1984: FANCY LIFE – 1. Band, 1. Schlagzeuger: Andreas Braun.
Ich schlug vor, unsere Band „Fancy“ zu nennen und keiner widersprach. Dieses englische Wort faszinierte mich schon lange. Ich hatte auch eine meiner Instrumentalkompositionen so genannt. Zum einen ist es wohlklingend und auch für deutsche Zungen einfach auszusprechen. Zum anderen steht es für etwas Positives zwischen Phantasie und Begehren und deutet ein „künstlerisches Extra“ an. Ich begegnete dem Wort „Fancy“ zum ersten Mal auf dem Segelboot meiner Eltern. Eine Anleitung über Zierknoten hieß „Fancy Work“. Der Umgang mit Tauen bestimmte an Bord von Segelschiffen die tägliche Arbeit. Nach Feierabend perfektionierte man diese Fähigkeit über das rein Praktische hinaus und fertigte raffinierte Kunstknoten an, die später in Setzkästen ausgestellt wurden. „L’art pour l’art“ – Kunst um der Kunst willen. Auf jeden Fall musste es ansprechend sein!
Das Wort hat auch etwas mit Liebe zu tun und entdeckte es später in einem Beatles-Song. In „Rocky Racoon“ singt Paul McCartney über „the girl of his fancy“. Leider faszinierte nicht nur mich dieses schöne Wort. Und so tauchte in den Charts ausgerechnet im Jahr nach unserer Gründung die Single „Slice Me Nice“ eines gewissen „Fancy“ auf. Da war uns also jemand zuvorgekommen! Wir wollten von „Fancy“ nicht abrücken, erweiterten den Bandnamen aber, um uns bei unserem bevorstehenden Durchbruch keinen juristischen Ärger einzuhandeln, zu „Fancy Life“. Die Aussage wurde dadurch noch verstärkt. Begreift man „Fancy“ hier als Adjektiv, bedeutet es so etwas wie „außergewöhnliches Leben“. Wenn Martins oder mein Liebeskummer zu groß wurde, verstand ich es gerne als aufbauenden Imperativ an uns selbst: „Begeistere Dich für das Leben!“
„Fancy Life“ spielt auf dem Geburtstag einer Klassenkameradin.
Demoaufnahmen Ostern 1984.
1984: Astrid und die Apfelsinenkiste. Keine Frauen in der Band!
„Wenn es so ist, dass immer zwei aus dieser Band gerade keine Freundin haben, dann trete ich aus dieser Band aus!“ Sebastian Budde
Wer meint, dass eine Frau unter vier Männern in der Lage ist einige Verwirrung zu stiften, liegt damit richtig. Mein Konfirmationsgeschenk, ein Fotoapparat mit Teleobjektiv, nutzte ich dazu, auf einem Schulfest unbemerkt alle Mitschülerinnen abzulichten, die ich attraktiv fand. Astrid Scholl war auch darunter. Andreas wollte sie dagegen aus akustischen Gründen als Sängerin für „Fancy“ gewinnen. Meine Stimme war gerade erst dabei, sich zu entwickeln und Martins Stimme war so individuell, dass ich manchmal den Eindruck hatte, der Einzige zu sein, der so richtig von ihr begeistert war. Ein weiterer Vorteil war, dass Astrid sich um unser
Äußeres kümmerte. Sie schnitt Andreas, Martin und mir die Haare. Martin und sie wurden dann irgendwann ein Paar. Wir wollten Astrid für die Bühne eine Apfelsinenkiste besorgen, damit man sie nicht übersah. Die wäre auch zum Küssen praktisch gewesen. Denn mein hübsches Fotomotiv war nur ca. 1,50 m groß und damit trennte sie ein halber Meter von Martin. Astrid hatte selber auch ein paar Songs geschrieben. In einem thematisierte sie ihre Körpergröße: „Auch kleine Menschen haben Mut, auch kleine Menschen können’s gut.“ Was das genau war, ließ sie offen. Ich machte mir so meine Gedanken dazu.
Das neue „Fancy Life“ Mitglied kam aus der Klassik und hatte einen sehr hohen, klaren Sopran. Den schmetterte es als Solistin in Lübecks Kirchen mühelos über Chor und Orchester hinweg bis in die letzte Reihe. Ich dachte bei mir, wenn ich eines Tages ohne Mikrophon so singen könnte, wäre ich wirklich zum Sänger geworden. Martin und ich wackelten noch sehr stark in der Intonation, wir trafen mehr falsche als richtige Töne. Also fiel Astrid bei „Fancy Life“ schon deshalb aus dem Rahmen, weil sie „sauber“ sang. Sauber, aber für Popmusik zu hoch und grell. Stellen Sie sich Jennifer Rush eine Oktave höher vor. Wer kann das genießen? Zu Astrids Verteidigung muss ich sagen, dass das auch unsere Schuld war. Wir waren musikalisch noch nicht versiert genug, um für sie die passende Tonart zu suchen. Sie musste unsere Songs, so wie wir sie sangen, singen. Nur eine, vermutlich eher zwei Oktaven höher.
