Charly ließ sich auf seinen Stuhl am Esstisch plumpsen und stellte geräuschvoll seine Kaffeetasse ab. „Na, wie geht es uns denn heute?“ fragte ich mit einem schadenfrohen Grinsen in meinem Gesicht. Charly winkte ab und schielte in seinen Kaffee.
„Sag mal, Charly …“ begann ich rumzustottern „… was meinst Du, was unsere Nadja und dieser Nico wohl jetzt gerade machen?“ Charly sah mich erstaunt an. „Keine Ahnung.“ „Denkst Du, Matze hatte Recht mit seiner Vermutung?“ fragte ich weiter. „Mit welcher Vermutung denn?“ „Na ja, dass die beiden … Du weißt schon … noch im Bett liegen aber nicht schlafen.“ Charly starrte an die Decke. Er war kreidebleich und sah aus, als würde er gleich erneut ein Ticket für den Porzellanbus lösen. „Ob die beiden Sex haben, meine ich.“ Charly verzog sein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. „Ist Dir schlecht, Charly?“ Keine Reaktion. Dann schluckte er und atmete tief durch. „Ich glaub, ich bin über den Berg. Hast Du eine Kopfschmerztablette für mich, Marianne?“
Wütend erhob ich mich vom Tisch und ging hinüber an das kleine Sideboard, in dem sich unsere Hausapotheke befand. Hätte Charly gestern nicht so viel gesoffen, wäre er jetzt vielleicht ein bisschen aufnahmefähiger für das Gespräch, das ich ihm aufs Auge drücken wollte. Nadjas und Nicos Sexualverhalten wäre so ein schöner und passender Einstieg in das Gespräch gewesen, das ich jetzt mit Charly führen wollte. Ich legte ihm die Kopfschmerztabletten neben seine Kaffeetasse. Noch wollte ich nicht aufgeben.
„Ist es Dir überhaupt recht, wenn unsere Tochter unter unserem Dach mit ihrem Typen einfach so … rumvögelt?“ fragte ich.
Charly warf sich die Kopfschmerztabletten ein, spülte einen großen Schluck Kaffee hinterher und begann zu lachen. Ich wusste nicht, was ich von seiner Reaktion auf meine Frage halten sollte. „Unsere Tochter ist 21 und nicht 12! Lass sie doch!“ Jetzt wusste ich, wie ich meinen Mann anpacken konnte. „Ja ja, Du hast ja Recht!“ sagte ich. „Und wir sind auch noch keine 100!“ Charly runzelte erneut die Stirn. „Wie meinst Du das jetzt?“ „Verflucht!“ dachte ich mir. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Am liebsten hätte ich mir die Zunge abgebissen und wäre vor Scham im Erdboden versunken. „Na ja … ich meine … wie soll ich das jetzt sagen … wir sind auch noch nicht … sooo wahnsinnig alt. Ist Dir aufgefallen, dass wir beide – also Du und ich – schon ewig lang keinen Sex mehr hatten?“ Ich wurde nervös und mein linkes Augenlid begann zu zucken – wie immer, wenn ich nervös wurde. Charly begann sanft zu lächeln. Er lächelte mich so liebevoll und zärtlich an, wie er es schon lange nicht mehr getan hatte. „Ach Marianne …“ sprach er und nahm meine Hand. „… wir kommen auch schon langsam ins Alter. Ich bin ein alter Mann, ich werde bald 50!“
„Ein alter Mann?“ fragte ich mich und begann nachzurechnen. Charly war jetzt 47. Jopi Heesters starb mit 108 Jahren, im vergangenen Jahr war der älteste Mensch – ein japanischer Mann – im Alter von 116 Jahren gestorben.
Charly trank in kleinen Schlucken seine Kaffeetasse leer und war mit seinen Gedanken weit, weit weg. Doch ich wollte noch nicht aufgeben.
„Manchmal glaube ich, Du findest mich gar nicht mehr attraktiv.“ sprach ich vorwurfsvoll zu meinem Mann. „So ein Unsinn.“ raunte er. „Du bist die attraktivste Frau, die ich kenne.“
Jetzt verstand ich überhaupt nichts mehr. Mein Mann fand mich attraktiv, wollte aber nicht mehr mit mir schlafen. Sollte wirklich das Alter der Grund dafür sein?
