Es hatte aufgehört zu regnen, der Himmel war noch dunkel, aber klar. Der Narbige schlenderte zu ihr.
„Ich soll mich um dich kümmern.“ Mandy zuckte zurück. Der Typ mit der Narbe stand plötzlich direkt vor ihr. Er war so groß, dass sie mit der Nase seine Brustwarzen hätte berühren können.
„Ja, schön. Ich würde jetzt gerne aber lieber abhauen, verstehste? War eine nette Party mit Marcus, aber ich hab kein Bock auf ne Beziehung.“ Sie hoffte, es würde sich cool anhören, hob ihren Blick, um ihn anzusehen, und grinste schief. Er warf den Kopf nach hinten und lachte laut los, so dass sein ganzer Körper vibrierte. Mandy trat einen Schritt zurück, kicherte verhalten und beobachtete ihn, wie er sich mit der flachen Hand auf den nackten Oberschenkel schlug.
„Ja, irre komisch.“ Sie verdrehte die Augen und wandte sich zum Gehen, da hielt er sie grob am Arm fest. Seine Augen wechselten die Farbe und leuchteten grün.
„Du gehst nirgends hin. Ich werde dich nun über ein paar …“, er machte eine Pause und überlegte, „Kleinigkeiten aufklären.“ Er legte den Arm um ihre Schulter, so als wären sie die besten Freunde. Mandy versteifte sich, als sie seine festen Muskeln auf ihrem Nacken spürte. Sie wusste, selbst wenn sie wollte, sie würde nicht entkommen können.
„Wo wir schon so nett miteinander plaudern: Mein Name ist Utz und du bist Mandy, richtig?“ Knurrend nickte sie.
„Was willst du eigentlich von mir, Utz?“ Die Frage war mutiger, als sie sich fühlte. Von der Seite blickte sie schräg zu ihm hinauf. Die Narbe sah wirklich angsteinflößend aus, aber was sie noch viel mehr beunruhigte, war seine stetig wechselnde Augenfarbe.
Er lachte abfällig und schnaubte.
„Was ich von dir will?“ Er zerquetschte fast ihren Arm, als er sie näher zu sich ranzog. „Am besten nichts.“ Er ließ wieder locker, rieb sich über die Nase. „Aber Marcus hatte die blöde Idee, eine Gefährtin in unser Rudel zu holen.“ Mandy blickte sich mit hochgezogenen Brauen um. „Welches Rudel? Du meinst dich und den anderen Halbstarken da vorne?“ Sie zeigte auf den Kerl, der mit Marcus noch am Bauwagen stand und im Gespräch war. Utz seufzte genervt. „Wir sind mehr, viel mehr. Marcus hat uns starkgemacht und wir sind kurz vor …“ Er überlegte und wandte sich ihr wieder zu. Den Arm ließ er locker. Dennoch, Mandy fühlte sich unwohl in seiner Nähe.
„Egal. Was ich dir versuche zu erklären, ist folgendes. Ich habe keine Lust, mich mit dir zu beschäftigen. Frag nicht, sonst werde ich ungemütlich“, knurrte er sie an. „Ich bringe dich zu unserem Unterschlupf. Dort wird man dir alles erklären. Es gibt für dich nur zwei Möglichkeiten, uns loszuwerden: Marcus schickt dich fort oder er tötet dich.“ Er ließ seine Worte auf sie wirken, betrachtete seine linke Hand und schob seinen Daumennagel unter die anderen Fingernägel, um sich Dreck herauszukratzen. Mandy versuchte, unbeeindruckt auszusehen. Was sollte das bedeuten? War sie ihre Gefangene? Panik machte sich in ihr breit. Sie wollte shoppen gehen, Männer aufreißen und fressen.
Und nicht mit ein paar schmutzigen Typen abhängen. Das war nicht ihr Plan. Sie biss sich auf die Lippe, um ihre Enttäuschung nicht laut kundzutun.
„Du gehörst jetzt zu uns. Du spielst jetzt nach unseren Regeln. Und jetzt haben wir hier noch etwas zu erledigen.“
Utz sah sich über die Schulter und rief Marcus zu: „Ich komme gleich. Ich bringe sie zum Rudel. Holt mich mit dem Wagen ab.“ Mandy folgte seinem Blick und beobachtete, wie der andere Kerl die Tür des Bauwagens öffnete und sie Marcus aufhielt. Ein schwacher Lichtschein fiel auf die Stufen davor und sie konnte sein Gemurmel und eine ängstliche, weibliche Stimme hören.
