An strukturelle Änderungen im munizipalen Organigramm war da nicht zu denken. Für Peter war das okay. Ich erklärte ihm erneut, dass ich in dieser Zeit mit Rafael Rojas und Marcela am Fünfjahresplan weiterarbeiten würde und so zumindest garantiert wäre, dass dort alle von mir angestrebten Veränderungen im Munizip zumindest konzeptionell festgeschrieben würden. Außerdem unterbreitete ich ihm die Möglichkeiten meiner Arbeit mit Juán, der Leiter der städtischen Baumschule war, wo das ganze Ziermaterial für die städtischen Anlagen und die Frucht- und Gemüsepflanzen für die produktiven Projekte der Comunidades gezogen wurde. Man könnte Schulungen für die Landbevölkerung im korrekten Gartenbau abhalten und überhaupt neue Gewürze, Gemüse und Blumen anbauen und so aus der Baumschule eine Art Profit-Center machen. Ich hasste dieses Wort, aber Peter fand die Idee riesig. Er war jetzt netter und aufgeschlossener mir gegenüber und redete manchmal sogar deutsch mit mir.
Neben den Trips in die Peripherie der Indianergemeinschaften erkundete ich auch das nächtliche San Ignacio. Zunächst mit der Belegschaft des Hauses. Ich möchte nicht leugnen, dass wir zu dritt, also Marcela, Wilson und ich, ein paar echt gelungene Ausflüge in das lokale Nachtleben unternommen hatten. Es gab nur zwei Diskotheken, in denen fifty-fifty getanzt und Karaoke gesungen wurde. Trotzdem gelang es uns als - zu jener Zeit - eingeschworenem Trio, richtig einen draufzumachen. Später wohnte ich mit Marcela alleine im Haus. Wilson war kurz danach für zwei Monate nach Santa Cruz gezogen, wohnte bei einer Freundin und hatte extrem Wichtiges zu erledigen. Marcela und ich stürzten ein paar Mal zusammen gewaltig ab, wir tranken einfach zu viel, so dass ich den ganz bitteren Katzenjammer bekam. Irgendwann, eines Nachts, saß ich dann auf der Bettkante meines Bettes und schrie heulend nach meiner Mutter. Danach blieb ich erst mal eine ganze Zeit abstinent. Wenn man nicht aufpasst, macht der Alkohol einen fix und fertig. Nach dieser unangenehmen Erfahrung fing ich an, verstärkt Gras zu rauchen, das war weniger schädlich, günstiger und wurde per Telefonanruf von einem Mototaxista ins Haus geliefert.
In meiner Arbeit widmete ich mich vor allem der Baumschule, deren Leiter Juán Romero war. Wir teilten die Anbaufläche in vier Bereiche: zwei große Bereiche, in den einen wurden nach wie vor die Pflanzen für die städtischen Anlagen und Parks sowie die Kulturpflanzen für die produktiven Projekte der Comunidades gezogen, im anderen großen Teil wurden alle gängigen Gemüsesorten angebaut: Tomaten, Salate, Broccoli, Gurken, Kürbisse und so weiter. In den beiden kleineren Teilen zogen wir die Standardgewürze: Pfeffer, Rosmarin, Thymian, Oregano, Majoran und Petersilie. Im anderen bauten wir bekannte lokale und überregionale Heilpflanzen an. Ein Medizinmann aus einer nahegelegenen Comunidad unterstützte uns bei der Auswahl des Angebotes. Der verlor aber bald wieder die Lust, weil er sich nicht genügend respektiert fühlte.
Ich investierte das gesamte mir zur Verfügung stehende Jahresbudget in die Erneuerung der Baumschule. Das Geld reichte sogar, um die neben der Baumschule gelegene völlig zugewachsene Fischzuchtanlage aus den Siebzigern zu restaurieren. Mehrere tennisplatzgroße Zuchtbecken wurden neu ausgehoben und die Kanäle zur Wasserspeisung aus dem knapp oberhalb gelegenen Stausee ausgebessert. Es wurden Fischeier aus Partnerprojekten im amazonischen Norden des Landes herbeigeschafft, welsartige Knorpelfische mit wenigen Gräten.
Als die ersten Pflanzen sichtbar Gestalt annahmen, fingen wir an, Kurse zu halten, die sich an die Landbevölkerung richteten. Es ging vor allem darum, den Indianern klar zu machen, dass man mit Mühe und Sorgfalt sehr wohl gute Ernteergebnisse erzielen konnte. Es entstand sogar eine Art Koalition der Willigen, die sich auf die von Juán gecoachten Anfangsversuche einließ. Auch die Stadtbewohner hätten besser daran teilgenommen, denn alles Obst und Gemüse im Ort wurde teuer aus Santa Cruz importiert, anstatt es vor Ort selber zu produzieren. Aber die hatten keine Lust dazu.
In der immer noch üppigen Freizeit unternahm ich mit Juán viele Motorradtrips in die nähere Umgebung der Stadt. Ein paar Mal fuhren wir zu seiner nahegelegenen Finca, einem kleinen Haus mit drei Hektar Zitrusanpflanzung. Das Ganze war sehr idyllisch auf einem Hügel über einem See gelegen.