„Hättest Du nicht mal wieder gerne Sex mit mir?“ Charly sah mich mit offenem Mund an. „Wie? Jetzt?“ „Nein, nicht jetzt. Irgendwann halt. Egal wann. Hauptsache wir machen es mal wieder. Hast Du denn daran wirklich gar kein Interesse mehr?“
Charly strich sich über seine Mundwinkel. Unser Gespräch war ihm sichtlich unangenehm. Er räusperte sich. „Weißt Du Marianne …“ sprach er kleinlaut „… wenn ich abends von der Arbeit nach Hause komme, bin ich meistens immer total erledigt. Ich will dann einfach nur noch meine Ruhe haben. Ein bisschen fernsehen, gemütlich ein oder zwei Bier trinken, und dann auch irgendwann ins Bett gehen.“ „Und am Wochenende?“ fragte ich schnippisch. Charly überlegte. „Na ja, da hab ich meistens im Haus viel zu tun. Immer wieder muss dieses und jenes repariert werden. Und im Sommer dann der Garten und so. Und irgendwann will man es sich doch auch einfach mal vor dem Fernseher gemütlich machen.“
Charlys Gesichtsausdruck begann sich mit einem Mal zu verändern. „Was ist denn plötzlich in Dich gefahren, dass Du auf einmal so auf Sex aus bist?“ herrschte er mich an. „Hast Du jetzt mit 45 Jahren auf einmal ein Problem mit dem Alter, oder was? Oder hast Du Deine Tage, oder kommst Du in den Wechsel? Ich würde mal zum Arzt gehen!“ Wütend erhob sich Charly vom Tisch und ging – mit der Kaffeetasse in der Hand – hinüber ins Wohnzimmer, wo er in seinem Fernsehsessel Platz nahm.
„Hätte ich bloß nichts zu ihm gesagt!“ dachte ich mir. „Zum Arzt soll ich gehen – so ein Schwachsinn!“ Ich war den Tränen nahe. „Soll er doch zum Arzt gehen und sich Viagra verschreiben lassen, der alte Mann! Wahrscheinlich will er keinen Sex mehr, weil er keinen mehr hoch kriegt!“ Ich begann, den Frühstückstisch abzuräumen. Als ich gerade die Butter in den Kühlschrank stellte, betraten Nadja und ihr Freund Nico die Küche. Beide wirkten glücklich und befriedigt. „Guten Morgen Mama!“ frohlockte Nadja bestens gelaunt. Sie drückte mir einen dicken Kuss auf meine Wange. Sie glühte richtig, wahrscheinlich hatte Nico ihr gerade einen hammermäßigen Orgasmus verbraten. „Sind noch Brötchen da? Nico und ich haben einen Wahnsinns-Hunger!“ „Ja, den hätte ich auch, wenn ich beim Sex so viel Kalorien verbrannt hätte, wie ihr beiden!“ dachte ich mir. Frustriert servierte ich meiner Tochter und ihrem Nico voller Neid das Frühstück.
Kapitel 3
Vier Tage später – es war ein wunderschöner Montag im September – hatte ich mich mit meiner besten Freundin Bianca in unserem Stammcafé verabredet.
Bianca war seit jeher meine beste Freundin, sie war dieses Jahr im Juni 45 Jahre alt geworden. Sie hatte damals ein Jahr nach mir geheiratet und sich zwei Jahre später von ihrem Mann Helmut – der äußerlich natürlich stark an Terence Hill erinnerte – wieder scheiden lassen. Helmut hatte ein Alkoholproblem und im Suff jedes Mal grundlos und leider genauso gnadenlos auf Bianca eingeprügelt wie der blauäugige Terence Hill in seinen Prügel-Komödien. Für Bianca hörte hier der Spaß allerdings auf. Sie hatte mir oft erzählt, wie froh sie war, dass in den drei Jahren ihrer Ehe ihr Kinderwunsch unerfüllt geblieben war. Sie hatte sich nach der Scheidung von Helmut nie mehr nach einem Mann umgesehen – zumindest nach keinem, den sie beabsichtigt hätte zu heiraten. Bianca war Single, glücklicher Single. Und obwohl es auch derzeit keinen festen Partner in ihrem Leben gab, hatte sie etwas, was ich nicht hatte: Sex. Ich wusste nicht, wie sie es schaffte, ständig neue Typen ins Bett zu kriegen. Bianca war immerhin nicht mehr die Jüngste. Zugegeben, sie war trotz ihrer 45 Lebensjahre noch immer eine attraktive Frau. Sie war eine gepflegte Erscheinung und hatte kurzes, blondes Haar, wodurch sie leicht burschikos wirkte. Ihre Figur konnte man durchaus als sportlich bezeichnen, und sie hatte wohlgeformte Brüste und den schönsten und knackigsten Hintern, den ich kannte. Das Auffälligste an Bianca waren jedoch ihre wunderschönen blauen Augen, die wie zwei Sterne aus ihrem Gesicht leuchteten.
Wir setzten uns an unseren Stammplatz, einen kleinen Tisch am Fenster. Nachdem Bianca einen Cappuccino und ich ein Kännchen Kaffee geordert hatten, begannen wir, über die Arbeit zu sprechen. Bianca arbeitete als Krankenschwester im örtlichen Krankenhaus, ich ging dem Beruf der Altenpflegerin nach. Wir sprachen über unsere Kollegen, Patienten, Heimbewohner, und schließlich über Charly und meine Kinder.
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