»Komm, wir gehen baden, es ist heiß!« meinte ich und ging zurück durchs Dickicht zu dem schmalen Uferpfad, auf dem Juáns Motorrad stand. Er folgte mir nörgelnd.
Ich ging in Unterhose ins Wasser, Juán wollte nichts vom Mitkommen wissen. Die ersten Meter waren nicht einfach, weil der schlammige Sand voll von Schilfstrünken war, die sich in meine Fußsohlen bohrten. Als ich hüfttief stand, war das seeseitige Mauerende immer noch zwanzig Meter entfernt und das Wasser wurde tiefer. Ich schwamm eng an der Mauer entlang. Schließlich konnte ich nicht mehr stehen, aber meine Füße berührten Algen. Das Wasser war sumpfig und gab nur ein paar Handbreit an Durchsichtigkeit her. Ich dachte an die Pirañas und schnellte mit einem kräftigen Zug hin zum seeseitigen Mauerende. Ich hockte mich auf den ins Wasser abfallenden Mauerrücken.
Was ich im Inneren des Geländes von dort aus erblicken konnte, war reine Wildnis, noch wilder als außerhalb der Mauer, dort, wo Juán stand und mir zurief, ich sollte zurückkommen. Das ganze von meinem Standort aus einsehbare Ufer des Geländes war mit hohem Schilf bewachsen. Aber an einer hervorstehenden Mini-Halbinsel war ein großes metallenes Ruderboot vertäut; am Heck befand sich ein leichter Elektromotor. Hinter dem Boot war ein Trampelpfad zu erahnen, der durch das Schilf in Richtung des Inneren des Grundstücks führte. Ich zögerte kurz, machte Juán ein Zeichen, er solle warten, ich würde nur ganz schnell reinschauen. Juán legte sich die flache Hand auf Stirn und Augen und drehte sich ab.
Jenseits der Mauer ans Ufer zu gelangen war deutlich einfacher, da das Wasser weniger tief war und außerdem sandigen Untergrund bot. Ich watete entlang der hohen Mauer aus dem Wasser und konnte nun hinter das Boot sehen, wo der kleine, aber offensichtlich viel benutzte Pfad durchs hohe Schilfgras ins Innere des Anwesens führte. Das Ganze in Unterhose. Ich bewegte mich in Richtung Pfad und warf einen Blick ins Boot. Drin lagen mehrere professionell aussehende Angelruten und eine verschlossene Stahlkiste in grüner Armeefarbe. Ich betrat den Pfad und bemühte mich geräuschlos zu gehen. Aber das Kreischen der Zikaden übertönte sowieso fast alles.
Das Seewasser auf meiner Haut mischte sich mit meinem Schweiß, er lief mir die Stirn herunter in die Augen und brannte. Der Weg schlängelte sich durchs Schilf und nach dreißig Metern folgte hüfthohes Wiesengras. Die Moskitos nervten und ich wurde bereits böse gestochen. Ich stand unter den Ausläufern eines riesigen Mangobaumes im Schatten. Etwa in diesem Moment nahm ich Männerstimmen wahr, lautes Lachen und ich roch Grillfleisch. Eine Bierflasche wurde laut entkorkt. Die Villa war wegen des Mangobaums nicht zu sehen, dessen unterste Äste niedrig, vielleicht mannshoch breit und ausladend um diesen Giganten in die Horizontale wuchsen. Ich zögerte, ob ich mich nach links ins Gras schlagen sollte, um von dort einen Blick zu erhaschen. Das Haus zog mich magisch an.
Im Gras hockend dachte ich über die möglichen Gefahren in Form von Vogelspinnen und Schlangen nach, als ich rechts, in Richtung der Mauer plötzlich einen Typen in Tarnuniform sah, der auf einem anderen Pfad in meine Richtung kam. Er drehte sich plötzlich um, rief in einer fremden Sprache Wortfetzen zurück, gestikulierte laut lachend und machte eine obszöne Geste. Geduckt huschte ich wieder zurück ins Schilf und rannte dem Pfad zum Ufer zurück. Die Angst, die plötzlich in mir aufkam, verlieh mir Flügel und geschärfte Sinne. Zurück ans Ufer war ich rasend schnell gelangt, schlich nun aber langsam ins Wasser, um nicht zu viele Wellen aufzuwühlen. Als ich zum seeseitigen Mauerende gelangte, war der Typ aber bereits am Ufer angekommen - ein hässlicher Glatzkopf mit Vollbart und Narbe auf der Backe.
Ich machte gerade eine Wende, um auf die andere Seite zu gelangen und ans jenseitige Ufer zurückzuschwimmen. Ich sah ihn auftauchen und tauchte im selben Moment unter, bis ich auf die schützende Außenseite des Anwesens gelangte. Er musste mich gesehen haben. In kräftigen Zügen schwamm ich ans Ufer, von Juán war keine Spur zu sehen. Meine Kleider waren auch weg. Ich kletterte die Böschung hinauf, gelangte auf den Uferweg und rannte in die vom Anwesen wegführende Richtung, vermutlich in Rekordzeit, meine Füße waren blutig. Das bemerkte ich aber erst später.
