„Wir machen mit Dir den Anfang, Christian. Gesichts- und Oberkörperabnahme. Kommt mal beide mit.”
Kristin wendet sich zum Gehen, Jan und Christian sehen sich an und folgen ihr wortlos.
Im Raum nebenan bleibt Kristin an einer Liege stehen, mit einer Papierbahn abgedeckt.
„Christian, da lege Dich bitte ausgestreckt auf den Rücken hin.”
Christian folgt der Aufforderung. „Und nun?”
„Jetzt werde ich Dir das Gesicht mit einer Creme einreiben, damit wir die Form nach dem Trocknen gut abnehmen können, und Jan reibt Deinen Oberkörper ein. Das ist wie beim Ausbuttern einer Kuchenform.” Sie reicht Jan eine Dose. „Und dann steckst Du Dir bitte selbst diese beiden Röhrchen in die Nasenlöcher, damit Du weiter atmen kannst, denn Deinen Mund mußt Du jetzt eine Weile geschlossen halten. Und die Augen machst Du bitte auch zu.”
„Und Du, Jan, trägst die Creme bitte gleichmäßig auf, ja?”
„Überall?”
„Natürlich überall, bis zum Oberschenkelansatz. Beine und Füße machen wir separat. Dann gibt es auch keine Probleme mit der Hautatmung.” „Also überall.”
Kristin bemerkt ein Leuchten in Jans Augen beim ‚überall’.
„Bis zum Haaransatz. Den edlen Bereich machen wir separat.”
Jans Leuchten läßt nach.
Christian setzt sich die Atemröhrchen, die ihm Kristin reicht, und schließt die Augen.
Kristin reibt vorsichtig Christians Gesicht und Hals ein. Ihre und Jans Hand berühren sich, als Jan Christians Brust einreibt. Sie halten kurz inne und sehen sich stumm an - dann machen sie weiter. Christian versucht, ruhig zu atmen.
Als Kristin mit Christians Gesicht fertig ist, geht sie kurz zur Seite, um nochmals die Silikonmasse zu rühren und sieht nicht, als Jan wie zufällig Christians Penis berührt, der zuckt.
Kristin stellt die Schüssel mit dem Silikon auf einen Hocker hinter das Kopfende der Liege und beginnt, Christians Gesicht abzudecken. Jan ist mit dem Eincremen des Oberkörpers und der Arme fertig. Kristin und Jan sehen sich lächelnd an. Beide wünschen sich stillschweigend, der andere wäre gerade nicht da. Christian sieht nun nichts mehr, dafür steigt seine innere Erregung.
*
Malvoisin und Langeland kommen zum Vermieterhäuschen von Marga Horch, die davor in ihrem Strandkorb sitzt.
„Moin, Frau Horch.”
„Moin, Herr Kommissar. Moin, Herr Langeland. Was treibt Sie denn unter der Woche auf die Promenade?”
„Wir untersuchen den Fall des Waldtoten, dessen Identität wir noch nicht kennen.”
„Oh ja, böse Geschichte.” Frau Horch ist im Stillen froh, daß der Tote weit weg von ihrem Strandabschnitt gefunden wurde. Sie erinnert sich mit Schaudern an das Theater, ehe sie ihren als Tatort weggetragenen Strandkorb zurück hatte.
„Fritz, zeig Frau Horch doch mal die Bilder auf dem Display.”
Langeland zückt seine Kamera und führt Marga Horch die Aufnahmen vor.
„Haben Sie den Mann schon mal gesehen?”
Frau Horch hält die Hand über die Kamera, um bei dem grellen Sonnenlicht die Bilder besser sehen zu können.
„Nein, tut mir leid. Diesen Mann kenne ich nicht. Haben die anderen ihn erkannt?”
„Nein, leider bislang völlige Fehlanzeige. Jetzt bleibt vermutlich nur noch Grömitz.”
„Tja, tut mir leid. Manche erkennt man ja wieder, die lange als Kinder gekommen sind. Wenn er je hier war, hat er sich arg verändert. Aber nehmen Sie sich doch jeder ein Stück Apfelkuchen mit. Das Blech steht drinnen hinten auf dem Tisch.”
Malvoisin lehnt dankend ab, Langeland geht hinein und greift dankend zu. Er hält Malvoisin ein Stück hin. „Nicht doch mal beißen?“ Die Mimik sagt „Nein!“ und mit einem Achselzucken probiert Fritz Marga Horchs Backkünste aus. Seine Mimik ist die pure Zustimmung. Er hat sich vorsorglich zwei Stücke genommen, was nicht weiter aufgefallen war. Sie verabschieden sich. „Moin!” Malvoisin tippt zwei Finger an seinen Rembrandt. Langeland nickt nur freundlich. Seine Mutter hatte ihm nachdrücklich beigebracht, daß man, und vor allem er, mit vollem Mund nicht spreche.
