Denn dann
ja dann
das ist doch sonnenklar
ja klar
dann wär ich stark
dann wär ich groß
dann würd ich kämpfen gegen Riesen
ja Riesen
und müsst mich nicht im Loch verkriechen
Muriels Löckchen flogen, sie schnalzte mit der Zunge und klopfte weiter den Takt mit den Füßen.
„Kapiert?“
Henry nickte. Er versuchte die gleichen Tanzschritte wie Muriel zu machen. Er wackelte wild, allerdings noch etwas ungelenk mit den Hüften und seine rechte Pfote stieß er im Rhythmus wie zum Schwur im Takt gegen den Himmel. Er sang.
Ich geb dir mein Versprechen
ich geb dir mein Versprechen
und werd es niemals brechen, brechen, brechen
wenn du mich rufst
dann bin ich da
oh ja, oh ja
dann kämpf ich gegen Riesen
und du
du musst dich nicht im Loch verkriechen, verkriechen
fisch dich aus jedem Wasser
raus
und bring dich immer heil nach Haus
und tanz mit dir bis in die Nacht hinein
oh ja, oh ja
und tanz mit dir im Mondenschein
Muriel johlte. Sie klatschte, lachte und tanzte mit.
„Olala! Du bist ein echter Rapper, Henry, weißt du das? Du bist der coolste Kater der Welt!“
„Das hab ich von meinen Bäreneltern gelernt!“, sagte er und seine Augen leuchteten stolz. „Wir singen immer in der Badewanne!“
„ Feststeht, du bist die coolste Katze der Welt!“, rief sie dreimal hintereinander, raste um ihn herum, klatschte dabei in die Pfoten, stellte sich federnd auf die Zehenspitzen, sprang ab und machte einen Rückwärtssalto. Kinderleicht sah das aus. So leicht, dass Henry versuchte es nachzumachen. Aber er landete recht unsanft auf seinem Hinterteil.
„Das musst du noch üben!“, kicherte Muriel.
„Aber im Bäume hochklettern, da bin ich echt gut“, sagte Henry verlegen.
„Und im Mäuse retten!“, sagte Muriel.
Wieder schlug sie einen Rückwärtssalto. Allerdings keinen einfachen Salto. Es war ein doppelter Rückwärtssalto.
„Du bist eine echte Supermaus!“, rief Henry und Muriels Ohren liefen vor Freude dunkelrosarot an.
„Du kannst das auch. Ich bin sicher, du kannst das!“
Henry zögerte.
„Los!“ rief Muriel.
Und Henry holte tief Luft. Mit Schwung bog er sich rückwärts nach hinten und genau in dem Moment fiel ein Sonnenstrahl auf seinen grünen Stein, der hell aufblitzte. Er spürte ein Prickeln, eine eigenartige Wärme, die durch sein Blut schoss. Und leicht wie ein Blatt flog er im hohen Bogen durch die Luft und landete sicher auf den Beinen.
„Olala! Cool! Ist dein Stein ein Zauberstein?“
„Zauberstein?“
Vorsichtig berührte Muriel den Stein.
„Er fühlt sich glatt und warm an!“, sagte sie und blickte hindurch.
„Olala, ich sehe alles in grün. Es ist als ob ich in einen grünen See schauen würde. Ich glaube mir wird schwindlig! Ich glaube, es ist ein Zauberstein“,
„Nein, nein, kein Zauberstein!“, entgegnete Henry. „Der Stein ist nichts Besonderes. Den Stein hab ich schon immer.“
Aber Muriel ließ sich nicht beirren.
„Du wirst schon sehen“, sagte sie. „Es ist todsicher ein Zauberstein!“
In dem Moment flogen Wildgänse schnatternd über den See und Henry bemerkte, dass die Sonne bereits am Untergehen war.
„Ich muss jetzt los, Muriel, Ich muss nach Hause, es ist schon spät. Sollen wir uns morgen wieder hier treffen? Um die Mittagszeit?“, fragte Henry.
Muriel nickte und kicherte.
Dann jagte Henry in langen Sätzen davon. Seine Gedanken drehten sich im Kreis.
„Warum bin ich kein Bär? Meine Eltern sind doch Bären? Warum haben sie mir nicht gesagt, dass ich eine Katze bin? Warum bin ich eine Katze?“
Er bemerkte nicht das Eichhörnchen mit dem schwarzen Schwanz, das ihn von Ast zu Ast begleitete.