Als ich keuchend bei einer am Weg gelegenen Baumgruppe ankam, rannte ich immer noch, hörte aber plötzlich hinter mir ein Rufen, es war Juán, der sein Motorrad mit meinen Sachen in den Schatten gebracht hatte.
»Fuck, da sind Leute drin!« meinte ich atemlos, nur unter Schwierigkeiten schaffte ich es stolpernd in die Jeans, warf mir das Hemd über.
»Wir müssen hier weg!«
»Wie? Wer soll denn da sein?«
Ich schnappte mir meine Stiefel und Socken. »Juán, ich hab doch keine Ahnung. Mir waren die Typen unheimlich. Lass uns starten.«
Er warf sein Motorrad an, ich schwang mich barfuß drauf, die Stiefel in der Hand, und weg waren wir. Wir fuhren wieder mal in eine der Holzhütten am Stadteingang und tranken ein heimliches Bier. Durst hatte ich jetzt wirklich, mein Mund war strohtrocken. Im Gespräch zeigte sich Juán tatsächlich unwissend. Zunächst wollte ich ihm das mit dem Nicht-Bewohnt-Sein nicht so recht abnehmen, Juán war ein Primakerl, aber die lokale Bevölkerung hütete so manche Geheimnisse, die den Fremden stets vorbehalten blieben. Es gab ganz einfach Themen und Dinge, die mit den Zugereisten nicht geteilt wurden und wenn überhaupt, dann erst nach sehr langer Zeit. In diesem Falle aber glaubte ich ihm. Er hatte keine Ahnung, wer die Haudegen auf dem gespenstischen Anwesen des Bischofs sein hätten können.
Den Bischof selber lernte ich zu dieser Zeit auch kennen. Weiter westlich am See, in Richtung des Staudamms, hatte er gleich nach seiner Ankunft vor dreißig Jahren ein kleines Seegrundstück gekauft und darauf ein Schwimmbad errichtet. Eine soziale Tat der Kirche, dachte ich mir zunächst, denn das Schwimmbad wurde von der jungen Bevölkerung intensiv genutzt. Es war fast jeden Nachmittag voll. Aber es war vor allem der Nachwuchs der weißen Kreolen in der Stadt, die es ausgiebig besuchten, denn nur diese konnten sich den Eintritt von einem Dollar an fast jedem Tag der Woche leisten, zuzüglich Speiseeis, gebratenen Spießchen und extrem süßen Brausegetränken. Letztere waren die Pest. Die Jugend soff das Zeug am Tag literweise rein. Zusammen mit der halben Tonne Reis, die jeder im Dorf am Tag verdrückte, hatte der Zucker in den Getränken verheerende Wirkungen - die Hälfte der Dorfbevölkerung über fünfzig hatte Diabetes.
Ich hatte Juán schon über den Bischof ausgefragt, vor allem, weil mich die Frage der Rinderherden sehr interessierte, die den Comunidades übergeben wurden, wenn letztere sich für einen solchen Schritt entschieden hatten. Nach etlichen Nachforschungen hatte ich verstanden, dass die Rinder allesamt vom Bischof kamen, die Verwaltung und Kontrolle leistete das Munizip. Wenn denn mal eine Comunidad dazu kam, tatsächlich die Rinder nach erfolgreicher Reproduktion zurückzugeben, landeten diese erst mal auf den verschiedenen Anwesen der Beteiligten. Der Trick war, dass die Rinder in deren gewogenem Gewicht übergeben wurden, aber eine wesentlich höhere Kopfzahl zurückgegeben wurde, in der Regel männliche Kälber mit geringem Gewicht - ein Jungtier wiegt ein Viertel einer ausgewachsenen Kuh. Die Jungkühe wurden von den Indianern einbehalten, denn die produzierten ja Milch, an der Stiermast hatten sie kein Interesse. Dafür der Bischof und die Truppe vom Munizip umso mehr: Sie brachten die Jungbullen nach der Rückgabe auf ihre Haziendas und mästeten sie dort. Da die Abrechnung mit dem Munizip und dem Bischof über das Gewicht der geliehenen Tiere ging, mussten sie, nach einem Jahr Einbehalt der Tiere, nur einen kleinen Teil der Jungstiere tatsächlich an den Bischof abliefern. Denn nach erfolgreicher Mast hatten diese das Gewicht der zuvor übergebenen Herde bei Weitem überschritten und der Überschuss an Gewicht konnte auf eigene Rechnung sehr gewinnträchtig verkauft werden. Damit keiner dabei schlecht wegkam und der Bischof auch mitverdienen konnte, hatten die beteiligten Akteure eine Art Pool gebildet: Die Einkünfte wurden, egal, auf wessen Hazienda die Mast gerade stattgefunden hatte, zu gleichen Teilen verteilt. Klar, dass die sich auch untereinander beschissen, wie es grad so ging.
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