Die übliche Büroelektronik und farblich dazu passend perlgraue Seidenpolster auf den Stühlen. Ein achteckiger Aschenbecher aus fast durchsichtigem Porzellan, in dem jemand einen halb gerauchten Zigarillo ausgedrückt hatte, einen unten zerfaserten Stumpen, der oben fast senkrecht stehen geblieben war. Komisch, dachte Zett, er hatte Bucholtz niemals rauchen sehen. Dann fiel ihm ein, dass Bucholtz hier gar nicht der Hausherr war, auch wenn er dieser internationalen Konferenz vorsaß, um die sich gerade alles drehte.
„Lank, ich rufe jetzt den Chef an und bitte ihn, Karl Bucholtz abzulösen. Kommen Sie oder Ihr bestusster Söldner mir quer, dann schieße ich. Ist das verstanden?“
„Klar doch, Herzchen“, blaffte der Schmerzensmann im Rollstuhl. Der Gegensatz zwischen seiner Figur und dem Machospruch verblüffte alle drei – Lank selbst vielleicht am allermeisten. Er flüchtete aus der Peinlichkeit in heiseres Kichern, das zum Röcheln wurde, so brustzerreißend, dass Zett sich besorgt zu ihm hinab beugte, um in dieser Position, zwischen zwei Atemzügen, den gekeuchten Befehl aufzuschnappen: „Schieß!“, bevor das Röcheln doppelt so laut weiterging.
Dann musste das jetzt wohl so sein. Ein Showdown war ein Showdown. Zett stand ohnehin mit gebeugtem Oberkörper da – ein Anblick, der bei Peeters keine Reflexe mehr auslöste. Höchstens weitere fünfzig Zentimeter trennten seine Hand von der kleinen Smith & Wesson am Knöchel. Also ging er mit geheuchelter Fürsorglichkeit neben Lank in die Hocke, wobei der gestrige Streifschuss am Oberschenkel wieder aufplatzte. Dafür allerdings rutschte das Hosenbein ein Stück höher und gab den Klettverschluss über dem Strumpf frei. Er zog die Smith & Wesson und schoss das Telefon samt Ladestation vom Schreibtisch, bevor er sich aufrichtete, um den Anblick der entgeisterten Peeters zu genießen. Draußen hatte niemand was gehört. Ein hemdsärmeliger Mann mit Headset servierte den Fahrern Espresso.
„Das Telefon ist wohl im Arsch ... Herzchen!“, stichelte Lank. „Und Sie, mein lieber Doktor Zett, sorgen sich bitte nicht um Ihren Bonus!“ Das Röcheln war Lank mit Zetts Treffer vergangen. „Dieses Theater strengt mich doch ziemlich an ...“
„Herr Czartoryski verdoppelt Ihr Honorar, wenn Sie mich mit ihm sprechen lassen“, verkündete die Peeters.
„Wollen Sie trommeln?“, fragte Zett. „Rauchzeichen geben?“
Lank begann erneut zu röcheln, als Peeters’ freie Hand blind die Tastatur des Notebooks fand. Das Telefon war zwar geschrottet, aber der Kabelanschluss funktionierte wohl noch. Typisch, dass sie kein W-LAN benutzen, dachte Zett, gesundes Misstrauen gegenüber drahtlosen Netzen! Er schoss. Die Steckdose qualmte. Irgendwo im Haus schrillte ein Alarm, verstummte aber gleich wieder, da man die Konferenzteilnehmer offenbar nicht beunruhigen wollte.
Peeters richtete Zetts Makarow nun auf das große Fenster. „Lasst mich raus, oder ich schieße“, drohte sie.
„Tsss ...“, machte Lank. „So ein Eklat bei der Konferenz amüsiert weder Bucholtz noch Czartoryski. Außerdem schießen Sie auf Panzerglas. Wahrscheinlich hört man draußen gerade mal ein Knistern. Ich schlage vor, Sie lassen den Quatsch!“
„Sie schäbiger Verräter! Der Chef hat Ihnen nie etwas getan!“
„Ich ihm doch auch nicht“, erwiderte Lank. „Tatsache ist aber nun mal, dass Czartoryski ein großer Visionär ist und im Kampf ein mächtiger Anführer, jedoch als Moderator eine glatte Null. Er würde die Konferenz in fünf Minuten an die Wand fahren. Viel zu schnell gekränkt, viel zu großes Ego und dabei nicht halb so gerissen wie Bucholtz. Nur unter Karls Vorsitz haben wir eine Chance.“
„Aber wie soll denn ausgerechnet Bucholtz noch vermitteln?“, rief sie, nun fast mit Tränen in der Stimme. „Er ist doch inzwischen selber Partei – erpresste, von draußen manipulierte Partei!“
„Und wer bitte weiß in diesem Augenblick, dass er erpresst wird?“, fragte Lank. „Außer ihm selbst, Ihnen, mir und unserem Doktor Zett hier? Wer bitteschön weiß unten am Konferenztisch, dass man Karl erpresst?“
„Der Erpresser, falls er mit am Tisch sitzt“, sagte Zett.
