»Die Heilpaste wird abfallen und die Wunden darunter geschlossen sein. Die Schwellungen dürften schon morgen soweit abgenommen haben, dass du wieder ungehindert sehen kannst. Die Blutergüsse werden noch eine Weile deinen Körper zieren. Auf dein Kleid musst du noch ein wenig warten, bis es trocken ist.«
Er deutete auf eine Astgabel, an dem ihr Kleid zum Trocknen hing. Alle Risse waren mit sichtlichem Geschick geflickt worden und ihre Sandalen standen neben dem Gestell.
»Du hast scheinbar viele Talente, Druide. Ich habe noch nie von einem Weisen gehört, der waschen und flicken … oder kämpfen kann.«
Endlich bedachte er sie mit einem verhaltenen Lächeln und der Zorn verschwand aus seinem Blick.
»Ich gebe zu, dass ich mich mit vielen … Dingen beschäftige, manchen mit gutem Erfolg, manchen mit weniger.« Sein Lächeln verschwand und Traurigkeit färbte seine Stimme. »Es tut mir leid, dass ich nicht eher in dieses Tal kam …«
»Du brauchst dich nicht dafür zu entschuldigen, dass du mir das Leben gerettet hast. Oder dass du dieses Pack geschlagen hast.« Sie schüttelte den Kopf und plötzlich schossen ihr erneut Tränen aus den Augen. »Aber meine Söhne … und mein Mann … sie sind verloren.«
Er ließ sie weinen, bis die Tränen nach langer Zeit endlich versiegten, stand schließlich auf und trat ruhig an das Gestell am Feuer. Er tastete den groben Stoff ab und reichte ihr das Kleid.
»Es ist zwar noch nicht völlig trocken, aber besser als gar nichts für die Nacht.«
Sie nahm es entgegen und schlüpfte hinein. Auch die Sandalen zog sie sich über und stopfte Moos und Gras zwischen die Riemen.
Als sie damit fertig war und beide wieder am Feuer saßen, reichte er ihr stumm ein Stück Wild und etwas Brot. Sie kaute zuerst zaghaft, dann mit zunehmendem Appetit. Ein paar Mal verzog sie schmerzverzerrt die Lippen, aber sie aß weiter, bis ein fein säuberlich abgenagter Knochen im Feuer landete und sie mit ein paar Schlucken Wasser nachspülte.
Dann blickte sie ein wenig ratlos um sich.
»Was soll ich nun tun? Wir waren weitab von unserem Stamm hier auf der Jagd. Der Weg zurück ist weit. Und du wirst andere … Dinge zu erledigen haben, als mich irgendwohin zu bringen.«
Ihre Nüchternheit und die dahinter verborgene Kraft zeugten von einem starken Charakter. Der Druide beendete den inneren Kampf, den er seit Stunden focht, und rückte einen halben Schritt auf die Frau zu. Dass sie nicht zurückwich, sondern ihm offen entgegenblickte, erfreute und ermutigte ihn.
»Ich kann dein Leid in … großem Maße lindern, Weib. Doch es ist nicht leicht zu verstehen. Wenn du mir vertraust, kann dein Leben … beinahe … so weitergehen, als wäre dieser Tag nie geschehen.«
»Wie nur? Meine Familie ist tot, ich geschändet. Vielleicht werde ich ein Kind von diesem Pack bekommen. Wie sollte da mein Leben glücklich weitergehen?« Jetzt wuchs in ihren Augen die Wut.
»Gegen die Schandtat kann ich nichts mehr tun. Die meisten der Mörder und Vergewaltiger haben ihre gerechte Strafe erhalten. Doch dein Mann, deine Söhne …«
»… liegen dort im Tal. Willst du mir helfen, sie zu Grabe zu tragen? Soll das deine Linderung sein?« Ihre Stimme war eine Mischung aus Frustration, Zynismus und Angst.
»Nein, ich werde sie nicht begraben.« Er legte ihr seine riesige Linke auf die Schulter und mit der Rechten hob er ihr niedergesunkenes Kinn nach oben, sodass sich ihre beiden Augenpaare auf gleicher Höhe befanden.
»Ich kann ihnen das Leben wiedergeben, Weib.«
Unglauben, gepaart mit neuer Wut, schlug ihm entgegen.
»Du lügst! Wie soll das gehen? Du treibst ein Spiel mit mir …« Wütend schlug sie seine Hand von ihrer Schulter und stand bebend auf.
