»Bitte, Karl, geh aus dem Weg. Wie wäre es, wenn du dich auf die Terrasse begibst, einen Stuhl bekommst du gleich«, dirigierte Sophie.
Die beiden Tischler stellten zwei Fiberglasplatten auf flache Sockel, befestigten die Rückwände daran und setzten sie L-förmig zusammen. Schon wurden die dunkelgrauen Sitzmatten aus weicher Kunstfaser und Rückenstützen aufgelegt. Einer der Männer prüfte die Beleuchtung der Sitzmöbel, die sich am Fußbereich im Sockel befand. Sophie brachte die hellen Kissen nach draußen. Während die Burschen den Tisch montierten, kam Sophie mit Champagner aus der Küche.
»Ein bisschen japanisch angehaucht, nicht wahr? Ich liebe diese Sitzecke!« sagte Sophie, als sie sich aufs Sofa plumpsen ließ.
Karl setzte sich neben sie. »Nicht schlecht, die Couch. Der Tisch erinnert eher an einen Springbrunnen. Das war bestimmt sündhaft teuer.«
»Habt ihr Kerle immer nur Geld im Kopf? Genieß es!« Sophie verdrehte die Augen.
»Das ist ganz schön tief. Bekommt man hier keine Rückenschmerzen? Und wie isst man, ohne sich zu bekleckern?«, grinste Karl, der sich zum Tisch beugte und die terrassenförmigen Platten betrachtete.
»Schatz, das ist eine Sitzecke! Nahrung und Zaster, typisch Mann, nur das im Hirn.« Sophie zog einen Schmollmund. »Ich gehe wieder rein, irgendwer muss denen ja erklären, wohin die Möbel gestellt werden sollen!«
Karl lehnte sich auf das Geländer der Terrasse und blickte über den Westhafen. Die kleinen Boote schaukelten bei leichter Brise an der Anlegestelle. Er hatte Sophie vor vier Monaten auf Mallorca kennengelernt und sich auf der Stelle in die zierliche Rothaarige verliebt. Eines Tages stand sie wie aus dem Nichts in seinem Büro und fragte nach Appartements. Er fühlte sich sofort angezogen von ihrer fröhlich-naiven Art und ihrer femininen Ausstrahlung: erotisch, ein wenig lasziv, gleichzeitig unnahbar. Sie besaß die Aura einer Grand Dame, ihr Duft betörte ihn, hinterließ einen Rausch des Verlangens.
Während der Besichtigungen erzählte sie ihm, dass sie getrennt von ihrem Mann lebe. Sie wohnten zwar zusammen im gemeinsamen Haus in Berlin, aber der Gatte, der unter der Woche als Unternehmer unterwegs war, kam nur noch selten heim. Sie sagte, er sei meist bei seiner Freundin, man habe sich im Guten geeinigt. Auch Karl war seine Ehe mit Alexandra unerträglich geworden – wobei: Unerträglich war falsch. Sie verstanden sich gut. Nichts mehr zu sagen, das käme dem Zustand näher. Man lebte zusammen in einem Haushalt, weil es immer so war. Zwei parallele Leben, die sich hin und wieder zu gesellschaftlichen Anlässen kreuzten. Schon lange sehnte er sich danach, aus dem versnobten Bad Homburg nach Frankfurt zu ziehen. Von Sophie wusste er wenig, sie gab nicht viel von sich preis. Sie war selbstbewusst und dabei bescheiden, zuverlässig, ehrlich, höflich und sie schien kompromissbereit und selbstverantwortlich. Eins war ihm jedoch augenblicklich klar gewesen: Sie war die Frau, die er begehrte, mit der er glücklich werden konnte. Er hatte das Appartement am Westhafen günstig erworben und Alex klargelegt, er würde nach Frankfurt gehen. Sie war geringfügig erstaunt über seinen Entschluss und erklärte sich einverstanden. Er hatte ein bisschen mehr Widerstand erwartet, mehr Emotionen. Sie machte keine Anstalten, ihn zu halten. Genau das war es, das ihn an Alex störte. Diese Vernunft, diese emotionale Überlegenheit, immer rational zu entscheiden. In der Firma änderte sich kaum etwas, denn geschäftlich respektierten sie sich und legten weiterhin ein freundschaftliches Verhältnis an den Tag. Erst in den letzten Tagen hatte er angedeutet, sich neu verliebt zu haben. Alex hatte gelächelt und gemeint, das sei schon länger klar. Das war alles, was ihr dazu einfiel. Er hatte Sophie überredet, zu ihm zu ziehen. Na ja, eher war es so, dass sie ihm die Worte in den Mund gelegt hatte. Es sind die Veränderungen, die ein Leben bereichern und es manchmal sogar verwandeln; so ähnlich drückte sie sich aus. Auf Mallorca hatte er ihr ein paar Appartements gezeigt, sie interessierte sich für eine Lage mit Meerblick. Als Immobilienmakler besaßen er und Alex eine Dependance in Palma und eine in Marbella. Karl ließ es sich nicht nehmen, im Sommer zwei bis drei Monate vor Ort zu wirken. Ihn beschlich in der letzten Zeit das Gefühl, sein Erdenleben ändern zu müssen. Er suchte nach Liebe und Geborgenheit. Sein Dasein war ihm langweilig geworden. Es fehlte der Pepp, er brauchte mehr Abwechslung, es trieb ihn in die Welt hinaus. Alex saß gern zu Hause, ging nur ungern nach der Arbeit aus. Am Wochenende putzten sie, kauften ein und Alex setzte sich mit einem Haufen Papieren an den Schreibtisch oder las ein Buch, mochte dabei nicht gestört werden. Das war nicht seine Welt. Er wollte die Welt erobern, nicht mittendrin sitzen und alles an sich vorbeiziehen lassen. Das Leben hatte so viel zu bieten, man musste nur zugreifen!
