Scheiße!
Blieb mir also nichts anderes übrig, als Haldur mitzuteilen, dass ich mich eventuell etwas verspäten würde.
Ich war nicht wirklich erfreut, als ich Haldurs fiese Visage auf dem Monitor sah. Ich stand außerhalb der Stadt an einer öffentlichen Kommunikationsanlage und versuchte zu retten, was zu retten war.
„Tag“, sagte ich.
Neben mir an der Zapfsäule versuchte ein Betrunkener eine junge Frau davon zu überzeugen, dass er der Präsident von Caldarron gewesen war, bevor die Erdregierung dort interveniert hatte. Selbstverständlich glaubte die Frau ihm nicht und brauste mit ihrem Flitzer davon. Pech, der Typ hatte nämlich Recht. Ich musste es wissen, ich hatte damals seine Zugangscodes geklaut!
„Ich bin im Stau stecken geblieben“, begann ich Haldur zu erklären, warum ich noch nicht da war. „Aber ich habe die Ware!“
Zur Veranschaulichung kramte ich den kleinen Metallbehälter aus der Jacke und zeigte ihm das darin befindliche Serum.
Haldur blickte nur starr. Kein Dankeschön, keine Freude, kein Lächeln. Arschloch!
„Gut, Stelisto!“ sagte er langsam. „Aber du hast deinen Termin nicht eingehalten!“
Noch bevor er ausgesprochen hatte, drückte er auf einen Knopf seiner Fernbedienung...
...und Umas Halsband explodierte.
Es kostete mich all meine Kraft, nicht meine Beherrschung zu verlieren. Dieses miese Schwein! Dieses dumme gemeine miese Schwein! Es gab keinen Tod, der qualvoll genug war, um ihm eine gerechte Strafe zukommen zu lassen.
Uma!
Ich hatte immer versucht, sie aus meiner Arbeit herauszuhalten. Immer! Sie hatte damit nichts zu tun.
Und nun hatte ich versagt!
Haldur hatte Uma getötet. Aber wofür? Weil ich zu spät war? Um mir zu zeigen, dass er am längeren Hebel saß? Weil er einfach ein seelenloses Arschloch war, das gerne tötete?
Gefühle von Trauer und Wut wechselten einander ab. Ich sah, wie Umas Körper in sich zusammensackte, wie das Blut aus den Resten ihres Halses schoss...
Dann trat Haldur vor die Linse.
In meinem Gesicht zuckte es.
Haldur zeigte keinerlei Regung.
„Du beeilst dich besser“, sagte er, „bevor du das nächste Opfer bist!“
Der Bildschirm wurde dunkel.
Ich stand noch immer vor der Komm-Station und starrte den dunklen Bildschirm an.
Es wurde Zeit für Plan b!
Für meinen Rückweg wählte ich wieder die Kanalisation. Ich humpelte durch die vergessenen unterirdischen Schächte, während über mir das Militär sämtliche Gleiter und Shuttles kontrollierte. Es sah ganz so aus, als wäre Ulmar Quotts Vermächtnis an die Erde zurzeit der einzig sichere Weg zurück in die Stadt.
Ich betrat die City durch einen Gully. Nicht unbedingt die stilvollste Art, irgendwo anzukommen, aber welche Wahl hatte ich schon? Meine Zeit lief langsam ab.
So schnell ich konnte humpelte ich durch dunkle Gassen, hielt mich im Schatten, versuchte, nicht weiter aufzufallen. Ich musste Haldur einen Besuch abstatten, bevor sein Finger nervös wurde. Aber vorher hatte ich noch etwas Wichtiges zu erledigen.
Ein betrunkenes Pärchen unternahm auf der anderen Straßenseite einen halbherzigen Begattungsversuch. Ich wartete einen Moment, aber so ungeschickt wie sie sich anstellten waren es wirklich nur ein paar Volltrunkene ohne Bleibe und keine Regierungsagenten auf der Jagd nach dem Serumräuber. Ich schlüpfte durch eine Seitenstraße und betrat eine kleine Absteige.
„Absteige“ war allerdings ein Euphemismus. Es handelte sich um ein Gebäude, das sogar die Ratten mieden. Die einzigen Lebensformen, die man hier fand, waren welche, die aufgrund der meisten Planetenabkommen als biologische Waffen klassifiziert und verboten wurden. Und selbst die hielten es hier nicht lange aus.
Mühsam humpelte ich auf die Maschine in der Mitte des Raumes zu. Ein vergilbter Aufkleber wies sie als
aus – und sie war keineswegs das neuste Modell!
