Da soll ich gleich im Badeanzug raus? Im Moment wünsche ich mir nichts mehr, als im Winter bei einer Skimodenschau zu sein. Im Val-d’Isère zum Beispiel oder in Annecy.
Etwas verzagt gehe ich hinter den anderen her, ohne auf die Mädchen vor mir zu achten. Plötzlich gerate ich ins Gedränge. Wir alle wollen auf einmal durch den schmalen Spalt im Vorhang, der die Bühne nach hinten abschließt.
Höflich, wie ich bin, lasse ich den anderen den Vortritt und sehe mich nochmals um. Das ist ein Fehler, denn plötzlich sind alle weg. Ich stehe allein vor dem geschlossenen Vorhang auf der Bühne und finde den Spalt nicht, der mich vor den 1000 Augenpaaren in meinem Rücken rettet. Hektisch taste ich die Falten ab, um bitte endlich zu verschwinden, am besten ganz plötzlich, so wie in einer Zaubershow.
Als es mir schließlich gelingt, den Durchschlupf zu finden, komme ich vor lauter Glück ins Stolpern und muss mich mit meinem vollen Gewicht am Vorhang festhalten. Der Stoff knackt gefährlich. Ich schwinge wie Tarzans Braut hinter die Bühne und bin endlich in Sicherheit. Und wer steht vor mir auf der breiten Treppe, die hinunter ins Garderobenzelt führt? Celine! Sie grinst, dreht sich um und geht kommentarlos. Ich brauche auch keine nähere Erklärung, ich hab es auch so verstanden: Ist schon klar! Auch Trampel dürfen sich bewerben. Vive la démocratie! Wo bin ich hier nur reingeraten? Eigentlich will ich mich nur noch irgendwo verkriechen.
An einem der Tische, die entlang des Catwalks aufgestellt waren, brach schallendes Gelächter los. Adriano hielt es mal wieder für nötig, eine seiner berüchtigten Sondervorstellungen zu geben. Er stand grinsend vor dem Tisch, rief „Hört doch mal zu! Hört doch mal zu! Jetzt kommt’s!“, hob beide Arme und machte ein paar tänzerische Bewegungen. Er hatte dem DJ am Rand der Bühne eine CD und einen Geldschein gegeben und jetzt kam der ganze Strand in den höchst fragwürdigen Genuss, über die Lautsprecheranlage die Musik zu hören, die Adriano gut fand.
Die CD war von einer namenlosen Gruppe aufgenommen worden, die populäre Hits mit grottenschlechten, eigenen Texten auf witzig umgestrickt hatte. Da wurde ein romantischer Ausflug mit der Freundin zur Powershoppingtour aus Macho-Sicht und die von Adriano angekündigte, gute Stelle entpuppte sich als der Refrain, in dem von einer blöden Schlampe die Rede war. Im nächsten Titel musste ein Mann zur Melodie eines alten Stones-Hits vor der verschlossenen Toilettentür ein wenig zu lange warten, und die Sache ging schlecht aus. Die dritte Nummer basierte auf einer Walzermelodie und handelte von einem Mädchen, das bei einem Treffen mit ihrem Freund alles falsch macht. - Immer hart an der Grenze zur Obszönität.
Am Tisch saßen ein paar der üblichen Mitläufer, mit denen sich Adriano so gerne umgab. Junge, hübsche Leute, die er auf den Campingplätzen in der Umgebung aufgelesen hatte, und die bereit waren, über jeden Blödsinn, den er so von sich gab, zu lachen. Es waren größtenteils junge Zelttouristen, und dass sie eine zeitlang an Adrianos Lebensstil ein wenig teilhaben durften, machte sie gefügig. Schließlich war das hier ein extrem teures Pflaster und Adriano war alles andere als knauserig. Er schmiss eine Runde nach der anderen. Seine Partys waren legendär, und wen er besonders gut leiden konnte, dem konnte es durchaus passieren, dass er sich am Steuer eines Leih-Ferrari für fast tausend Euro Tagesmiete wiederfand. Auf so einen Tagesausflug mit Adriano waren all seine Gäste ganz versessen.
Adriano machte dabei keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen, Hauptsache sie entsprachen dem eher südländischen Menschentyp, so wie er selbst. Das hatte ihm hier an der Côte d’ Azur einen gewissen Ruf eingebracht, den er gerne pflegte und immer wieder bekräftigte. Gegen ihn wirkten die Playboys des vergangenen Jahrhunderts mit all ihren Skandalen wie brave Schäfchen, und er war immer wieder bemüht, möglichst noch eins draufzusetzen.
