„Mach dir nix draus“, meint Fleur. „Dann starten wir eben auch barfuß.“
„Of course wir machen das“, meint Felix dazu.
Das haut mich so um, dass ich ganz feuchte Augen kriege. „Ihr seid toll!“, sage ich nur.
Bleibt nur noch eines zu klären: Die Auswahl der Lieder. Fleur hat eine CD mit den neuesten Hits mitgebracht, die wir uns gemeinsam anhören. Alles zu schwierig, zu blöd, zu hoch, zu tief. Verdammt, wir stecken da wirklich in einer Zwickmühle, was sollen wir singen?
Ich laufe schnell zu unserem Stellplatz und frage Papa um Rat. Er kramt eine Oldie-CD heraus.
„Oldies?“ frage ich zweifelnd und drehe die CD unschlüssig hin und her.
„Ja, warum nicht?“, meint mein Vater, „da sind ein paar richtig gute Sachen drauf. Das sind so neuere Oldies.“
Neuere Oldies? Aha! Zögernd gehe ich mit meiner mageren Beute zu Pauline und den anderen. Na, ja, versuche ich mich selber zu ermutigen, reinhören kann man ja mal, wenn ich mir auch nicht viel davon verspreche.
Wie man sich täuschen kann: Die Mädels sind begeistert und schließlich findet jede von uns doch noch einen Song, der zu ihr passt. Felix entscheidet sich für „In your Eyes“ von Kylie Minogue, ich wähle nach langem hin und her „Eternal Flame“ von Atomic Kitten und für Fleur entscheiden wir uns alle einstimmig für den „Las-Ketchup-Song.“ Erstens versteht den eher gesprochenen Text sowieso keiner und zweitens bauen wir darauf, dass Fleur die Leute so zum Mitsingen animiert, dass keiner merkt, wie schlecht sie wirklich ist. Pauline findet unsere gesanglichen Bemühungen nach einigem Üben perfekt. Nur mit den Bewegungen zum Las-Ketchup-Song kommt Fleur immer wieder durcheinander. Aber irgendwann hat sie mit unserer Hilfe auch das kapiert.
Mittlerweile ist es Mittag, bis zur Miss-Wahl bleiben uns noch zwei Stunden. Also ab unter die Dusche, Haare waschen, Fußnägel lackieren – und – und - und.
Fleur hat ihren ganzen Vorrat an Kosmetikartikeln mitgebracht. Eine halbe Stunde lang sind wir damit beschäftigt, uns nach Kräften aufzubrezeln: Kettchen und Schleifchen um die Fußgelenke legen, Augen schminken, Haare stylen und so weiter. – Alles was unsere bescheidenen Mittel hergeben.
Alle meckern an meinem dünnen Lederbändchen herum, das ich um mein Fußgelenk trage. Aber ich will es nicht ablegen. Meinetwegen mache ich mir noch ein Plüschschleifchen darüber, das Pauline aus ihrer Kiste zaubert, aber das Lederbändchen bleibt! Das hat mir Hervé mal geschenkt und es hat mir bisher immer Glück gebracht.
Madame Poireaux drängt uns, wenigstens etwas von ihrem grässlich faden Nudelsalat zu essen, damit wir nicht mit ganz so leerem Magen zur Misswahl gehen. Wir wollen sie nicht beleidigen, also bringen wir auch das noch hinter uns.
Endlich ist es so weit: In Reih und Glied machen wir uns auf den Weg zur Schlachtbank – nein zur Miss-Wahl in der Strandbar vom Nachbarcampingplatz. - Oh je!
Jede von uns hat eine Tasche mit ihrem Outfit in der Hand. Pauline schleppt das ganze Kosmetikzeug, Föhn, Haargel und sonstiges zur Verbesserung unseres Aussehens mit.
Felix geht vor mir. Ihre Haare hat sie gestylt wie Halle Berry zu ihrer James Bond Zeit. Sie sieht richtig klasse aus. Fleur hat ihr krauses Haar in glatte Wellen gezwungen und ich, ich sehe eigentlich aus, wie immer: glatte, lange, blonde Haare, mehr kann man daraus nicht machen.
Unsere Eltern folgen uns plaudernd und lachend. So marschieren wir über den Strand. Schon von weitem hören wir Musik und Lautsprecheransagen, wie auf einem Rummelplatz.
Das erste, was ich vor der Bar sehe, ist der aus Holzplanken bestehende Catwalk, der quer über den Strand verläuft. Rechts und links vom Laufsteg tummeln sich schon eine Menge Leute. Mir wird ganz schlecht und ich würde am liebsten umkehren. Wie bin ich nur auf diese bescheuerte Idee gekommen, hier mitzumachen, und das auch noch freiwillig?
