Mitte April 2016 - Dubai: Club in der Nähe der Kanzlei - Zwischen Unwohlsein und Freude
Kasib ließ sich auf der Straße nicht weit vom Bürogebäude absichtlich ein wenig zurückfallen, als Claudia und seine neuen „Freunde“ am Eingang zum Club ihre Geldbörsen zückten, um den Eintritt zu bezahlen. Wäre er mit der Engländerin alleine gewesen, wäre es für ihn eine Ehrensache gewesen, die Gebühr für sie mit zu übernehmen. So schien es aber ganz normal zu sein, die Frauen selbst bezahlen zu lassen. Er beobachtete, wie sich die anderen verhielten und tat es ihnen nach, also wäre er viele Male schon hier gewesen. „Das war doch gar nicht so schwer“, lobte er sich selbst, kaum dass er drinnen angekommen war. Dort merkte er prompt den Nachteil seines Plans: Er hatte den Anschluss zur Gruppe verloren. Erst als sich seine Augen an das Dunkel im Inneren gewöhnt hatten, erkannte er Claudia am linken Rand der Tanzfläche, wo sie sich zusammen mit den anderen einen Weg durch die Leute bahnte. Da es noch früh war, hatten sich bisher nur wenige Personen eingefunden, die sich auf der spiegelnden Fläche in der Mitte des Raumes zu den Klängen der modernen Popmusik verrenkten. Die meisten Personen standen noch an den Stehtischen, die rund um die Tanzfläche herum überall im Raum verteilt waren. „Hoffentlich kommt niemand auf die Idee, dass ich tanzen soll“, durchfuhr es Kasib erschrocken. Prompt rannte er mit voller Wucht in den Rücken eines jungen Mannes hinein, der einen ganzen Kopf größer war als der Tarmane. „Was zum Teufel ist mit dir los?“, wurde er wütend angefahren. „Nun sieh‘ mal was du Idiot gemacht hast!“, ging die Schimpftirade weiter. Zu seiner Verlegenheit sah Kasib, dass der Mann offenbar ein alkoholisches Getränk in der Hand gehalten hatte, dessen scharf riechender Inhalt sich nun über sein Hemd und sein Jackett ergossen hatte.
„Es tut mir sehr leid!“, stammelte Kasib verlegen. „Das hilft ihm auch nichts“, mischte sich nun einer der beiden Freunde des Betroffenen ungefragt ein. Er musste schreien, um die Musik zu übertönen, was ihm aber nicht schwer zu fallen schien. Anscheinend war er an die Kommunikation in diesem Club gewöhnt. Kasib murmelte nochmals eine Entschuldigung und schaute, dass er weg kam. Einige weitere, wenig freundliche Kommentare ignorierte er. Stattdessen achtete er von nun an peinlich genau auf seine Umgebung, um weitere Zusammenstöße zu vermeiden. Kaum hatte er den Dreh einigermaßen heraus, war es gar nicht so schwer, sich ohne Probleme seinen Weg zu suchen. Noch standen die einzelnen Gruppen weit genug auseinander. „Ich möchte nicht wissen, wie das hier zu späterer Stunde zugeht“, dachte Kasib schauernd. Die Ansammlung von Menschen war ihm schon jetzt zuwider, er mochte gar nicht an noch mehr Personen denken. Einen Moment lang überlegte er ernsthaft, doch aufzugeben und nach Hause zu gehen. Was sollte er eigentlich hier? Das Trinken von Alkohol kam für ihn nicht in Frage - schon aus religiösen Gründen nicht, noch mehr aber, weil er aus Leib und Seele Sportler war. Tanzen? Auf keinen Fall! Eigentlich hatte er sich mit Claudia unterhalten wollen, doch auch das schien hier nur mit Mühe möglich zu sein. Er wollte sich gerade umdrehen, um wieder in Richtung Ausgang zu gehen, als sein Blick auf die Engländerin fiel. Ihr Blick streifte suchend durch die Menge. Als sie ihn schließlich erkannte, hellte sich ihre Miene auf und sie winkte ihm zu. Die Geste war eindeutig, er solle zu ihnen kommen. Kasibs Abneigung für die ungewohnte Umgebung schmolz dahin und er verdrängte seine negativen Gedanken. Wenige Minuten später hatte er den Standort ihrer Gruppe erreicht. Nur mit halbem Ohr hörte er einen spöttischen Kommentar des gleichen Mannes, der ihn schon auf der Straße unfreundlich angemacht hatte. Es war ihm egal, denn Claudia strahlte nun übers ganze Gesicht. „Ich dachte schon, du bist wieder gegangen“, begrüßte sie Kasib. Ohne seine Antwort abzuwarten fragte sie über die Musik hinweg: „Was möchtest du trinken?“
