»Ich fahre übermorgen, wie ist es bei dir?« fragte ich schnell. »Kommst du mit?«
»Ja, gerne. Kennst du die Strecke?« meinte sie, ich freute mich bereits.
»Nein, ich bin ja gerade erst angekommen. Aber Christina hat sie mir genau beschrieben und erklärt, wo ich langfahren soll.«
»Prima, ich kenne die Strecke auch nicht. Aber zu zweit packen wir das schon.«
Ich mochte ihre dunkle Stimme, die nichts Mädchenhaftes hatte und immer irgendwie rau klang, vermutlich vom Rauchen.
»Es war nett gestern mit Tomás.« meinte ich.
»Sehr nett, ich mag ihn gerne. Er kann sehr lustig sein. Und er hilft mir sehr.«
»Was machst du denn heute Abend? Wir könnten noch mal was essen gehen?«
»Tomás hat mich zu sich eingeladen.«
»Ah so. Ihr scheint ja unzertrennlich.«
»Er möchte mir seine Familie vorstellen. Seine Frau soll sehr nett sein. Er hat zwei kleine Kinder.« Ich war erleichtert, dachte jedoch sofort daran, wer denn sonst noch so hinter ihr her sein könnte. Ich spann komplett.
»Prima, wie verbleiben wir?«
Wir vereinbarten, uns übermorgen um neun Uhr morgens zu treffen. Der Verlauf des Gesprächs hatte mich trotzdem enttäuscht, ohne dass ich genau wusste, was ich erwartet hatte. Vielleicht eine Liebeserklärung? Wahrscheinlich war es das. Ich war zu ungeduldig, wie immer.
Mir fielen meine Kinder ein, viel zu spät, denn es war bereits sechs Uhr abends und in Deutschland dementsprechend bereits zwölf Uhr nachts. Ich beschloss, sie morgen früh anzurufen. Ich rief Mathias an, aber der antwortete nicht. Ich sah eine Weile fern und versuchte noch ein paarmal, ihn zu erreichen, aber er ging nicht ans Handy. Um acht Uhr ging ich runter auf die Straße, um in einer Pizza-Slut-Filiale eine Pizza con Kacke zu bestellen, so zumindest hätte ich sie genannt, beschissen, wie sie schmeckte. Ich aß nur ein Stück und verließ den Nepp-Laden.
Wieder im Hotel rief ich Mathias erneut an, ich hätte ihn gerne nochmal gesehen vor der Abfahrt, er antwortete nicht. Ich würde es am nächsten Tag nochmal versuchen. Ich sah noch fern und schlief dann mit Hilfe zwei weiterer Biere ein.
Am folgenden Morgen raffte ich mich wieder auf, durch die Stadt zu tigern. Ich bekam wenig neue Eindrücke, außer, dass Santa Cruz zur Peripherie hin immer dreckiger wurde. Überall huschten leere Plastiktüten über die Straßen und die Kanalisation stank. Der heiße Wind wirbelte den Sand auf, der sich wie ein Schleier über die gesamte Peripherie und meine Haut zu legen schien. Der Tag war heißer als der vorige, so dass es bereits am Vormittag unerträglich war, in der Sonne zu laufen.
Ich drang bis zum vierten Ring vor, wo zwar immer noch viel Verkehr herrschte, aber trotz dichter Bebauung nur noch wenige Passanten unterwegs waren. Mittags aß ich etwas in der Casona und dachte über Mathias' Kommentar zur Loge nach. Tomás hatte erwähnt, dass Klaus Altmann alias Barbie Chef irgendeiner Großloge von Santa Cruz gewesen sei.
Danach rief ich meine Kinder an, die mir Vorwürfe machten, dass ich mich vier Tage nicht gemeldet hatte. Ich gab ihnen recht, ich vermisste sie sehr. Nach dem Gespräch fühlte ich mich aber auch wieder in den Trennungsschlamassel meiner Abreise zurückversetzt. Ich war - trotz aller Ferne zu meinen Kindern – froh, in Bolivien zu sein. Mir tat die Distanz gut und wahrscheinlich hatte Mathias recht gehabt, als er sagte, dass ich hier weniger Schaden anrichten würde.
Den Nachmittag verbrachte ich fernsehend im Hotelzimmer und checkte meine Mails. Ich hatte eine Mail von Peter Dijkstra. Er kündigte mir seinen baldigen Besuch in San Ignacio an, bei dem wir eine genaue Planung meiner Arbeit erstellen würden.
Weitere Anrufe bei Mathias führten zu keinem neuen Ergebnis. Ich ließ es sein und dachte mir, er würde sich irgendwann melden. Tomás antwortete ebenfalls zunächst nicht, meldete sich aber am Abend. Er wusste bereits, dass ich mit Odile nach San Ignacio reisen würde, und freute sich darüber. Er erwähnte, dass sie gestern bei ihm zum Essen war und dass es sehr nett gewesen sei. Er meinte, sie sei eine ganz besondere Frau.
