Es gab ein paar Funken, eine kleine Explosion – und dann wurde es dunkel. Denn der beste Freund eines Diebes ist die Dunkelheit!
Stille.
Nur eine klitzekleine Spur Mondlicht erhellte die Szenerie. Leise schlüpfte ich durch den Zaun. Das Shuttle hatte genau den Kurs eingeschlagen, auf den ich es programmiert hatte. Nun begann der schwierige Teil.
Die Stille wurde langsam von aufkommender Panik durchbrochen. Ungewissheit ist der natürliche Feind eines jeden Wachtpostens. Was war los? Was war passiert? Warum war das Licht aus? Warum gab es keine Fischstäbchen zum Abendessen? Was trieb meine Freundin eigentlich, wenn ich drei Wochen im Biwak war? Die Wachen auf den Türmen wussten nicht, was sie machen sollten. Die Soldaten auf dem Gelände versuchten ihren Mangel an Eigeninitiative durch hin und her laufen zu kompensieren. Warum war da kein Offizier, der ihnen sagen konnte, was sie tun sollten?
Ich nutzte die Situation, an der ich ja nicht ganz unschuldig war, aus und schlich mich an der Front des Hauptgebäudes entlang. Keine so gute Idee, wie sich herausstellte, denn als ich um die Ecke bog geriet ich ins Gewühle der orientierungslosen Kämpfer. Sie hasteten an mir vorbei, aber es war Nacht, und da sind alle Diebe schwarz. Nach einer kurzen Schrecksekunde wusste ich, was zu tun war!
Ich warf mich in Pose und blökte die Soldaten vor dem Eingang des Hauptgebäudes an: „Officer, schnappen Sie sich Ihre Männer und rüber zum Nordeingang. Die Kommandozentrale meldet einen Zwischenfall am Nordtor!“
„Ja, Sir!“
„ Sofort!“
Das magische Wort. So schnell sie konnten folgten die tapferen Soldaten meinem Befehl und luden mich damit regelrecht ein, in das Geheimlabor einzudringen.
„Nächstes Mal könntet ihr mir vielleicht noch die Tür aufhalten“, murmelte ich und schlüpfte ins Gebäude.
Im Innern des Gebäudes war es dunkel. Das war gut. Ich hatte mir die Lage des Labors auf den Skizzen von Haldur eingeprägt und schlich nun lautlos durch die Gänge. Sie waren verwinkelt. Das war ebenfalls gut. Es gab dort Wachen, die zu der schießwütigeren Sorte zählten und lieber für Overkill sorgten als überhaupt irgendwann mal Fragen zu stellen. Denn wer Fragen stellt, läuft Gefahr, Antworten zu erhalten und wenn man Antworten hat, ist es bis zum Schreiben eines Berichts auch nicht mehr weit und hier zeigten sich eindeutige Defizite. Das war alles in allem weniger gut! Wenn mich mein Instinkt und der Bauplan des Gebäudes nicht trogen, standen sie vor dem Eingang zum Labor und waren damit so unfreundlich, mir den Weg zu blockieren. Jedenfalls auf den ersten Blick...
Also nahm ich den Lieferanteneingang. Gut, nicht ganz. Sagen wir, in diesem Job hat man es oft mit dicker Luft zu tun. Und wo findet man die am ehesten, außer bei einem Eheberater? Richtig! In den Ventilationsschächten. Die sind nach alter Armee-Manier auch immer schön in die Decke eingelassen und bieten genug Platz, um durch sie durch in den Raum zu krabbeln, in den man sonst nur kommt, wenn man einen Netzhautscan übersteht, einen 18stelligen Code auswendig kennt und zumindest ein paar Zeilen der landesüblichen Nationalhymne fehlerfrei summen kann. Und sie waren es auch, durch die ich mir nun Einlass ins Labor verschaffte. Natürlich völlig lautlos, denn der beste Geheimeingang nützt einem einen Dreck, wenn man anschließend erstmal eine halbe Stunde wegen seiner Allergie gegen Hausstaubmilben niesen muss und damit die Wachen auf sich aufmerksam macht.
Ich ließ mich also geräuschlos von der Decke herab und sah mich um. Ein ganz gewöhnliches Geheimlabor, kennt man eins, kennt man alle. Reagenzgläser, Zylinder, Kolben, Tiere in Käfigen, Tresore für die Geheimformeln. Das hier machte da keine Ausnahme. Also nahm ich mir den Safe vor, öffnete ihn in olympiaverdächtiger Zeit und entnahm ihm einen kleinen Metallbehälter. Er sah sehr zerbrechlich aus. Ich lugte hinein und sah das Serum: ein kleines Fläschchen mit blauer Flüssigkeit. Jackpott! Ich wollte mich gerade umdrehen und gehen, aber dann überlegte ich es mir anders und steckte die Papiere auch noch ein. So etwas sollte man nicht in den Händen einer Regierung lassen!
