„Bekommen wir nicht einmal ‘was zu essen, und pinkeln müssen wir auch.”
„Sie haben genug Geld, und da hinten sind genügend Bäume.”
Damit läßt er die verdutzten Männer stehen und folgt seinem Assistenten mit der abgelieferten “Ware”. Hinter ihnen fällt die schwere Tür ins Schloß. Die “Lieferanten” sehen sich wortlos an.
*
Malvoisin kann sich nur schwer daran gewöhnen, daß seine Große langsam flügge wird. Da auch subtile Vergraulversuche Michael di Leonardi nicht vertrieben haben, was ihm letztlich, wenn auch uneingestanden, imponiert hatte, sein Charme und seine Gartenbauvorschläge zudem Maren auf seine Seite gezogen hatten, gab er auf. Ihm war klar geworden, daß er Karin loslassen mußte, damit sie gern im Familienverband blieb und fröhlich nach Hause kam. Seine Entdeckung, daß Michael zu den Conte Gabbiano gehört, verarmt, aber immerhin, beruhigte sein durchaus noch vorhandenes Standesbewußtsein und würde dumme Bemerkungen seines Vaters verhindern. Deren Wappentier, die Möwe, gefiel ihm, auch die Tatsache, daß Michael mit seinem Grafenstand nicht angegeben hatte. Dennoch stach es immer wieder in sein Vaterherz und störte sein Platzhirschverhalten, wenn sie abends anrief und anmeldete, sie bliebe über Nacht bei Michael. Oh, dieses fürchterliche Kopfkino! Seine süße Tessa tröstete ihn dann immer wieder, denn ihr heißer Ferienflirt hatte sich nicht so verfestigt, wie sie es sicher gern gehabt hätte, obwohl dieser Sören in Oldenburg wohnt, gefährlich nah bei.
Karins “schrecklicher” Abmeldeanruf ist gerade eingegangen, doch Malvoisins Laune hebt sich gleich wieder, als Tessa fröhlich hereinstürmt, sich einen knackigen Apfel schnappt und sofort von Corinnes dritter Badehose losplappert. Sie kann es gar nicht glauben, als ihr Vater es ihr bestätigt, daß der Beraubte ihrer Freundin tatsächlich nackt nachgestürmt ist.
„Und dann habt Ihr ihn aufgehalten?”
„Du hättest sehen sollen, wie böse Langeland ihn angesehen hat. Der Bengel wäre Corinne sonst bis zum Leuchtturm nachgerannt.” Bei dem Gedanken muß er doch grinsen, vor allem bei der Vorstellung was hätte passieren können, wenn ihm die gestrenge Bürgermeisterin begegnet wäre.
„Sieht er denn gut aus, Papa? Waschbrett und so?”
„Ja, ich glaub’ schon. Warum?”
„Na, den könnte man doch mal besichtigen, nicht?” Sie schaut sehr unternehmungslustig drein. Malvoisin kann ein Techtelmechtel seiner Kleinen mit einem Zeugen in einem Mordfall nicht gebrauchen - und überhaupt. Erst wollte der Lümmel mit seinem Patenkind anbandeln und könnte sich nun mit seiner Tochter trösten - niemals, und seine Stimme überschlägt sich fast.
„TESSA!”
„Och, Papa, Du gönnst mir aber auch gar nichts.” Tessa schmollt.
„Dieser Martin ist nichts für Dich.”
„Oho, daher weht der Wind.” Tessa schaltet um, wird schmusig, rutscht näher an ihren Vater heran, schreitet mit Zeige- und Mittelfinger seine Hemdknöpfe ab, Malvoisins rechte Augenbraue geht hoch, und schon kuschelt sie sich an ihn und krault liebevoll seine Brust.
„Ich hab’ doch schon mit meinem schönen Martin-Paps so großes Glück gehabt, da könnte doch dieser Martin auch der Bringer sein, oder nicht, Papa? Nur mal gucken.” Sie prüft mit einem vorsichtigen Aufwärtsblick die Mimik ihres Vaters - immer noch etwas streng, aber erste kleine Ich-gebe-gleich-nach-Schmunzelfältchen zeigen sich schon. Sie setzt mit Fingertanzen auf der Brust nach und meint: „Ich will auch gar nicht seine Badehose. Der Inhalt reicht mir schon. Nur mal gucken, vielleicht ein Eis essen gehen, oder so, hhm?”
„Soso, oder so! Und was ‘oder so’ ist, definiert dann dieser Nachwuchsromeo Jörgensen, ha?” Kaum gesagt, merkt er, daß er sich unprofessionell verplappert hat.
Tessa tut so, als habe sie es nicht bemerkt. „Martin Jörgensen. Ha! Dann finde ich ihn. Spätestens Tante Horch …” Sie richtet sich auf. „Sag’, Paps, wo ist denn Christian? Er ist doch sonst immer pünktlich zum Abendbrot da.”
„Er ist oben, kommt sicher gleich ’runter. Hat noch jemanden mitgebracht.”
