1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Im Laufe des Unterrichts bemerkte ich, dass jemand am Fenster stand. Wenn ich hinblickte, duckte sich die Person schnell. Überrascht stellte ich fest, dass es Bassam war, der von den anderen unbemerkt seine Nase gegen die Scheibe drückte, während er mit großen Augen die Kreidestriche, die Nersy an die Tafel malte, verfolgte. In der Schulpause ging ich hinaus.
„ Was machst du hier?“, fragte ich streng.
„ Ich will was lernen“, antwortete mir Bassam und blickte verlegen zu Boden.
„ Weiß Elham, dass du hier bist?“
Das Kopfschütteln genügte, um zu wissen, dass Bassam großen Ärger zu erwarten hatte. Daher scheute ich mich davor, ihn Heim zu schicken. So erlaubte ich ihm, den Rest des Tages mit mir in der Schule zu verbringen.
In der Pause stellte ich ihm die anderen Schüler vor, die Bassam neugierig musterten. Besonders Jamshed, der körperlich Größte in unserer Klasse, schenkte ihm seine volle Aufmerksamkeit, zum Leidwesen von Bassam.
„ Was sind das denn für schmutzige Lumpen?!“, meinte Jamshed, während er das grau gestreifte Gewand Bassams so hoch anhob, dass der sich schämte.
„ Und der Junge stinkt auch noch, wie der Teufel“, fügte er seine Nase rümpfend hinzu.
Die anderen Schüler taten es ihm gleich, obwohl ich den Geruch nicht besonders schlimm fand. Bassam blickte die ganze Zeit über verlegen zu Boden, während er von meinen anderen Mitschülern umzingelt wurde. Der Kreis löste sich erst, als sich Nersy näherte.
„ Und wer ist dieser junge Mann?“, fragte mein Lehrer im freundlichem Ton. Lächelnd kniete er sich zu Bassam runter und hob dessen Kinn, um sein Gesicht besser sehen zu können.
„ Das ist mein Cousin, Bassam, aus Teheran. Er besucht uns über die Ferien“, log ich schnell.
„ Dann muss wohl das Waschen in Teheran zur Sünde erklärt worden sein“, meinte Jamshed im Hintergrund, woraufhin alle anderen in lautes Gelächter fielen.
„ Er ist sehr schüchtern und sagt nicht viel“, erklärte ich Bassams Stillschweigen.
„ Auch das Reden scheint dort eine Sünde zu sein“, scherzte Jamshed erneut. Alle lachten.
„ Jamshed, ich will mit dir sprechen“, sagte Nersy im strengem Ton und mit bösem Blick, während er ihn am Arm packte und ins Klassenzimmer zerrte.
Mein Lehrer hatte sich vermutlich mit dieser einfachen Antwort zufrieden gegeben. Denn er stellte keine Fragen mehr über Bassam. Nun waren wir es, die unsere Gesichter gegen die Scheiben drückten. Im Klassenzimmer stand Nersy vor Jamshed, der trotz seiner Größe um Längen kleiner war als unser Lehrer. Mit dem Zeigefinger deutete Nersy auf ihn, während er lautstark schimpfte. Irgendwann bemerkte uns Jamshed und schaute zornig zu uns rüber, woraufhin wir uns schnell wieder vom Fenster entfernten.
Gemeinsam gingen Bassam und ich nach der Schule über den staubigen Pfad nach Hause. Hinter uns bemerkten wir plötzlich Schritte. Jamshed war uns mit drei anderen Schülern gefolgt. Als wir uns umdrehten, blieb die ganze Gruppe stehen.
„ Warum lauft ihr uns nach?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits ahnte.
„ Wegen deinem Stinktier von Cousin habe ich heute Ärger bekommen“, sagte Jamshed. Dabei ließ sein wütender Blick Bassam keine Sekunde aus den Augen.
„ Du bist selbst schuld. Du hast dich über ihn lustig gemacht.“ Schnell trat ich einen Schritt vor. Bassam hingegen versteckte sich hinter mir. Mein Herz klopfte, da Jamshed fast zwei Köpfe größer als ich war und auch noch Verstärkung hatte. Trotzdem wollte ich verhindern, dass er Bassam etwas zufügte.
„ Halt dich da raus, Hussein“, drohte Jamshed. „Oder du bekommst auch was ab.“
Mit großen Schritten näherte er sich, aber trotz meiner Furcht vor ihm, wich ich nicht von der Stelle. Ich blickte zu Jamshed hoch und sah nur noch von unten sein spitzes Kinn. Mein ganzer Körper war angespannt und beide Hände waren zu Fäusten geballt.