Während der Kellner eine neue Runde Longdrinks für alle brachte, zog Adriano eines der Mädchen vom Stuhl hoch und machte ein paar schnelle, elegante Tanzschritte mit ihr. Das Mädchen kam dabei nicht mit, verhedderte sich irgendwie und kam ins Stolpern. Alle am Tisch brüllten vor Lachen und Adriano grinste mit einem Zwinkern beifallheischend in die Runde. Er verlangsamte das Tempo und jetzt klappte es besser. Nebenbei brachte er es auch noch fertig, dem Kellner einen Hunderter in die Brusttasche seines Sakkos zu stecken und abzuwinken, als dieser das Wechselgeld herausgeben wollte. Der Mann verbeugte sich knapp mit unbewegtem Gesicht und wandte sich dem Nachbartisch zu.
Adriano hatte das Mädchen mit seiner Tanzeinlage inzwischen völlig in Besitz genommen, anders konnte man es nicht nennen. Er führte nicht nur, man konnte es förmlich sehen, wie er das Mädchen unter seine Gewalt brachte. Es wirkte, als würde ein junges, kleines Kätzchen mit einem ausgewachsenen, schwarzen Panther tanzen. Die Menschen an den Tischen rundum wurden aufmerksam.
Adrianos Gesicht strahlte eine tierhafte Wildheit aus, als er das Mädchen auf engstem Raum fest umschlungen hielt und herumschwenkte. Es machte ihm Spaß, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Sein strahlend helles Raubtiergebiss blitzte zwischen seinen vollen Lippen hervor und er fing an, laut mitzusingen: „Und da nahm sie seinen ...“
Plötzlich brach die Musik ab und alle Augen richteten sich auf die Bühne. Einer der Organisatoren der Misswahl hatte wohl bemerkt, dass das Vorprogramm musikalisch etwas aus dem Ruder lief und diskutierte nun lebhaft mit dem DJ. Der kramte hastig eine andere CD aus seinem Bestand und legte sie ein.
Adrianos Gesicht verfinsterte sich und das Lächeln erlosch wie ausgeknipst. Ohne einen Moment zu zögern ließ er das Mädchen los, drehte sich um, flankte auf den fast einen Meter hohen Catwalk und ging mit schnellen Schritten auf die beiden streitenden Männer zu.
Mittlerweile kam wieder einer der ruhigen, fast schon seichten, typischen Vorprogrammsongs aus den Lautsprechern, so konnte man nicht verstehen, was auf der Bühne gesprochen wurde. Dass es aber nicht gerade ausgesuchte Höflichkeiten waren, die Adriano den beiden Männern an den Kopf warf, war deutlich zu sehen. Der DJ hielt ihm seine CD hin, aber Adriano schlug ihm die silbrig glänzende Scheibe aus der Hand, so dass sie in hohem Bogen über den Bühnenrand hinausflog und im Sand landete.
Die Diskussion wurde immer hitziger, die Gesten immer aggressiver. Der Manager zeigte Adriano mit einer Handbewegung an, dass er die Bühne verlassen solle, und als der nicht sofort reagierte, machte er den Fehler, ihn ein wenig in Richtung der Laufstegkante zu schubsen. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel fuhr ihm Adrianos Faust ins Gesicht.
Der Mann taumelte zwei Schritte zurück und hielt sich beide Hände vor das Gesicht. Adriano wandte sich ab, sprang von der Bühne und gab seinen Leuten das Zeichen, ihm zu folgen.
Einige schütteten noch hastig ihre Drinks in sich hinein, andere ließen ihre Gläser einfach stehen, aber alle standen auf und folgten ihm, als er den Strand verließ. Ein junger Mann hob mit verschämtem Grinsen die CD auf, wischte sie an seiner Kleidung kurz ab und folgte eilig der Gruppe.
Der Mann auf der Bühne hatte seine Hände inzwischen wieder heruntergenommen und sah dem Trupp ziemlich fassungslos nach. Zwar lief ein dünner Blutfaden aus seiner Nase, aber allzu hart schien der Schlag nicht gewesen zu sein. Eine junge Frau eilte herbei und reichte ihm ein Papiertaschentuch.
Der Mann presste das Tuch an sein Gesicht und gab dem DJ mit der freien Hand ein Zeichen. Die Lautstärke wurde heruntergefahren und New York, New York erklang aus den Lautsprechern.
Die Menschen an den Tischen wandten sich von der Bühne ab und begannen, den Vorfall zu bereden, während Adriano und seine Leute den Strand verließen. Niemand machte auch nur den geringsten Versuch, ihn aufzuhalten. Dieser junge Krieger hatte offenbar ziemlich heißes Blut, und keiner von ihnen hatte Lust, sich auch noch einen Schlag auf die Nase einzufangen.
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