Es kam, wie es kommen musste, irgendwann wollte Astrid die Trennung von Martin. Sie saß bei mir auf der Bettkante, während meine Eltern segeln waren und meine Schwester auf einer Party. Wer noch immer einen Beleg dafür sucht, dass ich nicht ganz normal bin, bekommt ihn hier: Ich hatte mit 18 Jahren meine Hormone im Griff. Ich entschied mich gegen die zum Greifen nahe langersehnte zwischenmenschliche Erfahrung. Ein Opfer für das Weiterbestehen meiner Band! Mir war klar, dass Martin mich nicht mehr „mit dem Hintern angeguckt hätte“, wenn Astrid und ich ein Paar geworden wären oder an dem Abend zwischen uns etwas gelaufen wäre.
Von unserer persönlichen Kubakrise, d.h. wie nahe wir an einer Trennung vorbeigeschlittert sind, erfährt er erst jetzt beim Lesen dieser Zeilen. Mein Vater hatte von Astrids Interesse an mir Wind bekommen und geriet in Panik, dass ich neben meinen vielen anderen Fehlern womöglich auch noch schwul sei. Er gab mir unverblümt den zarten Tipp, „man könne mit der Astrid ja nicht nur zusammen singen“ . Einige Zeit später schob mir Martin im Unterricht einen Zettel rüber, auf dem stand: „Wollen wir sie aus der Band werfen?“ Ich schrieb ein „ja“ darunter und war erleichtert. Dieser reizvolle Sprengstoff hatte meine Band nicht zerlegt.
V.l.n.r.: Martin, Andreas, Sebastian, ich und Astrid (auf ganz hohen Absätzen).
1985: „Mask 4 Fun“ – 2. Band, 2. Schlagzeuger: Andreas Petzold.
Andreas Braun mochte unsere Songs. Aber er sah seine musikalische Berufung nicht in der „Schießbude“ (Schlagzeug), sondern im Marimbaspielen. Darum stieg er aus der Band aus. Über eine Kleinanzeige fanden wir Andreas Petzold, einen 26-jährigen Bundesgrenzschützer, der so gar nicht zu uns passte. Die Nacht von Samstag auf Sonntag verbrachte Andreas regelmäßig in seiner Stammkneipe und wenn wir – zwei Gymnasiasten und ein Student – mittags in seinem Haus in Ratekau hochmotiviert zum Proben aufschlugen, quittierte er Sebastians fröhliche Begrüßung: „Na, Andreas, hast Du Lust?!“ immer mit einem verkaterten: „Nee, jetzt nicht mehr!“ Meine geliebte Oma Paula war leider verstorben und hatte mir 5.000 Mark vererbt. Davon kaufte ich mir als Klavierersatz ein Yamaha PF-15 Keyboard mit gewichteter Tastatur. Dadurch waren wir nun in der Lage, überall proben und auftreten zu können. Auf der Suche nach einem neuen Bandnamen kamen wir auf „Mask 4 Fun“, das sich aus den Anfangsbuchstaben unserer Vornamen ergab: Martin, Andreas, Sebastian und Klaus – zum Spaß!
1985: „Fancy Life“-Revival für Moni.
Normalerweise vergehen mindestens zehn, eher zwanzig Jahre, bevor Musiker anfangen sentimental zu werden, die ewigen Querelen vergessen haben und die alte Band noch einmal zusammentrommeln. Unser bislang einziges erfolgreiches Bandrevival fand nach nur einem Jahr statt. Es wurde durch eine Punk-Band ausgelöst. „Agent Orange“ war die Hausband des Johanneums, einem der anderen Lübecker Gymnasien. Leichtsinnigerweise hatten wir zugesagt, mit den Krachmachern zusammen dort ein Doppelkonzert zu geben. Meine gute Laune ging schon vor dem Aufbau flöten. Als ich mein neues Keyboard hereinschleppte, schaute der Entlaubungs-Gitarrist spöttisch darauf herunter und fragte herablassend: „Was ist das denn? Kann man damit Musik machen?“ Auch der Rest der Schule mochte uns nicht. Das Konzert geriet zum Desaster. Das veranlasste Andreas, der wahrscheinlich das letzte mal vor zehn Jahren eine Bildungsanstalt von innen gesehen hatte, nach dem Konzert ein Veto auszusprechen. Es lautete: „In Schulen – spiele ich – grundsätzlich – nie wieder.“
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