„ Ich komme auch mit“, tönt es sehr entschieden in Dons Kopf.
Pater Gesualdo sieht auf seine Taschenuhr: kurz vor zwei. Bis zu seinem Treffen bleibt ihm noch genug Zeit zum Duschen und Umzuziehen. Im Spiegel betrachtet er seinen Verband, der sehr einem Turban ähnelt. Da er keine Lust hat sich eine Geschichte für all die neugierigen Frager auszudenken, rollt er vorsichtig den Verband ab. Zum Vorschein kommt die verkrustete Wunde. Aus dem Sanitätsschrank nimmt er eine Packung Hansaplast und schneidet ein großes Pflaster zurecht, das er über die Wunde klebt, bevor er in die Dusche geht.
Als er eine Stunde später in Zivilkleidung und Baskenmütze das Haus verlässt, fühlt er sich wieder gut. Ohne jemandem zu begegnen, erreicht er den kleinen Seiteneingang des Gebäudes hinter dem Rathaus. Der Pater klopft das Erkennungszeichen gegen die Holztür. Sie öffnet sich gerade einen Spaltbreit, durch den er hineinschlüpft.
"Schön, dass es Ihnen wieder gut. Was ist denn passiert? Ich habe gehört, das Sie überfallen worden sind!“ Stadtrat Palotti macht ein wirklich besorgtes Gesicht.
„Ich kann Sie beruhigen: Ich bin nicht überfallen worden, sondern einfach nur gestürzt. Eine Krankenschwester, die zufällig vorbei kam, hat mich verarztet und dann bin ich nach Hause gegangen. Ihr Informant sollte ein bisschen besser hinschauen. Was gibt es denn Wichtiges?“
„Kommen Sie mit. Sie werden staunen!“ Gemeinsam mit einem weiteren Mitglied der Loge, gehen die drei Männer hintereinander die schmale Steintreppe zum Kellergewölbe hinunter.
Hier schalten Sie ihre kleinen, aber lichtstarken Halogentaschenlampen ein. Ihr Widerschein tanzt gespenstisch an den Wänden des niedrigen Ganges entlang bis zu ihrem Ziel: einer metallbeschlagenen Türe.
Ihr Begleiter öffnet den Schließmechanismus und die Türe schwingt fast lautlos in den dahinterliegenden Raum.
Die provisorisch befestigten Scheinwerfer tauchen den Raum in ein grelles Licht.
Der Palazzo di San Giacomo, in dem das Rathaus untergebracht ist, liegt an der Piazza di Municipio. Dieses Gebäude ist auch mit dem alten 80 km langen unterirdischen Tunnelsystem der Stadt verbunden.
Vom Friedhof bis zu notdürftigen Behausungen für ganze Familien hat diese unterirdische Stadt schon verschiedenen Zwecken gedient.
Heute ist ihre aktive Nutzung auf die Führungen von Touristen beschränkt.
Als der Prinz von Sansevero seine Privatkapelle im 18.Jhd restaurierte, hat er in ihrer Krypta zwei Skelette mit komplettem Adergeflecht ausgestellt. Da der Prinz auch Alchimist war und einer mächtigen Freimaurerloge angehörte, gab es immer wieder Gerüchte über die Entstehung dieser präzisen anatomischen Skulpturen.
Möglicherweise war dieser Raum sein Labor, das er ungesehen über das Tunnelsystem erreichen konnte. Anatomische Zeichnungen und verschiedene chirurgische Werkzeuge deuten darauf hin. Die Loge hat diesen Raum zufällig vor einem Jahr entdeckt.
„So, jetzt passen Sie auf!“
Der Stadtrat geht zu der gegenüber liegenden Wand und lehnt sich dagegen. In der Wand öffnet sich eine Türe.
„Die haben wir heute Morgen entdeckt, als wir das Labor weiter untersuchen wollten. Bevor wir das Licht anmachten, erschienen an der gegenüberliegenden Wand die beleuchteten Umrisse dieser Türe.
Mit etwas Kraft ließ sie sich öffnen. Es brannte Licht und wie Sie sehen, es führt auch eine Türe von außen herein.“
Der Pater tritt in den neu entdeckten Raum und sieht sich erstaunt um.
Neben einigen nicht erkennbaren Werken, liegt eine lebensgroße Figur auf einem Steinsockel. Noch unfertig, wirkt sie wie schon wie eine Kopie der Christo Velato Skulptur. Wie schon zu Lebzeiten des Prinzen zieht sie noch immer staunende Blicke der Besucher seiner Kapelle auf sich zieht.
