Angela Rommeiß
Amelie im Schlaraffenland
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Inhaltsverzeichnis
Titel Angela Rommeiß Amelie im Schlaraffenland Dieses ebook wurde erstellt bei
Das Sandmännchen im Kinderzimmer
Die Traumwiese
Caramella
Amelie findet Freunde
Der Streich
Bei Vanilla
In der Schlaraffenschule
Abschied
Die Zuckerkönigin
Im Kerker
Die Wahrheit über die Zuckerkönigin
Die Flucht
Die Breimauer
Der Weg auf den Berg
Die Befreiung
Heimkehr
Impressum neobooks
Das Sandmännchen im Kinderzimmer
Es war Abend. Amelie sollte schlafen - aber sie wollte nicht. Sie hatte nämlich großen Hunger und brauchte ganz dringend einen Keks. Oder einen Bonbon. Oder ein Stück Kuchen. Sie wäre sogar mit einer Banane zufrieden gewesen, aber Mutti wollte ihr nichts geben. Keinen Keks, keinen Bonbon, keinen Kuchen und noch nicht einmal eine Banane. Sie sagte:
„Vor einer Stunde gab es Abendessen. Du bist satt. Trink noch einen Schluck Tee und schlafe dann!“
Aber Amelie wollte nichts trinken. Schließlich hatte sie Hunger und keinen Durst. Das sagte sie Mutti auch. Aber die wurde böse und ging hinaus. Ohne Gute-Nacht-Geschichte, ohne Lied und ohne Küsschen. Was für ein furchtbarer Abend war das! Hungrig und ungeküsst saß Amelie in ihrem Bett und heulte laut. Sie war so böse! Böse auf die Mutti, die sie hier einfach verhungern ließ, böse auf den Papa, der jetzt sicher im Wohnzimmer saß und Erdnüsse knabberte, und böse auf ihre Schwestern, die schon groß waren und sich selbst kaufen konnten, worauf sie Appetit hatten. Ach, wie war das Leben doch ungerecht!
Nach einer Weile hörte sie auf zu weinen. Nur ab und zu schluchzte sie noch. Ob Mutti noch einmal hereinkam und ihr wenigstens einen Gute-Nacht-Kuss gab? Das machte sie eigentlich immer. Da - schon hörte Amelie Schritte.
Aber es waren fremde Schritte - leisere. Die von Mutti klangen anders. Als Amelie sich umwandte, sah sie im Dämmerlicht ein kleines Männchen stehen. Es hatte einen dunkelblauen Umhang an, der mit silbernen Sternen bedruckt war. Sie leuchteten im Dunkeln. Seine lange Zipfelmütze war aus demselben Stoff. Das Männlein hatte gütige Augen und einen langen, weißen Bart. Amelie hätte erschrocken sein müssen, aber sie war es nicht. Sie wusste sofort, dass das echte, leibhaftige Sandmännchen vor ihr stand.
„Hallo!“, sagte sie leise.
„Hallo!“, antwortete das Männlein und trat näher. „Was ist denn hier los? Warum schläfst du denn nicht? Ich habe all meinen Schlafsand über der Welt verstreut und würde jetzt selbst gern zur Ruhe gehen. Aber das kann ich nicht, wenn noch ein Kind wach ist. Was ist dein Problem, meine Kleine?“
„Ich habe Hunger, aber meine Mutti gibt mir nichts“, sagte Amelie.
„Oh, das ist schlimm“, seufzte das Sandmännchen voller Mitgefühl. Dann runzelte es die Stirn. „Bist du sicher, dass es wirklich Hunger ist und nicht nur Naschsucht?“, fragte es.
Amelie zuckte mit den Schultern. „Ich nasche gern“, gestand sie. „Aber es fühlt sich wie Hunger an - glaube ich.“
„Soso, glaubst du“, lächelte das Männlein. Es überlegte. „Hast du es schon mal mit dem Schlaraffenland probiert?“, fragte es dann.
