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In der Villa van Straaten in Dahlem hat Cornelius seine beiden Koffer gepackt. Ein weiterer Anruf bei seinem Bruder Magnus hatte nichts ergeben, außer, daß er nicht erreichbar war. Er beneidete seinen Bruder, eine so intensive Eroberung gemacht zu haben. So war er überzeugt, am nächsten Tag den völlig erledigten Magnus platt im Bett vorzufinden, wahrscheinlich mit dem Grund für seine Erschöpfung gleich daneben. Cornelius konnte sich ein wissendes Grinsen nicht verkneifen, denn er kannte die Virilität seines Bruders. Der hatte mit Siebzehn einmal eine Wette abgeschlossen, daß er in einer Nacht vier Mädels schaffen würde, blanke Angeberei zwar, aber er schaffte sie. Als er morgens um sechs nach Hause kam, fragte er frech grinsend nach Nr. 5 - dann fiel er um und schlief fünfzehn Stunden durch. Wie zum Beweis hatten in der Zeit vier sehnsüchtige Mädchen angerufen, von denen jedes besorgt wissen wollte, wie es denn Magnus ginge. Cornelius war auch nicht ohne, aber das schaffte er nicht. Und Magnus war auf dem Gymnasium, das sie besuchten, plötzlich noch beliebter als zuvor, denn da hatten ihn zuvor fast nur die anderen Jungs wegen seiner sportlichen Leistungen bewundert, was bald in Neid umschlug, doch nun waren es die Mädchen, deren Nachrichtendienst Magnus’ Liebesdienerqualitäten schneller als der Schall verbreitet hatte. Sieben blaue Augen in Folge waren die Folge, aber die anderen erstrahlten in noch ganz anderen Farben, bis es dem Oberstudiendirektor zu bunt wurde. Er sprach ein Machtwort, forderte die männliche Schülerschaft auf, sich ihre Kampfeslust für die Bundeswehr aufzuheben und die Energie auf das Bestehen des Abiturs zu lenken, sonst sehe er schwarz für diverse Abidurchschnitte. Süffisant hatte er hinzugesetzt, daß man mit bestandenem Sexabitur kaum einen Studienplatz bekäme, außer vielleicht in Flensburg.
Dr. Dr. Aloysius Zackendorff, kurz Zackzack genannt, was er einer gewissen Schneidigkeit und seinen beiden Doktortiteln verdankte, war auch sonst auf zack; er hatte selbstverständlich mitbekommen, was vorgegangen war. Auch sein Nachrichtendienst funktionierte und seine Beobachtungsgabe war mit Dienstgrad und hohem Gehalt nicht eingeschlafen. Seine Tochter Renata war verräterisch rot und still geworden, als er testweise die Sache bei einem Abendbrot ansprach. Sie hatte sehr schnell auf ihr Zimmer gewollt - und er hatte verstanden. Bei seinen Schülern war er nach dem “Sexabitur-Rundbrief” nur noch höher geachtet. „Mann, Zackzack ist wirklich cool“, hatte es in allen höheren Klassen geheißen und die jungen Böcke meinten es auch so.
Nun freut sich Cornelius auf die Ostsee, das Treffen mit seinem älteren Bruder, den er endlich einmal im Wettschwimmen schlagen will, schöne Mädels … Er wollte doch noch etwas, was war das gleich? „Ach ja, Paps wartet ja mit dem Essen und möchte Schach spielen. Vielleicht kann ich ihn heute endlich mal mattsetzen.”
Es wird ein langer Abend werden, der zwei Flaschen besten Waldulmer Spätburgunders den Hals kostet und Cornelius die Erkenntnis bringt, daß sein Vater beim königlichen Spiel einfach unschlagbar ist.
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Christian und Isa sind ein ordentliches Stück geschwommen, selbst Jan konnte die beiden nicht mehr sehen und Stella war zudem eine sehr verführerische Ablenkung.
„Hast Du heute abend schon ‘was vor?”
„Ich weiß nicht, und Du?” Ihre Augen leuchten.
„Hast Du denn Zeit, damit wir uns etwas überlegen können?”
„Ich denke schon”, wobei sie die Augen niederschlägt, „und ich wüßte was, womit wir uns das Nachdenken schöner machen können.”
Jan tut ganz unschuldig. „Ja, was denn?” Dabei sieht er sich um, als suche er etwas am Himmel.
„Das, Du süßer Esel” - und für ein paar Minuten wird es ganz still. So still, wie es nur still sein kann, wenn zwei Herzen stürmisch pochen.
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Christian zeigt Isa an, daß er an Land gehen will. Sie sind weit genug entfernt vom Hauptstrand. Taxfrei und einsam genug, um mit seiner schönen Begleitung zweisam sein zu können.