„Wer ist das da drin? Noch eine Gefährtin?“ Utz schnaubte verächtlich und stieß ein tiefes Knurren aus: „Das da drin, Schätzchen, das ist unser Schlüssel zur Macht. Und jetzt komm mit.“
Mandy ließ sich von ihm mitzerren, ihr Blick haftete allerdings weiter auf dem Bauwagen, aus dem ein rothaariges Mädchen über die Stufen direkt in die Arme des anderen Typen stolperte. Marcus stand in der Tür und strich sich durch die Haare. Seine grünen Augen ruhten auf Mandy, dann grinste er, wandte sich ab und klatschte in die Hände. Die junge Frau zappelte verzweifelt um ihr Leben.
Seit das Mädchen aus dem Wagen gestolpert war, spürte Mandy ein Kratzen im Hals. Ihre Zunge klebte an ihrem Gaumen, ihr Mund war völlig ausgetrocknet. In ihrem Magen rumorte es. Sie hatte Hunger. Der verlockende Duft von getrocknetem Blut drang zu ihr. Ihr Körper versteifte sich, und ein tiefes, kehliges Knurren drang aus ihrer Kehle.
London - Frankfurt, Herbst 2012
« Was hättest du sonst gemacht, Sam? Ihm eine auf die Fresse gehauen? Einem Werwolf?»
Sam drängelte sich hinter einer Frau vorbei, die sich bemühte, Ihr Gepäck aus den oberen Ablagefächern zu holen. Dabei ächzte und stöhnte sie, weil sie zu klein war.
„Warten Sie, ich helfe Ihnen“, bot er an. Sie warf einen Blick über ihre Schulter und lächelte. „Vielen Dank.“ Sie rutschte zurück auf ihren Platz. „Es ist die braune Tasche, die schon fast draußen hängt. Ja ... genau die da“, sagte sie, als er sie an einem Henkel hinauszog. Er gab sie der Frau, wandte sich ab und suchte Alexas roten Lockenkopf. Sie starrte aus dem Fenster, an ihrem Sitznachbarn vorbei, die Hände hatte sie zu Fäusten geballt, ihre Schultern waren angespannt. Sam hockte sich in den Gang, berührte ihren Arm. „Hey.“ Ihr Kopf wirbelte zu ihm. Noch immer klebte das weiße, riesige Pflaster über ihrer Nase, und die Hämatome an ihren Augen schillerten blau.
„Tut es noch weh?“, flüsterte er besorgt.
„Ja, es pocht, und jedes Mal, wenn ich blinzle, fühlt es sich an, als würde jemand eine kleine Nadel durch meine Stirn jagen.“ Sie seufzte, sah müde aus.
„Was war das für eine Sache mit Adam? Habe ich irgendwas nicht mitgekriegt?“ Sam stand auf, weil jemand an ihm vorbei wollte. Als er sich wieder hinhockte, lächelte Alexa gequält. „Du willst mich jetzt nicht ehrlich über mein Liebesleben ausfragen, Sam?“
Er grinste schief, schüttelte den Kopf. „Naja, weißt du … ehm…“, stotterte er. Eigentlich hätte er wissen müssen, dass sie ihn durchschauen würde, nun war er aber trotzdem nicht darauf vorbereitet.
„Wenn du meinst, ich hätte mit ihm geschlafen, weil ich dich vergessen will, nimmst du dich wichtiger als du bist.“ Alexa war eben zu schlau. Sie stupste ihn gegen die Schulter. Er räusperte sich. „Nee, das hätte ich nicht … im Leben nicht … okay, du hast recht. Ja, das habe ich geglaubt.“ Sie lachten. Eigentlich so wie früher, nur dass sie nicht mehr einander gehörten. Sam seufzte. „Ich bin für dich da, Alexa. Wenn du mich brauchst, höre ich dir zu.“
„Um nochmal darauf zurück zu kommen, was du vorher gesagt hast: Was hättest du sonst gemacht, Sam? Ihm eine auf die Fresse gehauen? Einem Werwolf?“ Das letzte Wort flüsterte sie ihm leise zu und kicherte. Sie hob ihre Hand, berührte seine Wange mit den Fingern, zog sie wieder zurück, holte tief Luft. „Das mit uns ist etwas anderes. Wenn da überhaupt ein uns existiert. Ich kann dir nur sagen, dass ich ihn nicht mehr aus meinem Kopf bekomme, seit ich ihn zum ersten Mal gesehen habe.“ Traurig blickte sie auf ihre Hände. „Ich bin sauer auf ihn. Er hat einem unschuldigen Menschen weh getan, um an etwas heranzukommen, das er gegen mich austauschen konnte. Weißt du, Sam“, sie sah ihn an, und ihre Augen schwammen in Tränen, „das ist momentan nicht mal das Schlimmste. Ich fühle mich ausgenutzt. Ich glaube, er hat nur mit mir geschlafen, um sich zu beweisen, dass er noch immer schwul ist. Vielleicht hat er gehofft, dass er keinen hochkriegt oder so etwas. Dass es ganz fürchterlich sein würde.“ Sam zog die Augenbrauen hoch. Er spürte eine unbändige Wut auf Adam. Und sie war verknallt. Das spürte er.
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