„Hhmmm.” Sie strahlt ihn an, zieht hörbar durch die Nase Luft ein und gleitet an Martin hinab.
Unter Wasser zieht sie seine Badehose herunter, und er steigt “brav” heraus, in Erwartung wundervoller Dinge. Es blubbert, Sand wirbelt auf. Martin schließt genüßlich die Augen.
*
Die Freunde erreichen mit Kristin das Nebengebäude, in dem sich die Künstlerin zusätzlich zum Fotoatelier im Haupthaus eine Bildhauer- und Malerwerkstätte eingerichtet hat.
Die jungen Männer sehen sich um.
Christian entdeckt in dem spartanisch eingerichteten Raum einen niedrigen, leeren Sockel, stellt sich darauf in Positur. „So etwa?”
Kristin dreht sich um und lacht. „Ja, das ist schon gar nicht schlecht. Du bist ein Naturtalent. Manche Models muß ich erst mühsam lockern. Das wird, glaube ich, bei Dir nicht nötig sein.” Mit bewunderndem Blick “scannt” sie ihn ein.
Jan ist es zu heiß geworden, er zieht jetzt doch sein Hemd aus, wirft es über eine Stuhllehne und fläzt sich in einen Sessel.
„Und bei Jan auch”, fügt Kristin schmunzelnd hinzu. Jan macht mit beiden Händen eine Bewegung als wolle er sagen „Alles was Du willst, Baby” und grient selbstbewußt.
Christian steigt derweil vom Sockel herab und setzt sich zu Jan auf eine Sessellehne.
Durch das große Südfenster scheint helles Sonnenlicht, das den weiten Raum golden einfärbt und durch die vielen größeren Gegenstände, Staffeleien mit und ohne Bilder sowie Skulpturen in ein Schattenspiel verwandelt. Die Bilder sind sämtlich männliche und weibliche Akte, meist unfertig.
„Warum sind die meisten Bilder nicht fertig?” Christian steht auf und betrachtet einige aus der Nähe.
Kristin tritt nahe zu Christian hin. Ihre Blicke zeigen, daß er ihr sehr gefällt.
„Oh, das sind die Arbeiten, die ich aus dem Gedächtnis kreiere. Habe ich Photos oder die Modelle im Haus, dann geht es zügiger.”
„Hast Du immer konkrete Modelle oder machst Du auch Idealfiguren?”
„Das ist auch eine gute Frage, Christian. Diese Modelle habe ich alle wenigstens einmal gesehen. Sei es am Strand, in der Sauna oder als Liebhaber.”
„Als Liebhaber?” Christian sieht Kristin mit großen Augen an.
„Ja, warum nicht? Ich bin keine Nonne. Aber der Adam im Haupthaus ist ein Ideal, dafür hatte ich kein lebendes Vorbild. Da hinten steht übrigens eine Figur, die eine tragische Geschichte hat.”
Kristin lehnt sich mit ernstem Gesicht gegen einen Tisch.
„Der Junge war 20, ist an einem plötzlichen Herzstillstand gestorben. Ich wurde eigentlich zum Abnehmen der Totenmaske geholt.”
„Und dann?” Jan richtet sich im Sessel auf während Christian zu der Figur geht.
„Herzstillstand? In dem Alter?” Christian kann es nicht fassen.
„Seit wann ist Herzstillstand eine Frage des Alters? Es kann jeden von uns jederzeit treffen.”
Jan und Christian sehen sich quer durch den Raum an.
„Aber warum dann der ganze Mann?” Jan steht auf und geht ebenfalls näher, um sich die Figur genau anzusehen. Kristin folgt ihm.
„Hauke hieß er, lebte bei seinem verwitweten Vater, und ich glaube, die beiden waren ein Herz und eine Seele. Nachdem ich die Totenmaske abgenommen hatte, schlug ich dem Vater vor, ich könne eine Ganzkörperabnahme machen. Hauke war noch im Tod ein bildschöner junger Mann, mit einem wunderbar gebauten Körper.”
„Ach, sein Edler war so …” Jan schaut kritisch.
„So lang, meinst Du?” Sie schmunzelt, als Jan nickt. „Oh ja, das war er. Ich mußte da nichts künstlich idealisieren, und ich muß zugeben, ich hätte ihn gern lebend kennengelernt.”
„Wen? Den Jungen oder seinen Schwanz?” Christians Blick geht von der Figur zur Künstlerin, wobei er, kaum daß er es gefragt hat, mit hochgezogener rechter Augenbraue leicht den Kopf schräglegt und eine Mimik zeigt, als wolle er gleich äußerst frech grinsen.