„Fragen wir in der Klause?” Langeland kaut und ein paar Krümmel segeln aus den Mundwinkeln zu Boden, die eine Möwe abends ohne erkennbare Dankbarkeit aufpicken wird.
„Nee, laß man. Wenn die Korbvermieter ihn nicht erkennen, dann kennt Peterson ihn auch nicht.”
„Aber seine Mädels vielleicht. Vielleicht erkennen die Bedienungen einen schönen Mann wieder, hm?”
Malvoisin zuckt die Achseln, beide betreten die Klause, kommen aber ohne Erfolg nach fünf Minuten wieder heraus.
Auch im Restaurant ein Haus weiter haben sie kein Glück. Nur Achselzucken.
Einige Schritte weiter, kurz vor den öffentlichen Toiletten überkommt Langeland ein menschliches Bedürfnis.
„Ich verschwind’ mal eben.”
„Aber mach’ nicht so lang.”
„Ich werd’s meiner Blase sagen”, kommt es spitz zurück.
Während Langeland den kleinen Seitenweg zwischen dem Bierrestaurant und der Agentur Horch nimmt und Malvoisin vor der Agentur des Sohnes von Marga Horch wartet, kommt ihm ein ihm wohlbekanntes Mädchen in einem türkisfarbenen Bikini entgegengelaufen. Es ist offensichtlich gerade noch im Wasser gewesen und hält eine neongelbe Badehose in der Hand.
„Na Corinne, bist Du wieder weggetaucht? Die wievielte Badehose ist das denn in diesem Sommer? Und warst Du nicht mit Tessa verabredet?”
„Oh, hallo Onkel Martin.” Das bildhübsche, schlanke Mädchen bleibt aufgeregt atmend vor Malvoisin stehen.
„Äh, ja, bis jetzt drei, und drei brauche ich noch, sonst verliere ich meine Wette. Und Tessa ist nicht gekommen.”
„Und warum so aufgeregt?”
„Kannst Du mir helfen, Onkel Martin?” Sie dreht sich um. „Er ist hinter mir her.”
„Wer? Der Badehoseneigentümer?”
„Genau.”
„Nackt?”
„Das ist es ja. Der schämt sich gar nicht.”
Malvoisin muß grinsen. Corinnes Keßheit ist immer wieder amüsant. Sie dreht sich erneut um.
„Oh, Mist, da kommt er schon. Kannst Du ihn bitte aufhalten, Onkel Martin, verhaften, einsperren, irgendwas? Bitte!”
„Lauf man, Deern, ich mach’ das schon.”
Corinne gibt Fersengeld. Malvoisin stellt sich in die Mitte der Promenade und sieht einen wutschnaubenden etwa siebzehn- bis achtzehnjährigen Jungen auf sich zukommen, schulterlange schwarze Haare, gut trainiert und noch besser ausgestattet. Als er an Malvoisin vorbei will, verfolgt von vielen erstaunten Blicken anderer Strandgäste, hält er ihn am Arm fest, so daß der Schwung des nackten Stürmers beide einmal herumdreht.
„Hallo, junger Mann. Hej, stehengeblieben! In dem Aufzug können Sie hier aber nicht promenieren.”
Der Junge sieht Malvoisin erstaunt an, will sich losreißen, als Langeland ihm den Weg verstellt.
„Was haben wir denn hier? Auf dem Weg zum Mister Beach nude-Wettbewerb, oder was?”
„Was wollen Sie von mir? Ich muß meiner Badehose hinterher, das kleine Miststück da …”
„Na, na, wer spricht denn so von netten jungen Mädchen?” Malvoisin legt gespielt seine gesamte Mimik in Falten, dazu den Ausdruck „Ich bin gerade sehr ungehalten”.
Einige vorbeigehende Badegäste beobachten kopfschüttelnd die Szene.
„Hat man Töne”, empört sich eine Frau mittleren Alters, nicht ohne genau hinzusehen. Zwei etwa 17jährige Bikini-Schönheiten tuscheln hinter vorgehaltener Hand, schicken dem Festgehaltenen interessierte Blicke herüber und gehen lachend weiter. Ein etwa sechsjähriger Junge an der Hand seiner Mutter fragt hinaufblickend: „Mama, seh’ ich auch mal so aus, wenn ich groß bin?”
„Ganz sicher, mein Schatz, aber dann darfst Du nicht so nackt hier herumlaufen?”
„Warum nicht, der Mann darf das doch auch …” „Nein, das geht dann nicht mehr, weißt Du. Die Leute mögen das nicht.”
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