Auf einer Arbeitsfläche entlang der Wand liegen weitere nicht zuordenbare Teile. Manche sehen aus wie verstümmelte Gliedmaßen. Allerdings gibt es weder Staub noch Arbeitsreste.
„Pater, ist Ihnen nicht gut“, fragt der Stadtrat Palotti besorgt, als er den Pater so geistesabwesend sieht. Seine Sorge hinsichtlich der Gesundheit des Paters ist nicht ausschließlich mitfühlender Natur.
Wie soll man einen kollabierten Pater an so einem Ort medizinisch versorgen. Zudem steht er als ehemaliger Freimaurer, der aufgrund des päpstlichen Dekrets seine Verbindung lösen musste, mit der Loge weiter in enger Verbindung.
Ebenso wenig existiert dieser Ort offiziell. Mit dem heutigen Fund wird er noch geheimer.
Der Pater sieht den Fragesteller beruhigend an. „Mit mir ist alles in Ordnung.“
Hinter der Türe entdeckt er einen Fleck, der heller ist als der Fußboden des restlichen Raumes. Bis vor kurzem muss hier etwas Großes gestanden haben. Den fragenden Blick des Stadtrates beantwortet er mit einer leichten Handbewegung und nimmt ihn beiseite.
„Um herauszufinden was hier vor sich geht, müssen wir alles so belassen. Aber wir können eine Minikamera anbringen, um etwas mehr über unseren Nachbarn zu erfahren. Was meinen Sie?“
Nach kurzem Überlegen stimmt der Stadtrat zu.
„Es muss alles noch heute erledigt werden.“
Wieder nickt der Stadtrat. Dann verlassen sie den geheimnisvollen Lagerraum.
In einer kleinen Kneipe am Hafen…
„Was habt ihr gemacht? Ihr seid als Zeugen für einen Diebstahlprozess nominiert. Bravo!
Die Polizei wird vermutlich eure Lebensläufe durchleuchten und dabei auf Einiges stoßen.
Was habt ihr euch dabei gedacht? Was kann ich mit euch jetzt noch anfangen?“ Der Boss ist richtig sauer.
„ Es war wie ein Zwang, wir mussten es einfach tun, “ versucht der Jüngere die missliche Situation zu erklären.
Doch ihr Boss sieht sie nur kopfschüttelnd an, steht auf und lässt die beiden alleine bei ihren Kaffee sitzen. Kurz darauf heult der Motor seines BMWs auf und gibt die Stimmung des Fahrers unmissverständlich wieder. Das unangenehme Quietschen durchdrehender Reifen lässt die Passanten sich erschrocken umsehen.
„Ich verstehe immer noch nicht, dass mir dieser Nachmittag so viel Spaß machen konnte. Ich hätte am liebsten weiter gemacht.“.
„Ich auch, aber lass das bloß den Boss nicht hören“.
Ohne ihren Kaffee auszutrinken verlassen auch sie das Lokal und gehen ziellos die Kais entlang; die Ladekräne müssen noch arbeiten.
Don ist wieder eingeschlafen.
„ Wach auf“, tönt der Geist - Wecker in seinem Kopf. Er blinzelt ein wenig, dann öffnet er beide Augen auf einmal, ganz groß:
ein Trägerkleid aus Spitzen, knielang in gebrochenem Weiß, als Gürtel dient ein einfaches schwarzes Seidenband, dazu schwarze halbhohe Sandalen, ein schwarzer Flecht-Hut und kurze schwarze Gazehandschuhe - stehen jetzt vor ihm.
Mit einer eleganten Drehung präsentiert Magda sich wie ein Model.
„ Kommt ihr?“ Mit einem fragenden Blick nach oben, wendet sie sich der Türe zu.
„ Wir kommen schon !“
Don erhebt sich von seinem Stuhl und springt ihr vor die Füße. Sie beugt sich hinunter zu ihm und streicht mit den Handschuhen über sein Fell - Ein angenehmes Kribbeln durchläuft seinen Körper und er macht sich ganz lang. Er muss unwillkürlich an die junge Frau heute Nachmittag im Besucherzimmer denken.
„ Das hätte ich jetzt auch gerne“ klingt in seinem Kopf die Wunschvorstellungen des Geistes.
Zu dritt verlassen sie das Haus.
Ein etwas anderes Programm….
Noch eine Stunde bis zum Vorstellungsbeginn und die ersten Besucher stehen vor dem Kassenhäuschen bereits an.
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