hatte San Ignacio bereits einen Monat nach meiner Ankunft verlassen. Er war mit einer Delegation des Munizips in den riesigen, abgelegenen Nationalpark im Norden gereist, wo ihn die Jungs reichlich verarscht hatten. Er war von Anfang an vom Dünnschiss geplagt gewesen und das Ganze hatte sich nach seiner Reise in den Norden noch verschlimmert. Die Typen vom Munizip hatten ihm dort geraten, einfach Flusswasser zu trinken, das sei schon okay.
Ergebnis war ein zweiwöchiger Aufenthalt im örtlichen Krankenhaus, er hatte sich die Amöbenruhr eingefangen. Er schiss sich in jenen zwei Wochen dort quasi die eigene Substanz aus seinem eh schon ausgeleierten Arschloch. Als er einigermaßen darüber hinweg war, reiste er ganz schnell ab. Er hatte sich nicht mal verabschiedet, er war einfach irgendwann nicht mehr da. Dafür kam wenig später eine neue Mitbewohnerin: Sandra, eine lesbische Spanierin. Etwas spröde, aber sehr nett und äußerst arbeitsbeflissen. Sie fiel mir erst gar nicht weiter auf.
David van der Waahn, der esoterische Jungspund im Angestelltenhaus, tauchte in jener Zeit wieder öfter auf. Er hatte Stress mit den Angehörigen eines seiner Patienten. Dieser war während eines jener Kotzkrämpfe, die David mit seinen Chlortrünken induzierte, am Gehirnschlag gestorben. Jetzt versteckte er sich im Haus. Er bat mich, ihn an der Tür zu verleugnen, was ich dann auch regelmäßig tat, wenn die Delegation der Angehörigen in Abständen wutentbrannt auftauchte. Ich sagte ihnen immer das, was ich vorher auch gesagt hätte: keine Ahnung, wo der sei.
Dafür war jetzt vor allem ich mit ihm konfrontiert, ich war ja der Einzige, der tagsüber zuhause war. Der Junge war zweiunddreißig Jahre alt, einsfünfundneunzig lang und auf dem geistigen Stand eines Siebzehnjährigen. Seine Gegenwart nervte, weil er immer und überall seine Spuren hinterließ. Die Küche sah nach seiner Benutzung aus wie ein Schweinestall. Seine Dusche im Angestelltenhaus funktionierte nicht mehr, also duschte er im Haupthaus und hinterließ dort regelmäßig sandigen Schlamm auf dem Boden.
Als ich mit ihm einmal in der Küche werkelte, benutzte er meinen Quirlstab, der in jenem Moment seinen Geist aufgab - die Kräuter-Körner-Masse, die er in der Mangel hatte, war einfach zu zähflüssig. Er schaute das qualmende Teil kurz an und schmiss es dann wortlos in den Mülleimer mitsamt Kabel.
»Sag mal, hast du Scheiße im Hirn?« meinte ich. »Ich habe den Rührstab für fünfzig Dollar in Santa Cruz gekauft, in einer Woche hast du einen neuen gekauft. Wenn nicht, gibt's Druck!«
»Ey, mach dich mal locker, das Ding war eh schon am abkacken …«
Weiter kam David nicht, ich drosch ihm voll eine Rechte nach oben in die Fresse. Die langen Heinis brachte ich immer zu Fall, Gleichgroße bereiteten mir hingegen Probleme. Er fiel rückwärts um und riss im Fallen den Zehnliter-Trinkwassertank vom Sockel, der zerschellte am Boden und alles war voller Wasser. Er wälzte sich stöhnend am Boden, ich beugte mich runter, packte ihn am Langhaarschopf und schrie ihm spuckesprühend ins Gesicht:
»Ich geh jetzt da raus ein Bier trinken, und wenn ich zurückkomme, ist das hier alles aufgewischt und wenn nicht, dann kommt der zweite Teil der Abreibung, ist das verstanden?« Ich ging raus und knallte die Haustür zu.
Nichts war gemacht, als ich nach einer Stunde zurückkam. David war aber verschwunden. Erst nach drei Wochen tauchte er wieder auf. Er sei in Santa Cruz gewesen, meinte er später. Seine Abwesenheit sorgte aber beim DED für Nervosität, keiner wusste, wo er war. Mir war's recht, ich protokollierte, dass er plötzlich nicht mehr da gewesen sei.
Die eingeschaltete Polizei wurde mit einem landesweiten Suchauftrag versehen. Als er dann wieder auftauchte, reportierte er dem Landeschef Hans Radeberger, dass ich ihn völlig grundlos zusammengeprügelt und aus dem Haus geworfen hätte. Er hätte ein schweres Trauma erlitten und legte sogar mehrere Atteste von Nervenärzten in Santa Cruz vor, die ihm Gewalttraumata bescheinigten. Ich wurde nach La Paz einbestellt, aber das Gespräch wurde glücklicherweise nach Santa Cruz verlegt, weil Hans Radeberger eh grad dort war. Das Ganze lief für mich glimpflich ab, weil Hans einerseits schon seine Pappenheimer kannte und ich ihm andererseits in ruhiger Weise von den Problemen vor Ort mit David erzählte. Insbesondere seine Heilaktivitäten - mit zuletzt letalen Ergebnissen - und seine berufliche Abstinenz stimmten ihn nachdenklich. Das alles war für ihn neu. Die DED-Zentrale in La Paz war von uns, den Mitarbeitern in San Ignacio, Lichtjahre entfernt. David kam danach wieder nach San Ignacio zurück, führte sein eher heimliches Leben im Angestelltenhaus noch einen Monat weiter und verschwand dann unbemerkt in die Heimat, sein Vertrag war gottseidank abgelaufen.
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