Regel Nummer Eins bei einem professionellen Bruch: Niemals Spuren hinterlassen! Wenn sie denken, ihr geheiligtes Zeugs wurde zerstört statt geklaut, werden sie nicht danach suchen! Also befestigte ich eine kleine Sprengladung am Tresor, naja, eigentlich eher eine große. Man sollte nie am falschen Ende sparen! Nachdem ich also dafür gesorgt hatte, dass die Regierung die Finanzierung ihrer Projekte der Versicherung in Rechnung stellen konnte, machte ich mich auf den Weg zum Luftschacht. Doch irgendwie schienen meine Freunde draußen inzwischen Verdacht geschöpft zu haben, und bevor ich mich auf einen weiteren Kontakt mit den Hausstaubmilben einlassen konnte, stürmte eine Horde schießfreudiger Wachen in das Labor.
„ Scheiße!“
Natürlich sahen mich zwei der Wachen, während ich meine Turnübungen an der Decke vollzog. Konversation schien nicht gerade ihre Devise zu sein und statt zu fragen, ob sie mir vielleicht helfen könnten, meinte der eine nur: „Knall ihn ab!“
Wenigstens wissen wir jetzt, dass unsere Steuergelder gut angelegt sind. Wachen, die ohne zu zögern handeln. Leider hätte man doch etwas mehr Wert auf eine bessere Ausbildung legen sollen, denn während die beiden nun anfingen, wild herumzuballern in der Hoffnung, mich vielleicht mit einem Querschläger oder durch pures Glück doch noch zu treffen, verfehlten sie zwar ihr eigentliches Ziel, dafür aber nicht den Sprengsatz am Tresor.
Langer Rede kurzer Sinn: Der Sprengsatz explodierte!
Eine gewaltige Explosion zerstörte die gesamte untere Etage des Gebäudes. Glas flog durch die Gegend, Brocken, Trümmer, Rauch. Und dann breitete die Dunkelheit ihre schützenden Arme über die sich langsam senkende Rauchwolke.
Der touristische Wert der Kanalisation wird bisweilen überbewertet. Man kann zwar ein paar nette Ratten kennenlernen, aber da man die eh nicht zum Abendessen einladen würde, kann man sich einen solchen Ausflug auch gleich sparen. Auch der Geruchsfaktor spielt bei dieser Entscheidung eine große Rolle. Aber welche Wahl hatte ich schon?
Ich hinkte durch die Unterwelt und konnte mich glücklich schätzen, dass außer meinem Bein nur mein Ego etwas angekratzt war. Und „angekratzt“ war bei meinem Bein der reinste Euphemismus! Bei jedem Schritt zuckte ein stechender Schmerz vom Fuß bis hinauf zur Hüfte. Eine Operation wäre jetzt nicht verkehrt gewesen, auch um die diversen Blutungen zu stoppen, aber die Zeit lief mir davon – und ich konnte ihr nur hinterher hinken.
„Es gibt doch nichts schöneres, als einen entspannenden Spaziergang durch die Unterwelt“, murmelte ich. Ich hinkte den Gang hinunter, bis ich neben einem Tunneleingang eine kleine Bronzetafel bemerkte. Ich sah sie mir an und marschierte kopfschüttelnd weiter.
Dort stand:
Die Kanalisation – geplant und realisiert von Ulmar Quott Industries
Offensichtlich befand ich mich in einem seiner Meisterwerke!
Derweil wurde Haldur langsam nervös. Etwas war schief gegangen, deshalb hatte ich mich noch nicht gemeldet. Er lief in seinem Büro auf und ab wie ein Tiger vor der Fütterungszeit. Und sein Appetit war weit davon entfernt, gestillt zu sein.
„Seine Zeit ist bald abgelaufen!“
Vor dem Schreibtisch saß Uma. Sie war an einen Sessel gefesselt und bibberte vor Angst. Neben ihr stand Fannex, der brutale Killer. Ich hatte viel über ihn gehört. Nichts davon deutete darauf, dass man sich gerne in seiner Nähe aufhalten wollte. Weder geschäftlich noch privat. Haldur blieb stehen und sah Uma an.
„Warum ist er noch nicht hier?“
Die Antwort war einfach. Das Militär hatte schneller reagiert als mir lieb war. Sie hatten Kontrollstützpunkte an allen Zufahrtswegen zur Stadt errichtet. Also war nichts mit Taxi nehmen und zu Haldur brausen. Und vor allen Dingen war nichts mit einem schnellenVorwärtskommen!
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