Ich versuchte früh schlafen zu gehen, konnte aber schlecht einschlafen. Ich hatte Bauchschmerzen, vermutlich von der Pizza am Vorabend. Ich trank die drei Mini-Whiskys der Minibar aus, was etwas Erleichterung brachte.
Am nächsten Morgen ging ich ins Büro, um den Dienstwagen in Empfang zu nehmen. Ich kam um zehn Uhr an, die Versicherungspapiere waren natürlich noch nicht eingetroffen. Dafür aber mein zukünftiger Mitbewohner Wilson Mendoza. Ich unterhielt mich gerade mit Christina, als er unvermittelt die Tür zum Büro aufriss.
»Chris, hast du meine Abrechnung von vor zwei Wochen fertiggemacht und nach La Paz geschickt? Ich habe mein Geld immer noch nicht bekommen!«
»Du musst dich an Anneliese San Martín wenden. Ich habe das selbstverständlich abgeschickt.«
»Ich habe gleich eine Telefonkonferenz mit Peter, das ist sehr wichtig.« Er sagte das sehr druckvoll und aus dem Zusammenhang gerissen, fast schwul. Er war mittelgroß, etwa wie ich, krause Haare, vermutlich am ganzen Körper. Er wirkte wie ein Jahrmarktringer. Vielleicht hat Harry Houdini so ausgesehen, ihm fehlte nur der gezwirbelte Schnurrbart. Seine Augen waren weit aufgerissen, nicht wie auf Drogen, sondern wie die von Menschen, die immer Aufmerksamkeit und Präsenz vermitteln wollen, nach dem Motto: Ich schaue allen tief in die Augen.
»Das hier übrigens ist Robert, der auch in San Ignacio arbeiten wird. Robert, das ist Wilson, ich habe dir schon von ihm erzählt.« stellte Christina uns vor. Er machte zwei Schritte auf mich zu und schüttelte mir die Hand und strahlte übers ganze Gesicht.
»Hombre, endlich angekommen! Ich habe dir ein Zimmer bei uns im Haus reserviert. Du ziehst doch bei uns ein, oder?«
»Klar, ich wüsste sonst nicht, wohin.«
»Ich bin zwar jetzt ab morgen drei Wochen im Urlaub, aber ich habe dir einen Schlüssel kopiert. Im Moment ist nur Manuel dort, ein junger Kolumbianer, der vor zwei Wochen angekommen ist.« Er nestelte einen einzelnen Schlüssel aus der Minitasche seiner Jeans und drückte ihn mir in die Hand.
»Danke Wilson, sehr nett. Was kostet es denn monatlich?«
»Neunzig Dollar mit allem Drum und Dran, Zugehfrau, Internet, Strom und Wasser. Das Haus ist top, dir wird es gefallen.«
»Wer wohnt denn alles im Haus?«
»Das Haus hat vier Zimmer und eine kleine Hütte für die Angestellten. Da ist David untergebracht. Ansonsten wohnt da noch Marcela, die ist aber auch gerade auf Urlaub in La Paz. Ich habe aber mit Manuel gesprochen, er zeigt dir alles.« Dieser Manuel wohnte offensichtlich auch dort. Wilson gehörte zu der Art Leute, die wie selbstverständlich die Namen Dritter erwähnten, obwohl eigentlich klar sein musste, dass der Zuhörer diese nicht kannte.
»Klasse, Wilson, wie finde ich das Haus, wenn ich in San Ignacio ankomme?«
»Kein Problem, ich geb dir die Handynummer von Manuel, den rufst du an, wenn du angekommen bist. Ich selber komme in drei Wochen wieder, ich treffe mich in Argentinien mit meiner deutschen Freundin, die arbeitet dort als Krankenschwester.« Er strahlte mich an und gab mir die Handynummer von Manuel, ich speicherte sie. »Schön, dass du da bist, willkommen!« Er umarmte mich tatsächlich. Das war mir zu spontan, das Willkommen war ein paar Spuren zu freundlich, so blieb ich bei der Umarmung ein bisschen steif. Er strahlte weiter, sein Mund war riesig, die Zähne weiß, er stank aus dem Maul.
»Klasse Wilson, so werd ich das machen.«
»Super, dann sehen wir uns, wenn ich zurückkomme. Entschuldige mich bitte jetzt, gleich ruft Peter an, ich skype mit ihm über mein Buch. Es ist fast fertig, ich muss nur noch ein paar Korrekturpunkte mit ihm durchgehen.«
»Mach das, Wilson, klingt ja toll. Alle erzählen von eurem Buch.«
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