Am Horizont sehe ich ein kleines Boot, das eilig auf Port Grimaud zu tuckert. Sonst ist es ganz still. Langsam gehe ich weiter und zerteile dabei die Wasseroberfläche mit den Händen. Der Sand unter meinen Füßen ist weich und geschmeidig. Spielerisch bewege ich die Zehen, um die kleinen neugierigen Fische anzulocken, die sich begierig auf den aufgewirbelten Sand stürzen und mir vor lauter Eifer auch manchmal ein bisschen in die Zehen kneifen.
Ich lasse die kleinen Räuber hinter mir, wobei ich tief einatmen muss, weil mir die Kühle um meine Brust einen Schauder über den Körper treibt. Ich stoße mich ab, tauche mit dem Kopf zuerst ein und schwimme ein gutes Stück unter der Wasseroberfläche. Schließlich drehe ich mich auf den Rücken und lasse mich treiben. Arme und Beine ausgebreitet, den Blick in den blauen Himmel gerichtet. Meine Ohren sind unter Wasser und ich höre das gedämpfte Tuckern des kleinen Fischerboots.
Alles ist so friedlich. Ich könnte stundenlang so treiben. Es hat schon etwas Meditatives, dieses Schweben in dem mich leicht wiegenden Wasser. Aber trotzdem fühle ich mich nicht so unbefangen wie sonst, denn ich habe das merkwürdige Gefühl, dass mich jemand beobachtet. Es ist nicht unangenehm, eher ungewöhnlich, und es ist mir fast so, als hätte ich heute Nacht etwas Ähnliches geträumt. Ich versuche mich zu erinnern, aber die Träume sind fort und verblasst.
Mit ein paar schnellen Zügen schwimme ich an das Ufer zurück und schaue mich dabei um. Niemand ist zu sehen, ich bin hier ganz allein.
Lana, nimm dich zusammen, du bist noch nicht bei der Miss-Wahl, keiner beobachtet dich und du solltest das alles nicht zu Ernst nehmen, schimpfe ich mich, während ich meine Sachen zusammensuche und barfuß zur Dusche laufe, um mir das Salzwasser vom Körper zu spülen.
Alle sitzen schon vor unserem Wohnwagen an dem wackeligen kleinen Campingtisch und frühstücken. Ich lege das Badehandtuch über meinen blau-weiß gestreiften Klappsessel und lasse mich lustlos hineinfallen.
Dank des guten Vorrats, den Maman in unseren Wohnwagen gestopft hat, muss ich heute noch nicht mit der Blauen Elise in den Ort fahren. Das ist auch gut so, denn ich kann mich vor Aufregung kaum auf den Beinen halten, geschweige denn einen Roller sicher durch das tägliche Verkehrschaos auf der Küstenstraße steuern.
„Nun iss doch was Chérie“, drängt meine Mutter mich. „Du fällst dort sonst noch um, das willst du doch nicht, oder?“
Als ich sehe, wie Didier sein rattiges Grinsen aufsetzt, siegt mein Verstand. ‚Du wirst mich nicht zusammenklappen sehen, mein Lieber!’ Aufseufzend nehme ich mir ein Croissant, bestreiche es mit Konfitüre und quäle es mir lustlos in meinen protestierenden Magen. Geht doch!
Nach dem Frühstück treffen wir uns wie verabredet bei Pauline. Fleur sieht auch nicht besser aus, als ich mich fühle. Nur Felix tänzelt wieder fröhlich um uns herum. „Ihr werdet schon sehen, alles wird great!“, behauptet sie.
„Ja klar, und peng“ meint Fleur müde.
„Habt ihr auch alles mitgebracht?“ Pauline rennt hin und her und holt Klamotten aus ihrem Wohnmobil. Was hat die nur alles mitgenommen?
Ich hingegen hatte einige Mühe, überhaupt ein paar coole Sachen zu finden, denn ich habe mit Schrecken festgestellt, dass Maman längst nicht alles, was ich zu Hause aufs Bett gelegt hatte, auch wirklich eingepackt hat. Wahrscheinlich zugunsten von Fressalien und Getränken.
Wir breiten unsere Sachen auf einer Campingliege aus und begutachten unsere Schätze. Pauline schleppt ihre beachtliche Kollektion von Einteilern heran.
„Warum besitzt du so much von diese Swimsuits?“ fragt Felix verwundert.
„Weil ich keine Bikinis tragen darf. Es ist zu unanständig. Originalzitat meiner Mutter!“ Pauline verzieht genervt den Mund.
„Strange!“, sagt Felix. „Crazy!“, und wieder mal: „Franzosen sind lustig.“ Ich kann das nur bestätigen.