Diese Teile waren vor einigen Jahrzehnten von der Regierung bei ein paar Kriegen eingesetzt worden. Da Doktoren teuer waren und etwas dagegen hatten, als Kanonenfutter zu dienen, entwickelte WarTech, eine Firma der Regierung, diese kleine Wundermaschine. Sie war in der Lage, komplizierteste Operationen durchzuführen, Leben zu retten und die Armeeärzte quasi völlig zu ersetzen. Die Ärzteschwämme, die wenige Jahre nach Einführung des Chirurgie-Assistenten einsetzte, bereitete der Ärzteschaft ernste Sorge und so wurde das Gerät kurze Zeit später nur noch für den zivilen Gebrauch zugelassen. Ein weiterer Grund für seine Ausmusterung bei der Armee war, dass das Gerät nicht in der Lage war, eine extrem wichtig und häufig benötigte Aufgabe zu erfüllen: Totenscheine auszustellen!
Das Phantastische an dem Gerät war allerdings, dass es sämtliche Untersuchungen selbst vornahm, nachdem man ihm gesagt hatte, „wo es weh tat“. Anschließend berechnete der CA die für die Narkose notwendige Menge eines Narkotikums, injizierte sie, führte die Operation durch und gab einem anschließend eine kleine Packung mit den fortführenden Medikamenten und den dazugehörigen Rezepten.
Nachdem der CA also im Kampfeinsatz viele Menschenleben gerettet und damit die Soldzahlungen des Verteidigungsministeriums in ungeahnte und -gewollte Höhen getrieben hatte, wurde er ausgemustert und an private Unternehmen veräußert. Einige Geräte fanden ihren Platz in Privatpraxen, die ihr Geschäft vom HNO zum Mini-Chirurgie-Betrieb erweitern wollten, der Großteil aber wurde mit einem Kreditkartenleser ausgestattet und in allen Großstädten aufgestellt, wie seinerzeit die Telefonzellen.
„Bitte geben Sie Ihre Kreditkarte ein und wählen Sie die Art der Operation“, sagte die Maschine.
Ich ließ mich stöhnend auf dem anatomisch-selbstanpassenden OP-Stuhl nieder und schob meine Karte in den Schlitz.
„Vielen Dank, dass Sie sich für eine Operation mit dem Chirurgie-Assistenten entschieden haben. Wählen Sie nun die Art der Operation.“
Ich beugte mich vor und gab mühsam etwas ein, bevor mich das Narkotikum einschläferte...
Als der Morgen graute, war ich wieder unterwegs. Die Sonne lugte langsam und gut gelaunt über den Horizont. Morgennebel lag über der Stadt. Wäre ich nicht in einer absolut beschissenen Verfassung gewesen, hätte ich die Atmosphäre als absolut malerisch empfunden. Aber mir war nicht nach positiver Stimmung!
Diesmal verschaffte ich mir bei Haldurs „Etablissement“ Einlass durch ein Fenster im zweiten Stock. Im leeren Nebenraum neben Haldurs Büro fand ich Uma. Oder das, was noch von ihr übrig war. Ich unterdrückte mühsam den Kloß, der mir im Hals steckte. Sie war noch immer eine Schönheit, auch, wenn von Hals und Brustkorb nicht mehr viel übrig war. Ich streichelte zärtlich ihre leblose Hand und sah ihr traurig ins Gesicht. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte... Wenn ich mein Leben geben könnte, nur, damit sie wieder leben würde...
Ich sah hinüber in Haldurs Büro. Dort war es hell und die Tür war nur angelehnt. Nervös ging der Mörder meiner Geliebten auf und ab. Als hätte er einen Grund, sich zu sorgen. Er, der große mächtige Haldur! Er war auf dem Weg, wirklich mächtig zu werden. Mit dem, was ich für ihn gestohlen hatte, konnte er nicht nur das organisierte Verbrechen an sich reißen, er konnte in die Politik gehen. Und was ein Mann wie er dort erreichen konnte, wollte ich so genau gar nicht wissen.
Ich erhob mich und ging leise zur Tür. Fannex, der Killer, saß im Stuhl und sah gelangweilt zum Schreibtisch hinüber. Er war wohl auch nur glücklich, wenn er andere Leute foltern konnte. Ich warf Uma einen letzten Abschiedsblick zu.
„Ich werde dich nie vergessen!“ flüsterte ich.
Haldur blieb stehen. Seine nicht vorhandene Geduld schien an ihrem Ende angekommen zu sein.
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