„Hier können wir wieder stehen. Komm.” Er reicht Isa die Hand und prüft in beide Richtungen, ob späte Spaziergänger auf sie zukommen. Niemand zu sehen. Erst einmal Glück gehabt. An einer Stelle mit feinem Sand lassen sie sich nieder.
„Du bist wohl öfter hier”, will Isa wissen.
„Nur mit Jan, wenn wir mal ohne sonnen wollen, ohne gleich nach Lenste pilgern zu müssen.” Christian streckt sich aus und verschränkt beide Arme unter seinem Kopf.
„Nur mit Deinem Freund, sonst niemandem?” Isa glaubt ihm nicht so ganz, dafür findet sie ihn viel zu verführerisch, und läßt sich neben ihm nieder.
„Ahem.”
„Der Junge wird nicht mal rot.”
Christian druckst ein wenig herum. „Na ja, früher auch mal mit meiner Ex, aber meist waren wir am Lensterstrand, von wegen nahtlos und so, weißt Du.”
Isa grient. „Und ‘und so’ sind andere schöne Mädchen, hm?”
„Na weggesehen habe ich nicht, wenn Du das meinst.”
„Das kann ich mir bei Dir auch nicht vorstellen, wegzusehen, meine ich. Du bist nämlich ein ganz schöner Filou.”
„Ich?” Christian spielt den verwundert Empörten, dabei fühlt er sich durchaus geschmeichelt. „Ich doch nicht. Was denkst Du denn?”
„Was ich denke?” Isa beugt sich zu Christian hinüber. „Ich denke mir schon eine ganze Weile, wann Du endlich auf die Idee kommst, mich zu küssen …” Christian sieht sie erstaunt an. „… oder willst Du mir erst bei der Abfahrt einen Abschiedskuß geben, so einen langw…” Weiter kommt sie nicht.
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Jan und Stella sind wieder promenadefähig bekleidet und kommen zum Korbvermieterhäuschen von Marga Horch zurück. Sie räumt gerade zusammen und macht sich fertig, für den Tag zu schließen.
„Ah, da seid Ihr ja. Wo sind den Christian und Fräulein van Heelen?”
„Keine Ahnung. Die beiden sind Richtung Grömitz weggeschwommen. Hab’ sie aus den Augen verloren, aber die gehen nicht verloren. Christian findet doch selbst im Dustern den Weg. Kann ich bitte meine Autoschlüssel haben?”
„Aber sicher.” Frau Horch hat sie gleich in der Hand und hält sie Jan hin. „Danke. Und nehmen Sie bitte …, ach nee”, überlegt er es sich, „die gebe ich den beiden selbst”, womit er die abgelegten Kleidungsstücke von Christian und Isa meint.
„Mir soll’s recht sein, aber jetzt mach’ ich zu. Tschüs, Ihr beiden, bis morgen.” Frau Horch zieht die gelben Rollos herunter, schließt die Tür und selbige ab, verabschiedet sich mit einem freundlichen Lächeln und radelt davon.
Stella sieht Jan fragend an. „Hast Du eine Ahnung, wo die beiden abgeblieben sind?”
„Na, an Grömitz vorbeigeschwommen werden sie nicht sein, aber ich denke, ich weiß wo sie sind und da wollen sie jetzt nicht gestört werden.”
Stella lacht still vor sich hin. „Und wo wären wir ungestört?”
Jan kratzt sich am Hinterkopf, als müsse er noch lange überlegen und grient dann vielsagend: „Och, da wüßte ich ‘was.”
„Na, dann laß uns gehen.” Sagts und nimmt den verblüfften Jetzt-nicht-mehr-Single-Jan an die Hand.
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Isa konnte gar nicht glauben, was Christian mit ihr machte. Sie wollte mit ihrer Freundin, wie heißt sie doch gleich, eigentlich nur einen Mädelsurlaub verbringen, vielleicht ein wenig flirten, denn von angeberischen Strandhengsten hatten sie beide vorerst die Nase voll, aber daß sie Apoll persönlich begegnen würde - sie war auf herrlichste Weise fassungslos. Sie hatte geglaubt, schon einmal geküßt worden zu sein, sie hatte geglaubt, sie habe schon einmal Sex gehabt - und nun fürchtete sie, sie könne sich in ihrer Wonne einfach auflösen. Sie, die selbstbewußte Isa, die eingebildete Typen mit geringschätzigen Blicken zu einem Nichts eindampfen konnte - sie war in einem erotischen Nebel, sie sah nichts mehr, sie hörte nichts mehr, sie fühlte nur noch dieses virile Feuer, in dem sie auf ewig brennen wollte. Wieder und wieder durchrauschte es sie. War sie noch auf der Erde? Das konnte nicht mehr irdisch sein. Nicht aufhören, nicht aufhören, nicht aufhören, rief es pausenlos in ihr, und ihr ward was sie wollte bis sie ein unglaubliches Farbenspiel sah.
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