„Die setzt mich damit für das ganze Jahr matt“, jammert Pauline weiter. „Wenn ich die Dinger eine Woche lang getragen habe, kann ich Bikinis noch nicht einmal mehr heimlich anziehen. Oben braun, unten braun und in der Mitte schneeweiß, das geht ja nun gar nicht.“
Wir stellen uns das alle natürlich sofort vor, und während wir grinsend auf der Kante der Liege hocken und uns Paulines Badeanzüge anhalten, ruft Felix plötzlich freudig: „Look! Die Hund von Strand. Da bist du ja wieder! Hey, little Dusty.“
Schwanzwedelnd steht der Hund von gestern Abend vor uns und lässt sich von Felix kraulen. Er ist rötlich-blond mit ein paar dunkleren Flecken im borstig aussehenden Fell und hat lustige Klappohren. Mit seinen braunen Augen schaut er uns neugierig an und schnuffelt schließlich mit seiner dunklen Nase an unseren Sachen herum.
„Hübsche Swimsuits, Dusty, oder?“ meint Felix und klopft ihm dabei auf sein Fell, das es staubt. Lachend wendet sie sich zu uns. „Dusty passt, right?“
„Ja Dusty“, sagt Fleur und hält ihm die Hand hin. Auch ich versuche, ihn zu mir zu locken.
„Na, du schwimmst wohl gerne“, flüstere ich ihm zu, denn sein Fell fühlt sich salzig an. Trotzdem ist es weicher, als es aussieht.
Nur Pauline schaut kritisch und bleibt lieber in sicherem Abstand auf der anderen Seite der Campingliege. „Gebt ihm bloß nichts zu essen, sonst werden wir ihn nicht mehr los“, sagt sie bestimmt. Dusty legt seinen Kopf schräg und schaut uns neugierig an. Genau darauf hat er wohl gewartet, denn als er merkt, dass bei uns nichts zu holen ist, trollt er sich und stellt sich bei dem noch frühstückenden Nachbarn erwartungsvoll vor dem Tisch auf.
Alain und Pascal kommen herangeschlendert. „Braucht ihr professionelle Unterstützung?“ Alain deutet mit großer Geste auf sich und seinen Bruder. „Hier ist sie.“
„Tja, ich weiß nicht. Was meint ihr?“ Fleur schaut uns an und wirft dabei einen mehr als kritischen Seitenblick auf Pascal. Pure Abneigung spiegelt sich darin und er schaut weg. - Was ist denn da los?
„Warum nicht?“, sage ich und Felix nickt, also machen wir kurzerhand vor den beiden eine kleine Modenschau. Ich bin ja zuerst skeptisch, was ihre Fachkunde betrifft, aber zumindest Alain erweist sich als echte Hilfe. Er ist auch nicht mehr so albern und kicherig, wie ich ihn von früher her kenne. Er ist ein richtig schicker Kerl geworden, stelle ich fest. Seine bewundernden Blicke, als ich mich mit Hotpants und einem im Nacken gebundenen, schwarzen Necktop vor ihm drehe, gefallen mir gut.
„Das ist es!“ sagt er bestimmt. „Das musst du anziehen, Lana!“
Pascal nickt dazu und lächelt mich unsicher an. „Du siehst toll aus“, flüstert er heiser und verschränkt dabei die Arme vor der Brust. „Ich hab jetzt ein Auto.“
Aha! Und was sagt mir das jetzt? Ich sage jedenfalls: „Schön!“
„Ich bin damit hier“, stößt er hervor.
Oh, Pascal, versuch doch mal, zwei Sätze miteinander zu verbinden. „Fein!“, sage ich und wende mich wieder den Klamotten zu. Er scheint ein wenig enttäuscht zu sein. Fleur schaut ihn schon wieder so seltsam an. Ich muss sie gelegentlich mal fragen, was los ist.
Bald haben wir uns alle entschieden, wer was tragen könnte und die Jungs gehen wieder. In dem kleinen Laden vom Campingplatz besorgen wir uns dank der Spende von Paulines Vater noch ein paar bunte Tücher, verschiedene Kettchen und coole Sonnenbrillen.
Nur High Heels sind nicht so schnell zu beschaffen. Fleur meint, dass sie sich welche leihen kann und Felix ist mit ihren Eltern ja auf großer Europafahrt. Die sind besser ausgerüstet, falls sie mal ins Theater wollen, oder so. Felix meint, sie nimmt einfach welche von ihrer Mutter. Für mich sehe ich allerdings schwarz. In meiner Größe wird nichts aufzutreiben sein. Sicher gibt es hier auf den Campingplätzen ein paar Frauen, die zu Hause etwas Passendes hätten, aber wer schleppt so was mit zu einem Campingurlaub? Das wäre ja bescheuert.
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