„ Letzte Warnung, lass mich durch.“
Ich blieb stehen. Jamshed verlor die Geduld und packte mich am Kragen. Einige Zentimeter hob er mich vom Boden, den ich nur noch mit den Zehenspitzen berührte. Ich nahm all meinen Mut zusammen und boxte ihm kraftvoll in die Magengrube. Der Griff lockerte sich. Jamshed stöhnte auf. Keuchend hielt er sich mit beiden Händen seinen Bauch. Panik ergriff mich, als er sich wieder aufrichtete. Sein Blick sprühte vor Hass. Er schlug mir mit seiner Faust direkt auf mein Auge. Die Erschütterung war so stark, dass ich rückwärts auf den Boden fiel, wo ich mit dem Hinterkopf auf einen Stein aufschlug. Mein linkes Auge brannte und die Kopfschmerzen waren unerträglich. Geschockt stand Bassam da. Hilflos sah er dabei zu, wie Jamshed mich am Nacken packte und mich mit dem Gesicht auf den Boden drückte. Ich hustete kräftig, da ich Staub einatmete. Der Griff war so fest, dass ich ein unerträgliches Ziehen verspürte.
„ Das hast du nun davon“, sagte Jamshed außer Atem, und drückte meinen Kopf fester auf den Boden, sodass ich mir die Stirn aufriss. Plötzlich stürmte Bassam auf meinen Peiniger los, aber sein schmächtiger Körper wurde von Jamshed mit Leichtigkeit zurückgestoßen. Dabei stieß er ein hämisches Lachen aus, das durch die Wüste schallte.
„ Mach ihn fertig!“, hörte ich einige Schüler rufen.
Endlich lockerte Jamshed seinen Griff. Schmerzverzerrt lag ich auf dem Rücken. Die Sonne schien mir grell ins Gesicht, als würde sie mich auslachen. Mein Schädel dröhnte. Alles tat mir weh. Die Gruppe verließ uns, allen voran Jamshed. Alle fürchteten ihn, sodass er automatisch das Oberhaupt unserer Klasse war. Zögernd näherte sich Bassam, während ich noch stöhnend auf dem Boden lag. Fürsorglich kniete er neben mir und versuchte mich hochzuziehen.
„ Lass mich“, wehrte ich verärgert seine helfende Hand ab.
Mühsam richtete ich mich auf. Ich fuhr mir mit der Hand über mein Gesicht, das voller Dreck und blutverschmiert war. Bassam schien sich zu schämen, obwohl er keinen Grund dafür hatte. Grundlos war ich auch wütend auf ihn, da er mir an diesem Tag ungewollten Ärger gebracht hatte. Den Rest des Weges strafte ich ihn daher mit Schweigen.
„ Es tut mir leid“, entschuldigte er sich mehrmals, aber ich ignorierte ihn.
Kurz vor unserem Haus bemerkte uns Elham, die gerade dabei war Wasser aus dem Brunnen zu ziehen. Sofort ließ sie den Strick los und rannte uns entgegen. Platschend fiel der Holzeimer ins Wasser.
„ Du meine Güte“, klagte sie laut, als sie mir ins Gesicht sah. Mit dem Rand ihres Tschadors versuchte sie vergeblich das getrocknete Blut abzuwischen. Dann sah sie Bassam an.
„ Was hast du getan? Warum bist du einfach davongelaufen?“, brüllte sie laut. Außer sich zog sie Bassam am Ohr ins Haus. Er schrie vor Schmerzen. Sie gab ihm noch einige Ohrfeigen, bevor er in seine Ecke kroch. Gekrümmt kauerte er neben dem Ofen und versteckte sein Gesicht reumütig hinter schmutzigen Händen.
„ Warte nur ab, bis Siamak davon erfährt“, drohte sie giftig in Bassams Richtung.
„ Bitte sag es ihm nicht, bitte.“ Man hörte seine Stimme kaum, da er sein Gesicht immer noch hinter den knochigen Händen versteckt hatte.
„ Das hättest du wohl gerne. Kannst schon mal eine saftige Strafe erwarten.“
Mit einem nassen Tuch wischte mir meine Mutter übers Gesicht. Die Wunde an der Stirn brannte noch heftiger, als sie mit Wasser in Berührung kam. Meine Miene verzog sich zu einer Grimasse.
„ Er kann nichts dafür“, sagte ich, da mir Bassam plötzlich leid tat.
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