„Da bist du ja!“, rief Lotti fröhlich aus der Küche. „Es gibt Pfannkuchen mit Himbeermarmelade!“
Sie war bestens gelaunt. Das war sie meistens, wenn sie kochte, denn Lotti liebte es zu kochen.
„Mein Lieblingsessen“, murmelte Henry.
„Nein, mein Lieblingsessen!“, brummte Theo, der bereits am Esstisch saß.
Lotti lachte.
Sie wendete den Pfannkuchen wie eine Zirkuskünstlerin. Warf ihn mit Schwung in die Luft, so dass er sich dreimal drehte, bis sie ihn geschickt wieder auffing.
„So, das ist mein letzter Pfannkuchen“, meinte sie zufrieden und legte ihn auf den hohen Berg fertiger Pfannkuchen.
„Glaubt ihr, das reicht euch?“
Lotti wischte sich die Pfoten an der Kochschürze ab und wandte sich Henry zu. Sie stutzte.
„Um Himmelswillen, was ist denn los mit dir?“, rief sie besorgt, als sie Henrys traurige Augen bemerkte.
Doch Henry seufzte nur und setzte sich zu Theo an den Esstisch.
„Na erzähl, mal mein Junge, was ist denn los?“, sagte er.
Aber Henry brachte kein Wort heraus. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Unruhig rutschte er auf dem Stuhl hin und her.
„Was ist passiert?“, fragte Lotti weiter. „Hast du dir wehgetan?“
„Hast du was angestellt?“, brummte Theo.
Henry schüttelte den Kopf.
„Ich war heute am See“, stieß er plötzlich hervor. „Dort habe ich etwas entdeckt!“
„Was Gefährliches?“, schnaufte Theo. Er trommelte unruhig mit den Pfoten auf dem Tisch.
„Eine Katze!“, flüsterte Henry. Seine Schnurrbarthaare und sein Kinn zitterten.
Lotti schnappte nach Luft. Dann war es still in der Bärenhöhle bis Theo langsam sagte: „Du hast eine Katze gesehen?“
Henry nickte.
„Ja“, murmelte er und begann zu weinen. „Mich selbst. Mein Spiegelbild im See.“
Mit einem leisen Schrei zog Lotti Henry auf ihren Schoß. Sie drückte ihn fest an sich.
„Aber wieso? Wie ist das möglich? Ihr seid doch Bären. Das kann doch gar nicht sein?“
„Mein lieber Henry“, brummte Theo so sanft er nur konnte, „Wir wollten es Dir schon so lange sagen, aber wir konnten nicht den richtigen Zeitpunkt finden. Hör zu, Henry, Du bist unser Junge. Und ob du ein Bär bist oder eine Katze, das ist für uns egal. Total egal. Das spielt überhaupt keine Rolle. Du bist unser Junge. Wir haben dich lieb. So wie du bist. Genauso wie du bist!“
„Ja, du bist mein allerliebster Schatz“, flüsterte Lotti Henry ins Ohr und drückte ihn noch enger an sich. „Hör zu, mein Kleiner“, sagte sie und erzählte Henry von dem Tag, als sie ihn in dem Körbchen vor der Höhle gefunden hatten. Er erfuhr, wie sehr sie sich über ihn gefreut hatten. Nur den Brief, den verschwieg Lotti. Sie wollte Henry nicht beunruhigen.
„So bist du zu uns gekommen. So bist du unser Sohn geworden!“, erklärte Lotti mit Tränen in den Augen. „Wir sind so glücklich, dass wir ausgerechnet DICH bekommen haben! Du bist ein Geschenk des Himmels für uns!“
Mit diesem Satz beendete Lotti ihre Geschichte und Theo fügte leise hinzu:
„Gegen keinen Bären der Welt würden wir dich tauschen wollen!“
Dabei musste auch er sich die Tränen aus den Augenwinkeln wischen.
Henry drückte sich tief in Lottis warmes Fell. Er spürte ihr Herz klopfen und roch den vertrauten Geruch, den er so sehr mochte. Noch immer war er sehr verwirrt und fühlte sich wie im Traum.
„Nun lach doch wieder, mein Junge“, sagte Theo leise.
„Du bist etwas ganz Besonderes!“, sagte Lotti.
„Genau!“, brummte Theo.
„Aber ich will keine besondere Katze sein. Ich will genauso werden wie ihr. So stark und groß! Ein Bär eben“, dachte Henry, aber er sagte es nicht und war um so erstaunter, als Theo rief:
„Und Du wirst die stärkste Katze aller Katzen werden. So stark wie ein Bär! Dafür werde ich sorgen!“, brüllte er, dass die Wände der Bärenhöhle zitterten.
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