»Beruhige dich, Weib.«
»Nenn mich nicht immer Weib, mein Name ist Eiylenn!«
»Gut, Eiylenn. Ich schwöre dir bei den Göttern des Waldes und aller Berge in Breith: Ich kann ihnen das Leben wiedergeben! «
Kapitel VIII
Die Lebenden und die Toten
A. D. 180, Juni
Argyll Fidach griff nach seinem Schwert, als es hinter ihm im Wald knackte. Das Geräusch war noch fern, aber Argyll wurde nicht umsonst die Eule genannt. Sein ausgezeichnetes Gehör hatte ihm schon als Kind den Respekt seines Clans und später die Aufgabe als vorgeschobener Krieger und Horchposten eingebracht.
Lautlos ließ seine Linke den Hasen zu Boden gleiten, den er kurz zuvor mit seinem Bogen erlegt hatte und gerade im Begriff gewesen war, ihm das Fell über die Ohren zu ziehen. Jetzt sank das tote Tier in das dichte Moos und Argyll lockerte sein Schwert, ließ es aber in der Scheide stecken.
Während seine Augen den Wald absuchten, fingerte die nun freie Linke nach dem Bogen, den er zu Boden gelegt hatte.
Es sind sicher keine Römer, überlegte er und versuchte, in den Schwaden des Morgennebels etwas auszumachen. Aber außer schummrigen Baumstümpfen und Büschen war nichts zu entdecken. Er verzog verächtlich die Mundwinkel, als er daran dachte, dass anrückende Römer immer schon von weitem ihr Kommen durch das Geklapper ihrer Waffen und Ausrüstungsgegenstände verrieten.
Wenn es aber keine Römer sind, könnten es Skoten, Südländer oder andere Fremde sein. Ein Cruithin würde nicht so unbedacht durch den Wald stapfen.
Einen Moment lang schoss ihm die Möglichkeit durch den Kopf, dass auch ein Südländer, also ein Britannier, die Fähigkeit besitzen könnte, sich lautlos durch den Wald zu bewegen. Oder überhaupt Fremde vom Kontinent. Was wusste er schon? Er war auf seinen Streifzügen nie weiter als fünfzig Meilen von Zuhause weggekommen.
Er schob sich gerade in die Deckung einer mächtigen Esche, als im Weißgrau des Nebels sich bewegende Schatten abzeichneten.
Mehr als einer!
Fast automatisch fuhr seine Rechte in den Nacken und zog einen Pfeil aus dem Köcher, der prall gefüllt auf seinem Rücken befestigt war. Wie von selbst ordneten sich Bogen und Pfeil zu einer todbringenden Einheit und warteten auf ein Ziel.
Argyll Fidachs Augen standen seinen Ohren an Leistungsvermögen in nichts nach und nur eine echte Eule hätte vor ihm entdeckt, was sich da aus dem Nebel schälte. Doch das, was nun auf ihn zukam – erst zwei, dann fünf, plötzlich Dutzende Menschen –, das hätte er niemals erwartet.
Es waren Picten, zweifellos, doch die seltsamsten, die er je in seinem Leben gesehen hatte. Nackte Picten kannte er gut, vor allem die weiblichen Ausgaben waren seine bevorzugte Beschäftigung, und Argyll verstand meisterhaft, es zu vermeiden, eine davon zu ehelichen. Es gab ihrer einfach viel zu viele und warum sollte er seine Aufmerksamkeit nur an eine verschwenden?
Doch diese vier Pictinnen, die in seine Richtung marschierten, waren in mehrfacher Hinsicht eine Sensation: Nur eine von ihnen war spärlich bekleidet, die drei anderen völlig nackt. Und ihre Körper waren das Perfekteste, was er je gesehen hatte. Sie waren alle rothaarig, mit prächtigen Locken, die bis zu den sehr, sehr schmalen Taillen baumelten und zu seinem Leidwesen fast alle Brüste verdeckten, welche die Haarpracht deutlich nach vorne wölbten.
Sie waren dreckig und trotz der morgendlichen Kühle stand ihnen Schweiß auf den Gesichtern, die irgendwie abwesend wirkten. Nur die leicht Bekleidete schien wacher zu sein. Als wolle sie seinen Eindruck bestätigen, blieb sie stehen. Sie hatte ihn gesehen. Ihre drei Begleiterinnen folgten ihrem Beispiel umgehend und sahen ebenfalls in seine Richtung.
Argyll ließ augenblicklich den Bogen sinken und starrte die Frauen an. Erst als sich hinter ihnen weitere Picten, Männer wie Frauen, aus dem Nebel hervorschoben, legte sich seine Erstarrung und wandelte sich augenblicklich in Faszination und zugleich in zunehmende Beklemmung.
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