»Du hast schon immer gesoffen.«
»Ja, aber nicht so wie in jener Zeit.« Er lachte lauter.
»Bei mir lief es deutlich provinzieller. Ich hab die Beratungsarbeit bei meinem Vater aufgegeben und zeitgleich ist mir meine Ehe um die Ohren geflogen. Ich musste raus aus dem ganzen Szenario und habe den Job hier für den DED angetreten. Klingt banal im Vergleich zu deiner Räuberpistole.«
»Manchmal wünsche ich mir öde Normalität, aber nur so als Wunsch, ich könnte sie nie ertragen, wie du dir vorstellen kannst.«
»Kann ich mir vorstellen. Ich musste ja auch raus. Ich konnte Irís und das Zusammenleben mit ihr nicht mehr ertragen. Obwohl sie es war, die mich schließlich zuhause rausgeschmissen hat.«
»Ich konnte sie nie leiden, das weißt du. Ich habe dir immer gesagt, Ihr passt nicht zusammen.«
»Stimmt, aber was hätte ich tun sollen, ich habe sie geliebt.«
»Und die Kinder?«
»Sind bei ihr und vermutlich enttäuscht und traurig, dass ich weg bin.«
»Trotzdem, die richtige Entscheidung. Bei deinem Temperament hättest du da nur noch mehr Schaden angerichtet. Streit ohne Ende, vor den leidenden Kindern, die ganze Palette hättest du gebracht. Habt Ihr gar keinen Kontakt?«
»Nur Finanzielles, per E-Mail. Mit den Kindern maile ich und telefoniere. Hab mich seit der Ankunft in La Paz aber auch nicht mehr bei ihnen gemeldet.« Ich würde sie noch heute anrufen, dachte ich plötzlich mit schlechtem Gewissen.
»Und dein Job hier, aus was besteht der?«
Ich berichtete ihm, was ich wusste und von Tomás' Vortrag verstanden hatte.
»Na, da mach dich mal auf was gefasst. San Ignacio ist ganz hübsch, aber du begibst dich auf eine Reise ins Mittelalter. Du furzt und das ganze Dorf weiß es. Der Bürgermeister ist aber ganz in Ordnung. Ein korrupter Spruchbeutel, aber das sind sie hier letztlich alle. Er vögelt junge Indianerinnen und ist machtbesessen. Er hat sich bei der Finanzierung der Ausbildung seiner Kinder ziemlich aus dem Fenster gelehnt und muss noch ein bisschen an der Macht bleiben, um noch Reserven fürs Privatisieren beiseitezuschaffen. Mit dem hab ich aber auch schon ordentlich einen gehoben. Das Problem hier ist, dass die Leute hier, wenn sie saufen, immer bis zum Umfallen saufen. Die kennen keine Bremse. Die scheißen und pissen sich dann auch regelmäßig in die Hose.« Er lachte wieder und ich musste jetzt auch lachen und erinnerte mich an die Zoten, die wir in Ecuador damals gerissen hatten. Stockbetrunken die Polizeistreife abgehängt, Schlägereien in Diskotheken, Fluchten durch Hinterhöfe und über Häuserdächer …
»Wir waren jung und wild und hatten noch diesen Erlebnisdurst. Lateinamerika versprach das große Abenteuer und hat es auch gehalten. Ich habe unsere Zeit später in Deutschland immer vermisst.«
»Ich habe diesen Erlebnisdurst noch immer. Aber du musstest ja Irís heiraten.«
»Sie war schwanger und mir schien es sinnvoll, eine Familie zu gründen. Immerhin habe ich zwei Goldkinder. Das Altern würde mich erschrecken, wenn ich keine hätte.«
»Keine Ahnung, ob ich welche habe.« Er lachte laut.
Das Essen kam, mein Auflauf war ganz gut, aber meiner Meinung nach fehlte irgendetwas. Seine Pasta schien ihm zu schmecken. Er bestellte Reibekäse und noch zwei Bier. Der Hinterhof war im Vergleich zur Straße angenehm kühl, auch wenn dort immer noch um die 30°C herrschten. Nach schweigsamem Essen meinte er:
»Ich muss langsam los, was machst du heute Abend? Wir haben uns noch viel zu erzählen.«
»Äh … keine Ahnung, hast du eine Idee?«
»Wir können essen gehen und dann was trinken.«
Ich wusste, was das hieß, mit ihm einen trinken gehen, ließ mich aber darauf ein. Wir bezahlten und gingen Handynummern tauschend auf die Straße und vereinbarten, uns gegen Abend anzurufen. Wir umarmten uns herzlich.
