Ein Risiko ging von einem ganz anderen Aspekt aus. Wir hatten mit dem Gefüge aus Ursache und Wirkung gespielt, das in dem uns bekannten Universum nun mal untrennbar an einen zeitlichen Ablauf gekoppelt ist.
Was ihnen größte Sorge bereitete, war eine Entkoppelung der Kausalität vom Zeitstrahl, die Verkehrung des natürlichen Ablaufs, wenn es uns also plötzlich möglich wäre, ein Element des Ursache-Wirkung-Paares so zu verändern, daß es nicht mehr zu dem anderen paßte, beide aber unabhängig voneinander weiterexistierten. Man befürchtete allen Ernstes, mit diesem Paradoxon eine Kaskade im Raum-Zeit-Kontinuum auszulösen, mit unvorstellbaren Folgen. Zum ersten Mal bekamen wir eine Ahnung von dem, was man uns auf den Schulausflügen ins Museum nicht hatte erklären können: was nämlich die Aliens ausgelöscht hatte. Es mußte ihre eigene Technologie gewesen sein, die – falsch genutzt – ihr Untergang gewesen war.
Ich brauche dich nicht daran zu erinnern, daß wir das mächtig übertrieben fanden. Denn was bedeutete das für uns? Unser Abenteuer war schließlich gut ausgegangen! Zwar hatten wir Hand an die Grundfesten der Welt gelegt, aber es war ja nichts passiert.
»Zufall«, sagte man uns. »Reines Glück, mehr nicht. Denn wäre der Ablauf nur um ein Iota von dem abgewichen, wie er hätte sein sollen, hätte es die Versuchsanordnung höchstwahrscheinlich auseinandergerissen. Eine Neutronenbombe wäre im Vergleich dazu ein Knallfrosch gewesen.«
Am selben Abend wurde das Areal abgesperrt, aber deine kleine Verehrerin, Sylvia, deren Vater den Wachdienst leitete, hatte mitbekommen, daß der Fernsprecher in der Zeitzone erst am nächsten Morgen untersucht und dann demontiert werden sollte. Es wäre die letzte Gelegenheit, den Apparat noch einmal auszuprobieren, und das ließ ihr keine Ruhe.
Als ich endlich im Bett lag, hörte ich, wie kleine Steinchen gegen mein Zimmerfenster geworfen wurden. Ich stand auf und sah nach draußen. Dort unten wart ihr, du und deine kleine Freundin, und recktet eure Gesichter zu mir hoch. In dieser Nacht, als vieles drunter und drüber gegangen und die ganze Siedlung in Aufruhr geraten war, hatte Sylvia sich ein Herz gefaßt, und du warst ihrem Charme erlegen und hattest ihrem Betteln zuletzt nachgegeben.
»Kommst du mit, Rick? Wir wollen ein letztes Mal in die Höhle. Morgen ist alles vorbei.«
»Bist du wahnsinnig! Viel zu gefährlich. Was sollen wir da noch?«
»Ich will Sylvia den Kommunikator zeigen. Letzte Chance.«
Das gefiel mir ganz und gar nicht, trotzdem schlüpfte ich in meine Klamotten und schloß mich euch an. Wenn ihr euch schon auf diesen Irrsinn einließet, könnte es vielleicht helfen, wenn ich dabei wäre. Heute weißt du, daß das alles ein Fehler war. Ich hätte euch stattdessen von dem Plan abbringen sollen. Aber ich sah deine Entschlossenheit und spürte, daß nichts dich aufhalten konnte, wenn du dir einmal etwas in den Kopf gesetzt hattest. Schon gar nicht ein hastig aufgebauter Sperrzaun und die Wachen, die davor patroullierten. Es kam dir zupaß, daß wir unseren geheimen Zugang verschwiegen hatten, und so war es ein Leichtes, im Schutz der Dunkelheit bis zu dem Versteck vorzudringen.
Ob wir wußten, was wir da taten, David? Ich glaube, das wußten wir nicht, obwohl wir geduldig und gehorsam den Erklärungen der Erwachsenen gelauscht hatten. Wir hatten die Theorie verstanden, die sie uns über das Phänomen darlegten, aber wir hatten nichts von der praktischen Seite begriffen. Nicht in letzter Konsquenz, nicht bis zum Ende. Wir konnten uns nicht vorstellen, was es bedeutete, wenn etwas schiefginge. Wir hatten alles im Griff, glaubten wir, was sollte also schon schiefgehen, wir beherrschten das Wunder. Aber das Wunder wendete sich gegen uns.
In sternengetupfter Dunkelheit schlichen wir uns in die Höhle. Es dauerte eine Weile, bis sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Einzige Lichtquelle im Inneren war das schwache Glimmen, das den Kommunikator umgab, und das erst allmählich die Felswände ringsum aus dem Zwielicht hervortreten ließ. Neugierig beugte sich Sylvia über den Apparat.
»Das ist alles? Ich habe ihn mir irgendwie … aufregender vorgestellt. Sieht aus wie ein kaputtes Telefon.«
Du lachtest nur. »Warte nur ab, was das Ding kann!«
»Soll ich …?«
Sylvias Hand lag auf dem Apparat, sie sah dich fragend an, und du nicktest auffordernd. Sie hob den Hörer ans Ohr, und du zeigtest ihr, wie sie das Rufsignal auslösen konnte. Ein wiederholtes Summen, dann ein Klicken in der Leitung.
»Hallo?« sagte Sylvia zögernd. Sie lauschte hinein in Zukünftiges, das schon stattgefunden hatte, beugte sich über den Rand der Gegenwart, verlor den Halt und tastete blind durchs Dunkel der Zeit nach ihrem Schicksal.
In der Muschel zirpten Worte, die wir nicht verstehen konnten. Verstört ließ Sylvia den Hörer sinken und wandte sich uns fragend zu. Du strecktest schon die Hand aus, aber ich war schneller. Atemlos stieß ich ein »Ja?« in die Sprechmuschel. Das warst du am anderen Ende, natürlich, soweit lief es nach Plan. Aber das war noch nicht alles. Ich wartete auf das, was du mitzuteilen hattest: keine guten Nachrichten.
So behutsam, als ließe ich ein rohes Ei ins Wasserbad gleiten, lege ich den Hörer zurück in die Schale. Plötzlich sehe ich die Schleife, in der wir gefangen sind. Die Zeit zieht einen Bogen von der Zukunft in die Vergangenheit und zirkelt von dort zurück in eine festgelegte Gegenwart.
Du wirst dich mit Sylvia auf den Weg zum Telefon machen, dann wird deine kleine Freundin auf halber Strecke zu Tode stürzen, und zuletzt wirst du das Klingeln beantworten, um es mir mitzuteilen. So steht es fest, das ist die Zukunft, daran läßt sich nichts mehr ändern. Es ist ja schon geschehen!
Zum ersten Mal sehe ich dich weinen. Still laufen dir die Tränen über das versteinerte Gesicht. Und ich kann dir nicht helfen, mein Freund.
Wie Marionetten, aufgehängt an Fäden, die das Schicksal führt, marschiert ihr los, du und das Mädchen. Ich bleibe zurück und schaue euch nach, bis das tanzende Lampenlicht hinter der ersten Biegung verschwunden ist. Da springe ich auf die Beine und gehe. Bestimmt wirst du verstehen, daß ich nicht warten will, bis du zurückkehrst – allein.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.