Sabine Roth
Die Wälder von NanGaia
Der Gabenträger
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Inhaltsverzeichnis
Titel Sabine Roth Die Wälder von NanGaia Der Gabenträger Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
Die Prophezeiung
Kinderzeit
Auf der Suche
Die Prüfung
Aufbruch in die Fremde
Fremd
Der Park von Megalaia
Schicksalhafte Begegnung
Gefühlswirren
Doro
Doro entscheidet sich
Wachsendes Verlangen
Ein seltsamer Traum
Nantais Gabe erwacht
Zweifel
Außer Kontrolle
Die Liebe siegt
Leidenschaft
Gefährliche Nähe
Bill Hunters Entscheidung
Vertrauen
Alles kommt anders
Ein rätselhafter Begleiter
Das Ritual
Fragen und Antworten
Der Fluch der Schamanen
Nach Hause
Die Heimkehr – anders als erwartet
Ein verhängnisvoller Handel
Impressum neobooks
Niemand wusste, woher der Schatten kam. Und niemand, wann er in den Hügeln erschienen war. Denn dieser Tag lag länger zurück, als Menschengedenken reicht. Und länger als Menschengedenken reicht, ließen ihn die Geistwesen dort gewähren. Denn die Hügel waren fern, und sie wussten sich stark. Also duldeten sie sein Wachsen.
Doch als er die Hügel verließ und sich auf den Weg zu ihnen machte, als sie seine dunkle Drohung nahen spürten, war ihr Dulden zu Ende. Und es geschah, was nie zuvor geschehen war. Was niemals hätte geschehen dürfen.
Die Geistwesen verließen ihre Heimstatt, die Wälder. Geblendet von Zorn zogen sie aus, um den Schatten zu vernichten...und trafen ihn, in der Nähe des Flusses, der ihm als Wegweiser diente.
Aber der Schatten war mächtig geworden.
Fast so mächtig wie sie selbst.
Und nicht gewillt, sich ihnen kampflos zu beugen.
Nur für einen winzigen Augenblick zögerten die so verschiedenen Mächte noch. Nur für einen winzigen Augenblick noch verharrten sie stumm voreinander, und maßen die Kräfte, während die Welt um sie herum den Atem anhielt. Nur für einen winzigen Augenblick stand alles noch still.
Dann stürzten sie sich aufeinander.
Ohne Warnung, und ohne Geplänkel.
Und im selben Augenblick erlosch das Licht.
Die Nacht wurde dunkler, als sie jemals gewesen war - bis plötzlich, grell gleißend, ein Blitz vom Himmel zuckte, und die Landschaft in sein unheilvolles Licht tauchte. Und als die Finsternis danach wiederkehrte, glaubte man fast, sie greifen zu können. Man spürte die entsetzliche Gefahr in ihr - und war zugleich wie gelähmt, und atemlos, angesichts des Hasses, der in ihr raste, und des unstillbaren Verlangens, zu vernichten.
Doch zum Luftholen blieb keine Zeit, weil das nächste Aufeinanderprallen der entfesselten Gewalten bereits folgte, und mit ihm der nächste Blitz, der nächste Ausbruch vernichtender Kraft, und den Atem erneut stocken ließen.
Und dabei blieb es nicht. Denn der Kampf der Kräfte, die gegensätzlicher nicht sein konnten, beschwor einen gewaltigen Sturm herauf.
Hätten sie ihre Kräfte vereint und zu gemeinsamem Handeln gefunden - sie hätten Großes erschaffen können. Doch nun, da sie sich bekämpften, geschah das Gegenteil. Sie schufen Vernichtung.
Zerstörten alles Leben, das sich befand, wo sie aufeinander trafen.
Wild brüllend stürzte sich der Sturm auf die Welt. Riss in sinnlosem Zorn hinweg, was immer ihm begegnete. Fegte Baum, Busch, Mensch und Tier vor sich her, wie dürre Blätter im Herbst, und schleuderte sie auf die Erde zurück. Zerbrach ihr Dasein, mitleidlos, und ohne Gnade.
Angespornt durch sein Toben, entfalteten nun auch die Blitze ihre vernichtende Macht. Nicht länger damit zufrieden, die Welt nur für Augenblicke zu erhellen, setzten sie bei jeder Berührung Gras, Baum und Strauch in Brand, und ließen sie in weithin leuchtenden Flammen aufgehen. Selbst vor Menschen und Tieren machten sie nicht Halt.