Amelie machte große Augen. „Dem ... dem Schralaffenland? Da, wo alles aus Essen ist und man sich durch einen riesigen Berg Brei essen muss, ehe man reinkommt?“
Das Sandmännchen lachte. „Ach, das ist nur ein Märchen. Im echten Schlaraffenland sieht es etwas anders aus. Aber man kann dort so viel naschen, wie man will, soviel steht fest!“
Amelie hüpfte aufgeregt im Bett herum. Sie war überhaupt nicht mehr müde. „Au ja, da möchte ich hin: Ins Schalaffen ... ins Schra ...“
Schl araffenland“, sagte das Sandmännchen deutlich. „Denk einfach an Schl afen, mit so einem ‚ Schl ‘ fängt es an.“
„Aber ich will nicht schlafen“, rief Amelie. „Ich will ins Scharalaffenland!“
Amelie kletterte aus ihrem Bettchen und ergriff die Hände des Sandmannes, die er ihr lächelnd entgegenstreckte. Und ehe sie wusste, wie ihr geschah, versank alles um sie her - ihr Kinderzimmer mit dem Bett, den Plüschtieren und dem Spielzeugregal - in einem bunten Wirbel. Sie selbst und der Sandmann standen ganz ruhig da, nur das Zimmer drehte sich immer schneller, bis alles vor ihren Augen verschwamm. Doch noch ehe ihr schwindelig werden konnte, hörte das Drehen schon wieder auf.
Aber, was war das? Das Kinderzimmer war verschwunden, und stattdessen standen sie mitten auf einer Wiese! Um sie herum wuchsen große, farbenfrohe Blumen, deren rote, orangene, blaue und gelbe Blütenköpfe mindestens zehnmal so groß waren wie die normaler Blumen. Am Horizont ging eben die Sonne unter und tauchte alles in ein sanftes, goldenes Licht. Amelie blickte sich staunend um. „Wo sind wir hier? Ist das schon das Sch...laraffenland?“
Das Sandmännchen schüttelte den Kopf. „Nein, das hier ist die Traumwiese. Kommt sie dir nicht bekannt vor? Du bist oft im Traum hier gewesen. Auch die Goldmarie ist hier gelandet, nachdem sie in den Brunnen fiel. Aus dem Blütenstaub der Blumen gewinne ich den Schlafsand für die Menschenkinder. Siehst du die kleinen Erdhügelchen? Da drin haben die Osterhasen ihre Wohnungen.“
„Gibt es denn mehr als einen?“, fragte Amelie.
Der Sandmann lachte. „Hunderte! Sieh dich nur um. Von der Traumwiese aus geht es überall hin, ganz wie du es willst. Dort ... “, er zeigte auf einen Wald, der in der Ferne zu sehen war, „dort ist der Märchenwald. Da wohnen Rotkäppchen, Rapunzel, Hänsel und Gretel und all die anderen. Ich glaube, heute machen sie ein Picknick. Mich haben sie aber nicht eingeladen.“ Es wirkte etwas niedergeschlagen.
„Das tut mir Leid!“, sagte Amelie betroffen. Das Männchen winkte ab und lächelte schon wieder. „Ach, das macht nichts. Schau, dort drüben geht es zu Frau Holle. Siehst du den Apfelbaum? Sehr leckere Äpfel, ich muss mir nachher noch ein paar mitnehmen...“
„Was ist das dort?“, unterbrach ihn Amelie und zeigte auf eine andere Stelle am Horizont, wo dichte Wolken bis zum Boden hinab reichten und immer neue, wunderbare Figuren bildeten.
„Oh, das ist der Weihnachtshimmel. Da ist das ganze Jahr über Hochbetrieb. Was die Kinder sich heutzutage alles wünschen! Früher war dort nicht so viel los.“
Amelie staunte. „Und was kommt hinter dem Weihnachtshimmel?“
„Na, der Nordpol. Die Schneekönigin wohnt da und auch der Weihnachtsmann. Sie vertragen sich nicht besonders.“
„Und was kommt hinter dem Märchenwald?“, fragte das Mädchen. Der Sandmann wiegte den Kopf. „Das kann ich dir auch nicht sagen. Niemand war je an seinem Ende. Zwerge, Trolle und Gespenster sollen dort hausen!“
„Und wo ist das Schlaraffenland?“, wollte Amelie jetzt wissen.
„Schau da hinüber!“, sagte der Sandmann und zeigte auf einen Punkt gegenüber dem Märchenwald. Zunächst sah das Mädchen nur Nebel, doch als sie angestrengt hinschaute, erkannte sie plötzlich in weiter Ferne ein Gebirge, auf dessen Gipfel ein weißes, schlankes Schloss stand. Es war so zart und schön, so weiß und durchscheinend wie der Nebel, der zu seinen Füßen lag. Amelie konnte den Blick gar nicht abwenden.
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