Es war drei Uhr nachmittags und ich machte mich auf ins DED-Büro, das ich zu Fuß in zwanzig Minuten erreichte. Es war merkwürdig leer, keine Spur von den ganzen jungen Leuten vom Vortag. Christina war die Einzige im Büro und ich setzte mich zu ihr an den Schreibtisch, um die Modalitäten der Autoübergabe am kommenden Tag zu besprechen.
»Da gibt es für dich eigentlich wenig zu tun. Ich habe gestern die Autoversicherung beantragt und die wird morgen hier eingehen. Ich habe dein Fahrtenbuch schon fertiggemacht. Du musst jede, wirklich jede Fahrt da eintragen, auch wenn du nur zum Krämerladen an der Ecke fährst.«
»Warum so rigide? Immerhin ziehen die mir ja zweihundert Euro vom Lohn ab für das Auto.«
Sie zuckte lächelnd mit den Schultern. »Was der DED beschließt, kann ich nicht beeinflussen. Ich denke, die haben das gemacht, weil so viele Entwicklungshelfer mit dem Privatgebrauch übertrieben haben. Aber ich sag dir im Vertrauen: Du kannst dir da jede Menge Fahrtziele ausdenken, die so klingen, als wäre es mit deiner Arbeit verbunden. Am Ende muss nur der Kilometerstand mit dem Eingetragenen übereinstimmen.« Sie lachte.
»Und die Rechnungen musst du sauber aufbereiten, aber das habe ich dir ja schon erklärt.«
»Wann soll ich denn morgen kommen, um das Auto zu holen?«
»Am besten am Nachmittag. Eigentlich sollte die Versicherung morgens kommen, aber, hombre, ich schwöre dir, dass ich denen wieder hinterhertelefonieren muss. Mit Glück habe ich die Versicherung am späten Vormittag.«
»Ans Losfahren ist dann wahrscheinlich nicht mehr zu denken?«
»Du würdest es nicht mehr schaffen, vor Sonnenuntergang in San Ignacio anzukommen. Du könntest höchstens losfahren und dann in Concepción übernachten. Das ist etwa auf halber Strecke.«
»Warum eigentlich das Nachtfahrverbot?«
»Es gab zu viele Unfälle bei Nachtfahrten. Auch Überfälle. Du wirst dich dran gewöhnen müssen, das Leben hier ist gefährlicher als in Europa. Ein Entwicklungshelfer wurde entführt und dann umgebracht. Das war vor zehn Jahren und Bolivien ist seitdem eher wilder geworden, als dass es sich beruhigt hätte.«
Ich ließ mich wenig beeindrucken, ich hatte zum damaligen Zeitpunkt bereits fünf Jahre Lateinamerikaerfahrung, war noch nie überfallen worden und hatte auch bei Nachtfahrten keinen Unfall gehabt.
»Ich werde mich dran halten und aufpassen. Wer ist denn die junge Französin, die hier gestern in der Bibliothek war?«
»Ah, Odile? Sie ist Frankokanadierin. Aber sie lebt seit fünfzehn Jahren in Frankreich. Tomás hat sie hier hergebracht, damit sie mit Leuten aus dem Konfliktbereich zusammenkommt. So für den Gedankenaustausch. Tomás kennt ja Gott und die Welt, er ist unheimlich vernetzt mit allem und jedem.«
»Sie schreibt ein Buch, habe ich gehört.«
»Dann weißt du ja doch schon was über sie.« Sie lächelte verschmitzt.
»Ja, ich habe gehört, sie sei Journalistin.«
»Dann halt dich mal ran, du kannst davon ausgehen, dass alle Männer hier im Büro sie attraktiv finden. Ich habe die Kommentare von Tomás' Kollegen gehört.«
»Sie ist sehr attraktiv.«
»Ist sie, hombre, und sie hat ziemlich was drauf. In Frankreich ist sie der Shootingstar im investigativen Journalismus.«
»Naja, mal sehen …« meinte ich.
Wir redeten noch über Gehaltszuschüsse, die ich bekommen sollte, vor allem fürs Wohnen, aber auch für Büroausstattung. Dann verabschiedete ich mich und spazierte zurück ins Hotel. Auf dem Rückweg kaufte ich ein paar Bier und trank gleich das Erste auf dem Weg. Es war vier Uhr nachmittags und krachheiß. Die Sonne stand bereits tief und tauchte den Horizont in ein diesiges, flirrendes Orangerot.
Im Hotel trank ich noch zwei Bier und war dann in der Lage, Odile anzurufen.
»Salut,« meinte sie, »schön, dass du anrufst.«
»Ich freue mich auch, dich zu hören. Wie geht's dir?«
»Immer noch gut.« Sie lachte. »Wann fährst du los?«
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