Wer immer dem vernichtenden Zorn des Sturmwinds entkommen war, fiel nun ihnen zum Opfer. Wer immer geglaubt hatte, er könne dem tödlichen Ringen der Mächte entkommen, begriff nun entsetzt, dass es kein Entkommen mehr gab. Zu groß waren die Kräfte, die in diesem Kampf wirkten. Und zu groß ihr Zorn aufeinander, um das Leben noch wahrzunehmen, das sie in diesem Kampf vernichteten. Sodass der Sturm mit unverminderter Macht weitertobte, und alles darnieder riss. Sodass die Blitze weiterhin gen Boden zuckten, unheilbare Wunden in ihn schlugen, und zerstörten, was immer sich dort noch an Leben befand.
Viel zu lange dauerte es, bis die Kräfte der Kämpfenden endlich erlahmten. Viel zu lange, bis das tödliche Ringen zu Ende ging. Bis der Schatten - dem Erlöschen jetzt nahe – endlich aufgab, und zurück in die Hügel floh, von denen er gekommen war.
Aber auch die Geistwesen der Wälder hatten viel Kraft verloren. Und sie ließen ihn ziehen, weil er keine Gefahr mehr bedeutete, sodass er der Vernichtung entging. Aber ihr Sieg über das fremde Wesen war teuer erkauft.
Die Stätte ihres Kampfes war gänzlich verwüstet.
In der einst fruchtbaren Ebene, die eine Vielzahl an Leben beherbergt hatte, war nun jedes Leben erloschen, herrschten statt seiner nun Düsternis und tödliche Stille. Wo eben noch üppiges Grün gewuchert, wo sich ein endloses Blütenmeer erstreckt hatte, qualmten jetzt überall Haufen aus Asche. Und zwischen ihnen lagen, kaum mehr als solche erkennbar, die verkohlten Überreste von Menschen und Tieren - grausige Zeugen eines grauenvollen, eines alles vernichtenden, und am Ende doch sinnlosen Kampfes.
Denn trotz ihres Sieges über das Schattenwesen war die Macht der Geistwesen von diesem Tag an gebrochen. Trotz ihres Sieges war dies der Tag, an dem die Herrschaft anderer Kräfte begann - in der Welt, die sich jenseits der Wälder befand.
Und auch der Schatten war nicht besiegt. Obwohl geschwächt und dem Ende nahe, wusste er doch, dass seine Stunde einst kommen würde.
Irgendwann.
In einer fernen Zeit.
Die Luft flirrte noch von der Hitze des Frühsommertages, während sich die letzten der Sonnenstrahlen - leuchtenden Fingern gleich – ihren Weg durch das dichte Laub der Bäume suchten.
Bald stießen sie auf ein neues Hindernis. Ein Mann saß dort, und verwehrte ihnen den Weg zur Erde hinab. Sodass sie nun, des Suchens endlich müde, diesem Mann ihre Wärme schenkten. So zärtlich, als sei er ihnen seit langem vertraut.
Er bemerkte sie nicht.
Tief in Trance versunken, und der Welt entrückt, nahm er nichts von ihr wahr. Und wären nicht die tiefen Atemzüge, bei denen sich sein Brustkorb hob und senkte - man hätte ihn für eine Statue halten können.
Was ihn wohl an diesen Ort geführt hatte, der fern jeglicher Behausung lag?
Um die dreißig, weder groß noch klein, und eher drahtig als muskulös, sah er aus wie alle Bewohner der Wälder. Und wie sie, trug auch er an einem heißen Tag wie diesem lediglich Beinkleider aus Leinen.
Sein Oberkörper hingegen war unbedeckt.
Seine bronzefarbene Haut glänzte seidig im Abendlicht, ebenso seine Haare, die - blauschwarz schimmernd - an das Gefieder eines Raben erinnerten, und ihm als dichter dunkler Vorhang auf die Schultern fielen.
Ein gewöhnlicher Waldbewohner war er dennoch nicht.
Denn seine Miene strahlte eine Würde und Ernsthaftigkeit aus, die nicht seinem Alter entsprach.
Achak war ein Schamane.
Einer der Auserwählten, denen die Geistwesen Zugang zu ihrer Welt gewährten.
Doch heute war er zum ersten Mal nicht gekommen, um für sein Volk zu bitten. Er bangte um das Leben seiner Frau - und um das seines ungeborenen Kindes.
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