Felix vor mir strahlt mit bezauberndem Lächeln nach rechts und links und steuert geradewegs auf das Zelt zu, wo wir uns anmelden müssen. Ich wäre vor lauter Aufregung daran vorbeimarschiert.
Jede von uns bekommt einen Fragebogen, mit dem wir nach hinten ins Zelt an einen Tisch gehen.
Der Typ, der uns die Bögen gibt, hat seinen Stuhl vor dem Eingang aufgebaut. Wir kriegen schnell raus, warum. Obwohl die Seitenwände locker herunterhängen, sodass der warme Nachmittagswind unter der Plane hindurchwehen kann, ist eine brütende Hitze hier drin. Dagegen kann auch der Ventilator nicht an, der in einer Ecke steht und kläglich vor sich hinsurrt.
„Puh, was für ein Backofen!“, stöhnt Pauline, die als erste hinein gegangen ist. Entschlossen macht sie kehrt, kaum dass sie sich zwei Schritte hineingewagt hat. „Wir müssen hier raus, sonst ist eure Schminke gleich verlaufen. Irgendwohin in den Schatten. Alles ist besser als das!“
So hocken wir uns im kargen Schatten einer Pinie in den Sand und beschäftigen uns mit den Fragebögen: Name, Herkunftsort, Schule beziehungsweise Beruf, Alter und so weiter sollen wir dort eintragen, und dann wollen sie natürlich auch noch die Unterschrift eines Erziehungsberechtigten. Da können wir ja froh sein, dass unsere Eltern alle mitgekommen sind.
Zuerst füllen wir aber die vorgedruckten Felder mit unseren Daten aus. Allein damit sind wir schon eine ganze Weile beschäftigt. Vor alle Dingen mit unseren Körpermaßen.
„Warum müssen wir das? Das ist dumm. Die sehen uns doch!“ protestiert Felix empört. „Maße von Brust und so! Ich weiß nichts davon!“
Richtig. Da steht B: - T: - H: - Wir sehen uns alle ratlos an, denn keine von uns hat je ihren Körper genau an diesen Stellen gemessen. – Außer mir vielleicht. Fast täglich. Aber das war in einer Zeit, die weit zurückliegt und an die ich nicht mehr denken will.
Die praktische Pauline weiß Rat. Sie hatte nur an die Körpergröße gedacht, die wir in dem Fragebogen auch angeben müssen und hat vorsichtshalber einen Zollstock von ihrem Vater mitgebracht. Nun wühlt sie aus ihrer Tasche ein Band heraus, das sie uns um die jeweiligen Körperpartien schlingt und dann an den Zollstock hält. So kriegen wir einigermaßen genaue Angaben über B, T und H.
Das Gewicht wollen sie auch noch wissen, aber da Pauline keine Waage mitgeschleppt hat, verlegen wir uns aufs Schätzen. Dann schnell noch die Unterschrift von den Eltern geholt, und endlich können wir unsere Anmeldezettel abgeben.
Jetzt sind wir also offizielle Teilnehmerinnen des Wettbewerbs. Zum Zeichen dafür bekommen wir einen Button, auf dem in pinkfarbener Schrift auf knallblauem Grund Miss-Teen-Beach-Competition steht. Darunter ist eine Nummer aufgedruckt.
So geschmückt begeben wir uns zu der ziemlich großen Gruppe der anderen Teilnehmerinnen, die bereits im Schatten des Bühnenaufbaus warten. Keine Minute zu früh, denn von einer jungen Frau werden uns dort im Schnellverfahren die Spielregeln und der Ablauf der ganzen Veranstaltung erklärt: Als erstes steht der Catwalk im Badeanzug auf dem Programm, dann Karaoke, dann die Präsentation von Freizeitklamotten, dann ein kleiner Intelligenztest und ganz zum Schluss müssen wir uns nach Musik tänzerisch bewegen. „Alles klar?“, fragt sie uns mit einem Blick, der jede Frage sofort im Keim erstickt.
„Alles klar!“ Stolz klettern wir auf die Bühne. Ich drehe mich um und falle fast in Ohnmacht.
Steht man unten in der Menge, fällt es gar nicht so auf, aber von der Bühne, über die wir zur Garderobe gehen, hat man den besseren Überblick. Es müssen an die tausend Leute sein, die da unten bei Lautsprechermusik auf den Beginn der Veranstaltung warten, und es kommen über den Strand immer noch welche dazu.
Ich muss schlucken. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Offen gestanden hatte ich überhaupt nicht darüber nachgedacht, aber ist ja klar: Deswegen läuft die Show ja, damit die Leute was zu schauen haben.
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