Außerhalb der Stadt, an der Ausfallstraße nach Santa Cruz, lag ein größeres Sägewerk, das einem Brasilianer gehörte. Der hatte ein ärztliches Attest auf Kokain, er hatte es amtlich verbrieft, dass er ohne sein Dope nicht leben konnte. Don Fafafa hieß er und er soff auch die ganze Zeit, aber nur Erlesenstes. Er hatte einen Privatkoch aus Peru, der ihm nach seinen Angaben leichte und gesunde, asiatisch beeinflusste Gerichte bereitete. Denn wenn man so lebte wie er, müsse man zumindest auf der Ernährungsseite Acht geben, meinte Don Fafafa. Der Grund, warum wir zu ihm fuhren war, dass er von den Gewürzen gehört hatte. Er wollte auch welche davon in seinem privaten Gemüsegarten haben, der gut in Schuss war.
Kaum waren wir in seinem Wohnzimmer, hatten wir auch schon jeder einen Eimer Whisky in der Hand, irgendwas mit Black Label. Don Fafafa bat Juán, dass er ihm doch bitte von jeder Gewürzart zwei Stecklinge schenken möge, er, Don Fafafa, würde sich auch in anderer Sicht erkenntlich zeigen. Er war ein hagerer, dunkler Typ mit Halbglatze und Nerdbrille. Sein brauner Anzug war Maßarbeit. Er wurde einen Moment still, wir schlürften an unserem Whisky.
»Und sonst, Juancito? Kann ich euch was vom Guten anbieten?« Er machte eine joviale Bewegung und war schon ziemlich unsicher auf den Beinen. »Wir sind ja hier an der Quelle. Mit jeder Station, die das gute Pulver von hier aus macht, sinkt die Qualität. Ein Jammer, also - wollt Ihr? Ich jedenfalls leg mal kurz nach.« Er setzte sich an seinen überdimensionalen Schreibtisch, löffelte mit einem Silberlöffelchen den Koks aus einer Silberdose auf die gläserne Schreibunterlage und zog dann mit einem Silberplättchen mehrere Linien. Nachdem er zugelangt hatte, sprang er auf und lief, immer noch schniffelnd, durch das Büro; dabei deutete er beiläufig mit einer ausladenden Bewegung auf die verbliebenen Koks-Linien. Ich dachte mir was soll's, ging hin und zog mir zwei rein, mit seinem Silber-Röhrchen. Das Ganze kam mir vor wie ein englisches Teeservice aus Silber, nur eben zum Koksen gemacht. Juán war unsicher und fragte, wie lange die Wirkung dauern würde, ob er danach noch Motorrad fahren könne.
»Dauert leider immer viel zu kurz. Mach dir keine Gedanken, wirst vor allem nüchtern. Sehr nüchtern.« Daraufhin kippte sich Don Fafafa ein ganzes Glas Whisky rein und redete weiter - mit sich selber, es wurde komplett unverständlich.
»Lass uns gehen,« meinte Juán leise, »der ist jetzt auf Autopilot, ich kenn das schon.«
»So breit oder was?«
»Ja, der wird dann ganz komisch, fängt an rumzuschwulen und so.«
Wir gingen, ich suchte Don Fafafas Blick, um nicht unhöflich einfach abzuhauen, aber Juán zog mich am Ärmel weiter. Der Koks war natürlich erlesen. Er tat nicht weh in der Nase, wirkte deutlich, aber leicht und hatte einen nicht so unangenehmen Geschmack, wie die gestreckte Ware. That's life, dachte ich mir, aber ich wusste auch, dass der Anfang beim Koksen immer das Beste war. Danach wurde der Rhythmus immer schneller, dauernd war man am Nachlegen, bis das Umfeld immer mehr verschwand und man wie in einer Einzelzelle mit der Kackdroge sitzt und immer nur noch mehr will.
Trotzdem waren wir gerade gut intoniert und fuhren in irgendeine der Holzhütten am Stadteingang, um ein paar Bier zu zischen. Das musste immer versteckt passieren, denn Juán hatte Angst, gesehen zu werden und dass dann im Munizip getuschelt würde oder gar Erwin Mendez ihn zur Belehrung einbestellen würde. Eine lächerliche Befürchtung eigentlich, denn die halbe Belegschaft des Munizips war ab Donnerstagmittag nicht mehr ansprechbar. Alle verschwanden dann heimlich, in irgendwelche Hinterhöfe, Spelunken oder Holzschuppen. Dort wurde dann knallhart gesoffen, manchmal bis Montag oder Dienstag. Sitzgelegenheiten an der Straße waren verpönt, da hätte man ja beim Komasaufen gesehen werden können. Marcelo Figueroa, der PR-Chef des Munizips und Moderator beim munizipeigenen Radiosender, verschwand manchmal wochenweise unentschuldigt und wurde nie entlassen. Erwin Mendez hatte also auch so seine menschlichen Seiten, seine Schützlinge schienen unberührbar. Juán war sich nicht so sicher, ob er bereits zu den Schützlingen gehörte, aber da er von Natur aus sozial unsicher war - seine Colla-Herkunft war hier eben wenig angesagt - wollte er kein Risiko eingehen und wir tranken unser Bier heimlich im Hinterzimmer. Allerdings war Juán auch von seinem Naturell her kein Drogen- oder Sauf-Typ.
Читать дальше