Kristin verzieht kaum merklich lächelnd über Christians verbales Direktdraufzu die Mundwinkel. Sie mag das.
„Beide. Und Hauke soll als Mensch sehr liebenswürdig gewesen sein. Leider ein Frühvollendeter. Nur die Figur noch nicht, die muß ich zum Abschluß polieren, deshalb fühlt sie sich noch etwas rauh an.”
Christian fährt mit seiner rechten flachen Hand über Haukes kalte Brust, und es durchläuft ihn ein Schauer. Während er der Figur in die leeren Augen sieht, laufen ihm plötzlich zwei Tränen die Wangen herunter. Der Ansatz seines frechen Grienens ist ganz verschwunden. Jan hat sich wieder in den Sessel gesetzt und Kristin ist weggegangen, so bemerken es beide nicht. Er wischt sie schnell weg. Für einen Augenblick hat Christian furchtbare Angst, so früh sterben zu müssen.
Kristin beginnt, auf einem großen Tisch in einer großen Plastikschüssel eine weiße Masse anzurühren.
„Unterhaltet Ihr Euch einen Augenblick? Ich muß hier etwas vorbereiten.”
Christian schnappt sich einen Stuhl und setzt sich Rückenlehne nach vorn zu Jan. Er beugt sich zu seinem Freund vor und fragt ihn leise:
„Wie findest Du’s hier? Pure Erotik, nicht?”
Jan flüstert Christian zu: „Kristin ist eine faszinierende Frau, rattenscharf.”
„Kann sein, ziemlich sicher sogar. Ein bißchen viel Männer, oder?” Christian sieht sich wieder um.
„Wär’s Dir lieber, sie wäre eine Lesbe?”
„Natürlich nicht. Aber ein paar schöne weibliche Plastiken wären doch nicht schlecht, oder?”
„Ach, Du meinst, vielleicht steht Dein Engel Sigrun hier irgendwo herum?”
„Wieso meine Sigrun? Wie kommst Du denn darauf?”
Jan muß lachen. „Ich erinnere Dich an Deinen Ich-verlier-mal-schnell-meinen-Verstand-Auftritt von vorhin.”
„Wer hat denn vorhin seinen Verstand verloren? Ich?”
„Ja, Du.”
„Warum?”
„Coup de foudre.”
„Was?”
„Französisch.”
„Kannst Du kein Deutsch mehr?”
„Blitzschlag.”
„Fängst Du schon wieder damit an?”
„Womit?”
„Wetteransagen.”
„Wieso Wetter?”
„Das frage ich Dich?”
„Ich rede von Deiner Blitzverliebtheit.” „Blitzverliebt?”
„Ich?”
„Ja.”
„Warum?”
„Sigrun.”
„Was ist mit ihr?”
„Du hast sie angesehen.”
„Wann?”
„Vorhin.”
„Wo?”
„Vor dem Haus.”
„Vor welchem Haus?”
„Dem himmelblauen mit goldenen Sternen auf Fehmarn.”
„Wir waren auf Fehmarn?”
„Nein.”
„Bist Du blöde?”
„Nein, aber Du.”
„Ich?”
„Ja.”
„Warum?”
„Sigrun.”
„Was hast Du immer mit Sigrun?”
„Ich?”
„Ja.”
„Gar nichts.”
„Ja, was willst Du denn?”
„Is’ ja gut, ich mach’ Dir den Trauzeugen.”
„Ich glaub’, ich spinne.”
„Jetzt hast Du’s.”
„Häh?”
Jan steht auf, nimmt Christians Kopf in beide Hände und gibt ihm einen herzhaften Kuß auf den Mund.
„Bist Du verrückt?” Christian sieht Jan entgeistert an und wischt sich den Mund ab.
„Du bist ansteckend.”
„Ich? Warum?”
„Oh, Mann!” Jan läßt sich in den Sessel fallen, faßt sich an den eigenen Kopf und läßt resignierend die erhobenen Arme sinken.
„Was habt Ihr Zwei denn miteinander?” Kristin hat amüsiert die Szene verfolgt. „Und was ist mit Christian?”
„Er hat inwendig Windstärke 12, Orkan Sigrun.” „Und deshalb küßt Du ihn?”
„Ach, das war nur freundbrüderlich gezeigt, daß ich ihn immer noch liebe, obwohl er seit einer halben Stunde an akuter Sigrunitis leidet. Auf Deutsch: er spinnt.”
Kristin sagt darauf nichts, lächelt und kommt auf ihre vorbereitete künstlerische Arbeit zu sprechen.
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