Peeters dankte ihm mit enthusiastischem Nicken.
„Allenfalls der“, brummte Lank widerwillig. „Aber weder der, noch die anderen, noch ihr zwei habt die geringste Ahnung, wozu Karl fähig ist, wenn man ihn in die Enge treibt.“ Lank zögerte, bevor er schloss: „Zielen Sie auf Frau Peeters’ Kopf, Doktor Zett, und sobald die Dame ihre Waffe wieder auf das Fenster richtet, drücken Sie ab.“
„Sonst können Sie Ihren Bonus vergessen, Doktor ehedem Sixpack“, ätzte die Peeters. Zett trat auf sie zu, mit kurzen, vorsichtigen Schritten. Nur keine Eile, keine Bedrängnis! „Angst, Sie schießen auf zwei Meter daneben?“, spottete sie.
Näher. Noch näher.
Er starrte in das neun Millimeter kleine Loch, das im Normalfall die Mündung seiner vertrauten SIG Sauer 229 gewesen wäre. Die ungewohnte Makarow hatte er nur genommen, um notfalls den perfekten Schalldämpfer des Fabrikats zu nutzen. Der steckte jetzt in der Innentasche seines Sakkos. Wenn sonst nichts mehr half, konnte er damit immer noch werfen oder zuschlagen. Bestimmt ein Ehrenplatz in der Hall of Fame seiner Einsätze: Sich erst von der Frau die Knarre aus der Hand treten lassen und die Gegnerin dann mit dem Schalldämpfer ausknocken!
„Sie schießen nicht auf mich“, sagte er. „Vielleicht aufs Fenster, aber nicht in meinen Kopf. Geben Sie mir jetzt die Waffe!“
„Passen Sie auf, die legt Sie wieder rein!“, schimpfte Lank, doch Peeters zuckte nur die Achseln.
„Das ist es nicht wert“, sagte sie.
„Meine Pistole“, beharrte Zett.
Peeters rührte sich nicht. Sie zielte immer noch auf ihn, so wie er auf sie. Behutsam hob Zett seine Linke und hatte fast die Waffe gegriffen, da öffnete sich Peeters’ Faust und die Neunmillimeter polterte zu Boden. Peeters nutzte die Schrecksekunde, den Zwiespalt ihres Gegners ... Waffe sichern oder Feind stellen? ... nutzte den winzigen Vorsprung, den sie sich verschafft hatte, um Lanks Rollstuhl am Rad zu packen und von der Schiebetür weg zu kippen, sodass Lank ausgerechnet mit seinem lahmen Kreuz übers Parkett schlitterte, schweigend, ohne Wehlaut, still auch noch, als Zett mit schmerzverzerrtem Gesicht über ihn hinweg sprang und Peeters zu Boden warf.
Auf dem blanken Fischgrätparkett drei lädierte Körper und der umgekippte, wild piepende, Hightech-Rollstuhl. Jetzt allerdings macht Zett Ernst. Ein Schlag an den Hals raubt Peeters den Atem. Noch während sie japst, trifft der Kolben seiner Waffe sie über der Nasenwurzel. Niemand ist so leicht zu kontrollieren wie ein Gegner, dessen Tränendrüsen gerade den Impuls für maximalen Ausstoß bekommen. Allerdings tut der Hieb auch Zett nicht gut. Anfangs wallt der Schmerz noch scheinheilig langsam aus der Hand über Arm und Schulter in den Brustkorb, beschleunigt dort aber und bohrt sich zuletzt hochtourig in den Solarplexus.
Nun übernimmt vollends der Berserker das Kommando, der Berserker in Zett, dem Scham, Furcht, rotglühender Schmerz und das nie mehr abwaschbare Gefühl von Cloerkes’ Gehirnklümpchen durch die Synapsen rasen. Dieser Berserker schließt die Faust um Peeters’ Kehlkopf und drückt ihr die Mündung seiner Smith & Wesson in den Augenwinkel, dort, wo es schön weich ist. Das tut der Hand nicht weh.
2. Köln und Venedig. 17. bis 18.11.2003
Mit Autobomben bei den Istanbuler Synagogen Newe Schalom und Beit Israel hatte der antisemitische Terror, in der Türkei völlig neu, auf einen Schlag vierundzwanzig Tote und zweihundertfünfzig Verletzte gekostet. Während die Fernsehbilder von der Straße zum Galataturm liefen, die Zett selbst oft genug mit bandagiertem Gesicht hinauf gestapft war zur postoperativen Nachsorge, hatte er den Gestank von Betaisodona nicht aus der Nase gekriegt.
Читать дальше