Tessa horcht auf. „Papa hat nichts von Jan gesagt. Vielleicht ein hübscher Kumpel, den ich noch nicht kenne, oder hat er am Ende …?” In Tessas Überlegungen hinein beantwortet ihr Bruder ihre stillen Fragen durch sein Erscheinen mit Isa. Beide sind in hellbeige T-Shirts und kurze Hosen gekleidet - und wirken nicht nur sehr wohlgelaunt, sie sind es auch.
„So gut, Papa?” Christian breitet die Arme aus, nimmt dann Isa bei der Hand und dreht sie einmal um die eigene Achse, was sie lächelnd mitmacht. Malvoisin macht das Handzeichen “Spitze!”, worauf Tessa sich erst einmal keinen Reim machen kann.
„Hi, Krümel!” Dabei tätschelt Christian seiner Schwester den Kopf, was sie auf den Tod nicht ausstehen kann und mit „Hallo, Affe!” ihm einen deutlichen Magenstüber verpaßt. Er spielt mit einem „Uff!“ und leichter Körperkrümmung den Getroffenen, aber tatsächlich ist der Hieb an seinen blitzschnell gespannten Bauchmuskeln abgeprallt. Isa erinnert das irgendwie an die eigene Geschwisterliebe zu Hause. „Aber ein wirklich hübscher Krümel”, womit sie Tessa die Hand hinstreckt. „Ich bin Isa und Du bist sicher Christians Lieblingsschwester Tessa.”
„Da klappt’s den Tisch ’runter, hat er doch ’ne Neue!” Tessa ergreift die dargebotene Hand „Hallo!” und drückt sie fest. „Stimmt alles, bis auf ’Liebling’. Vielleicht in hundert Jahren oder wenn ich mal in Lappland wohne, möglichst weit weg.” „Na, so schlimm wird’s nicht sein, oder?” Isa sieht Christian fragend an. „Ach, sie übertreibt wieder maßlos, aber ich liebe sie trotzdem, die kleine Ziege” und damit nimmt er sie spielerisch in den Schwitzkasten. Ehe Malvoisin diesen Anfall von gezeigter Zuneigung unterbinden kann, kommt Maren dazu. Tessa wird mit einem Kniff in den Hintern schnell “freigelassen”. „Au, Du Doofi!” Tessa reibt sich die gekniffene Stelle, Christian erfährt Ermahnung durch einen deutlichen Blick seiner Mutter.
„Ach, ich sehe, wir haben Besuch. Mein Herr Sohn gibt sich die Ehre und wer äh …”
„Das ist Isa, Isa van Heelen, Mamà. - Isa, das ist meine Mutter”, beeilt sich Christian, die beiden einander vorzustellen.
Maren von Malvoisin kommt näher und reicht Isa die Hand, die sie ergreift.
„Guten Abend, gnädige Frau. Ich danke, daß ich in Ihrem Haus sein darf”, und diesen formvollendeten Gruß unterstreicht sie mit einer ebenso alten wie schönen Geste: sie macht einen Knicks. Christian staunt, Maren registriert mit Wohlgefallen die guten Manieren, Malvoisins rechte Augenbraue geht hoch und Tessa denkt sich: „Will die sich hier einschleimen?”
„Ich darf Sie herzlich bei uns willkommen heißen und Ihnen nun ein Abendbrot anbieten.” Unmerklich, dafür so entkleidend wie nur eine Mutter schauen kann, wenn es um ihren Sohn geht, der für neue Weiblichkeit interessant wird, unterzieht Maren Isa ihrem Prüfblick. Dabei zeigt sie ein gekonntes Wehe-ich-entdecke-etwas-Negatives-an-Dir-Lächeln. „Mein Mann und ich haben schon gegessen. Für Euch Drei ist in der Küche gedeckt.”
Darauf hat Christian nur gewartet. Er hat Hunger und zieht Isa mit sich. Tessa eilt ihnen nach, denn wenn Christian zulangt, bleibt nicht mehr viel übrig. „Sag’ mal, wer ist denn das?” Maren sieht ihren Mann verwundert an.
„Christians neueste Eroberung, was sonst.” Er zuckt mit den Achseln. „Bleibt über Nacht.”
„Ach, wie schön, dann fällt es morgen beim Frühstück nicht so auf, daß Karin fehlt” und setzt sich schmunzelnd neben ihn. „Du siehst, mein Herz, jede Situation hat ihre guten Seiten. Wir wissen, wo unsere Kinder sind, wir wissen, daß es ihnen gut geht, den beiden Großen wird es heute noch besonders gut gehen, und uns wird es gut gehen, wenn die kleinen Nachwuchsterroristen uns durchschlafen lassen. Was will man mehr.” Dabei summt sie leise fröhlich vor sich hin. Malvoisin wiegt nachdenklich den Kopf. Seine Maren hat ja so Recht. Und er wünscht sich so sehr, daß am nächsten Tag die Suche in Grömitz erfolgreich sein wird. John Doe muß seinen richtigen Namen bekommen.
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