„Eine Cola“, antwortete der Tarmane. Er war gespannt, wie ihre Reaktion ausfallen würde, denn ihm war nicht entgangen, dass sich die anderen bereits mit diversen bunten Getränken, die vermutlich überwiegend alkoholisch waren, versorgt hatten. Der nächste Spott war also vorprogrammiert. Doch die anderen waren nicht wichtig - was ihn interessierte war Claudias Meinung. Ohne mit der Wimper zu zucken nickte diese und entgegnete: „Prima, dann nehme ich auch eine.“
Erfreut bemerkte er erst in diesem Moment, dass sie offenbar mit ihrer Bestellung auf ihn gewartet hatte. Emanzipiert winkte sie dem Barmann zu und gab ihm mit einigen Gesten ihre Bestellung auf. Als sie ihm dann auch noch das Geld für beide Getränke reichte, wollte Kasib einschreiten, doch Claudia winkte lachend ab. „Tut mir leid mein Freund“, sagte sie resolut, „ich habe dich hier hereingeschleppt, also ist das Mindeste was ich tun kann, die Getränke zu bezahlen.“
Kasib fluchte innerlich. Offenbar hatte Claudia sein Unwohlsein bemerkt. Verlegen drehte er sich ein wenig zur Seite, als würde er sich neugierig im Raum umsehen. Sie standen direkt an der Tanzfläche in strategischer Nähe zur Bar. Da Kasib als Letzter zur Gruppe gestoßen war, stand er nur einen halben Schritt von der Stufe entfernt, die auf die spiegelnde Fläche hinabführte. Wieder musterte er zweifelnd die Personen, die sich rhythmisch zur Musik bewegten. „Keine Sorge“, hörte er Claudias Stimme auf einmal direkt an seinem Ohr. „Du musst nicht tanzen, wenn du nicht willst“, ergänzte sie.
Überrascht bemerkte Kasib, dass sie mit den beiden Flaschen Cola in der Hand direkt neben ihn getreten war. Erfreut stellte er fest, wie nahe sie ihm auf einmal war. „Vielen Dank schöne Frau“, flirtete er, indem er seinen Mund ebenfalls ganz nahe an ihr Ohr brachte. Zufrieden sah er, dass ihre Wangen ein zartes Rot überzog, doch ihre Augen strahlten. Das lief doch ganz hervorragend! Offenbar hatte seine Glückssträhne doch nur eine Pause gemacht.
Anfang Mai 2016 - Alessia: Rayans Haus - Die Audienz
Als es leise an seiner Zimmertüre klopfte, fuhr Alex erschrocken hoch. Er hätte nicht sagen können, wieviel Zeit vergangen war, seitdem er sich auf das Bett gelegt hatte, denn offenbar war er eingenickt. In seinen Träumen hatte er die Erlebnisse des Morgens auf dem Basar verarbeitet. Es war zum ersten Mal in seinem Leben, das er ein derart buntes Treiben gesehen hatte. Offenbar hatte es ihn mehr beeindruckt als er zunächst geahnt hatte, denn wie könnte er es anders erklären, dass die Bilder ihn bis in den Schlaf verfolgten. Dabei war es eine durchaus angenehme Geschichte gewesen, die ihm seine Fantasie da vorgespielt hatte, irgendeine Mischung aus Sindbad und Aladin. Fast bereute er es, dass er sich in ihrer Jugend immer gedrückt hatte, wenn ihre Eltern zusammen mit Carina diverse arabische Länder bereist hatten. Nicht dass er etwas gegen die Reiseziele gehabt hätte. Aber er war älter als seine kleine Schwester und hatte sich daher viel zu erwachsen gefühlt, um noch mit der Familie wegzufahren.
Es klopfte nochmals und Alex wurde endgültig in die Realität geholt. Auf seine Aufforderung, einzutreten, kam wie erwartet Mehmet zum Vorschein.
„Seine Exzellenz ist angekommen und wünscht dich nun zu sehen“, verkündete er mit leuchtenden Augen. Sein Gesicht verriet, dass er zwischen verschiedenen Emotionen schwankte: Stolz, dass er Überbringer dieser wichtigen Nachricht war und Aufregung, weil seinem Schützling da offenbar eine ganz besondere Ehre zuteilwurde. Aber da war noch etwas, was Alex nicht gleich einordnen konnte. War das etwa Angst? Konnte es sein, dass dieser sich fürchtete durch die reine Anwesenheit seines Schwagers? Was war bloß los mit diesen Leuten?
Es war lediglich Alex‘ Respekt vor seinem neuen Freund zu verdanken, dass er die abfällige Bemerkung, die ihm durch den Kopf ging, nicht laut äußerte. Am liebsten hätte er die „Einladung zur Audienz“ einfach ignoriert, nur um zu sehen, was passieren würde. Aber er ahnte, dass er damit eher Mehmet treffen würde und er wollte ihn nicht in Schwierigkeiten bringen.
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