»Karl, kannst du mal schauen?«, fragte Sophie mit diesem hilflosen Gesichtsausdruck, den er so liebte.
»Was ist denn, mein Engel?«, fragte er, als er das Wohnzimmer betrat.
»Sollen wir die Kommode lieber hier hinstellen oder dort drüben?«
»Was ist das für ein Monstrum?«, Karl schaute irritiert ins Wohnzimmer.
»Das ist eine Empirekommode, schön nicht?«, strahlte sie.
Mit gemischten Gefühlen bestaunte er einen etwa ein Meter breiten und zwei Meter hohen Biedermeier Aufsetzschrank mit Tatzenfüßen. Sein Blick glitt zu einem anderen Koloss. Auf der gegenüberliegenden Seite stand eine barocke Aufsatzkommode in Nussbaum mit fein ausgearbeiteten Kugelklauenfüßen.
»Interessant! Hoffentlich läuft sie nicht weg«, murmelte Karl und zeigte auf die Tatzenfüße.
Die Möbelträger entpackten einen Tisch aus Messing und Glas, der sorgsam in Luftpolster und Decken verpackt gewesen war. Er bestand aus einem achteckigen Grundelement und acht kleinen Beistelltischen. Auf dem Boden schillerte ein persischer Seidenteppich.
»Das ist ein Gabriella Crespi Tisch , handsigniert«, erklärte Sophie stolz.
»Aha. Crespi . Muss man die kennen?«
»Na, die italienische Designerin! Sie entwarf Mobiliar und Einrichtungsgegenstände für den Schah von Persien, Gunther Sachs und viele mehr. Die Teilelemente nehme ich als Sideboard, stelle welche neben das Sofa. Bei Bedarf kann man daraus Stück für Stück einen großen Tisch zusammenbauen.« Freudig präsentierte Sophie Karl die Einzelteile.
»Hast du ihn dir entwerfen lassen? Echt witzig, das mit den Beistelltischen«, staunte Karl.
» Crespi ist lange tot. Mein Schwiegervater hat den Tisch auf einer Auktion erworben und ihn mir vererbt, weil ich das Möbelstück liebte.« Sophie entpackte einen Panther aus versilberter Bronze auf ebonisiertem Sockel. »Art déco um 1920, hübsch, nicht.«
Karl schaute die Skulptur genau an. »In der Tat, eine schöne Figur. Weder kitschig noch protzig.« Er schritt hinüber zu der englischen Standuhr. »Was bedeutet die Signatur hier?«, fragte er, während er versuchte, die Buchstaben zu entziffern.
»1830, Wood Stansford steht dort.«
Um das weiße Ziffernblatt herum verlief eine feine Landschaftsmalerei, eine Hafenszenerie vor Bergkulisse. In den Zwickeln waren Gebäude mit Figurenstaffage zu sehen. »Die gefällt mir!«, meinte Karl nach ausgehender Betrachtung.
»Vielleicht nicht mehr, wenn sie die volle Stunde schlägt.« Sophie kicherte leise.
In der Zwischenzeit waren die sechs weiß bezogenen Mahagonisessel ausgepackt.
Sophie drapierte rechts und links der Uhr zwei andere weiße Polstersessel. Karl begutachtete sie interessiert und fragte: »So was habe ich noch nie gesehen, die sind edel und gleichzeitig witzig. Eine Tulpenform war mir bisher unbekannt. Wo sind die Sessel her?«
»Art déco. Das hat mein Schwiegervater geliebt, die hat er sich nach Originalvorlagen nachbauen lassen.«
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