„Wohl wahr. Kommst Du noch mal zurück?”
„Kaum. Wir sehen uns morgen. Übrigens, wann ist Mokwi aus dem Urlaub zurück?”
„In zwei Wochen.”
„Danke.” Malvoisin wedelt das Telephonierzeichen. „Tschüs, bis morgen.”
„Jou, tschüs.”
Malvoisin verläßt das Büro und Langeland greift zum Hörer.
„Ein bißchen telephonieren. Wie nett er das immer so sagt.” Langeland verzieht das Gesicht. Er wählt die 62010 für die JVA Lübeck.
„Hier Langeland, K1 Lübeck. Moin. Geben Sie mir bitte den Direktor.”
*
Christian atmet schwer. Er kann gar nicht glauben, was da mit ihm geschieht. Schwer zieht er den Sauerstoff durch die beiden Nasenröhrchen ein. Unter dem Panzer der Abgußform wird ihm immer heißer. Er muß sie loswerden. Nichts ist ihm verhaßter, als die Kontrolle zu verlieren. Er sieht nichts, kann nichts sagen. Seine Arme sind auch eingegossen, er kann nicht ertasten, was da mit ihm geschieht und doch geschieht es, denn er fühlt es deutlich. Kristin und Jan hatten ihm gesagt, sie gingen ins Empfangsatelier zurück. Kristin wollte Photos von Jan machen und mit Skizzen beginnen. Nach der Aushärtung würden sie wiederkommen und ihn befreien.
Dann hatte er gespürt, daß jemand den Raum betrat aber nichts sagte. Er empfand eine starke Aura, hörte ein leises Atmen. Jemand stand ganz nah bei ihm. Hätte er geschlafen wäre er davon aufgewacht, so intensiv fühlte er, daß er angesehen wurde. Daß ihn ein blaues Augenpaar musterte, konnte er natürlich nicht erkennen. Dann nahm ihn jemand in die Hand, ergriff Macht von ihm, und er ließ es geschehen. Christian hätte mit einem Ruck aufspringen können, aber er wollte nicht. Ihm gefiel, was geschah.
Es ist sensationell, so gut ist es ihm selten ergangen. Ob diese Kristin ihre Kunst an ihm übt oder ob gar Jan die Gelegenheit nutzt? Sein Kopfkino spielt ihm ein wechselnd wildes Szenario vor. Meisterhaftes geschieht mit ihm. Er läßt sich innerlich fallen und genießt es einfach nur bis zur Erfüllung. Ewig kommt es ihm vor. Wenn er doch nur sehen könnte! Da spürt er wieder, angesehen zu werden, bis sich dieses Gefühl entfernt. Er ist wieder allein.
*
Jan entblättert sich. Viel abzulegen hat er nicht. Kristin betrachtet ihn mit sichtlichem Wohlgefallen. Er ist ihr David. So verlockend, wie er zunächst dasteht und sich dann lasziv in den Sessel fläzt - am liebsten würde sie ihn gleich vernaschen, aber sie denkt auch an Christian. Es ist nicht die Zeit dafür.
Drei geladene Kameras hat sie bereitliegen, und die wird sie auch brauchen. Sie nimmt sich zuerst die Digitalkamera, da kann sie die Ergebnisse gleich kontrollieren, obwohl ihr dauerhafte Negative lieber sind. Sie “schießt” ihn schnell im Sessel und bittet ihn dann „Kommst Du bitte mal hier herüber ins Licht?” Jan steht auf, geht auf die Position, die Kristin ihm bedeutet.
„Lehn Dich an, laß ganz locker.” Jan ist völlig in gleißendes Sonnenlicht gehüllt. Er genießt die Wärme auf seinem Körper, aber noch mehr genießt er die Aufmerksamkeit der schönen Künstlerin. Er fühlt es geradezu, wie sie ihn abtastet. Sex mit der Kamera. „Das is’ ja so geil! Schade, daß Christian nicht hier ist. Der Arme langweilt sich bestimmt, so allein unter dem Abgußpanzer. ” Jedes Klicken jagt ihm einen wohligen Schauer über den Rücken. Er schließt auch ohne Kommando genüßlich die Augen, legt den Kopf leicht zur Seite, läßt die Arme hängen. Es klickt und klickt. Plötzlich spürt er Berührung.
„Nimm bitte die Arme hoch und strecke Dich.”
Jan folgt, läßt aber die Augen geschlossen. Die Sonne könnte ihn blenden und ließe ihn sein Gesicht verziehen. Sein rechtes Bein stellt er mit leichtem Ausfallschritt etwas nach rechts vor. Er denkt mit.
„Hm, der Junge ist gut. Und größer wird er auch schon.” Kristin Blick erfaßt Jans wachsende Spannung. Sie kann nicht anders. Mit dem Zeige- und Mittelfinger ihrer rechten Hand fährt sie von der Ellenbeuge seines linken Armes bis zur Achsel hinunter und gleitet herüber über seine Brust, die sich vom tiefen Atmen deutlich hebt.
„Du machst das gut”, flüstert sie ihm zu. Er öffnet die Augen und lächelt sie an, läßt die Arme sinken. Sie hält ihm das Display hin und läßt einige Aufnahmen durchlaufen. Er gefällt sich, und es gefällt ihm, daß er Kristin gefällt. Und er hofft, daß er Christian gefällt. Das Klicken der Kamera setzt wieder ein. Und sogleich kommt das wunderbare Rieseln durch seinen Körper zurück. Jan schließt die Augen, hebt die Arme an, präsentiert Kristin seine ganze junge, männliche Schönheit - und genießt.
*
Im Obergeschoß klappt leise eine Tür. Ein blaues Augenpaar blickt aus dem Fenster hinüber zum Atelierhaus. Im Kopfkino läuft die Wiederholung einer ungewöhnlichen Begegnung ab. Nach der Schlußszene tropfen dicke Tränen zu Boden.
*
„Nicht erschrecken! Es ratscht gleich.”
Christian hatte zwar gehört, daß Kristin und Jan hereingekommen waren, aber für die Vorwarnung ist er dankbar. Schon werden die Nasenröhrchen herausgezogen und die Gesichtsmaske wird mit einem vorsichtigen Rucken abgezogen.
„Ah, er lebt noch!”
Christian ist begeistert, daß Jan so begeistert ist, aber erst einmal atmet er tief durch.
„Wie fühlst Du Dich?”
„Phantastisch! Warum fragt er so blöd? Er muß doch hier gewesen sein! ” Christian ist sich plötzlich ganz sicher, daß Jan der stille Besucher war.
Kristin betrachtet die Innenseite der Gesichtsform und ist zufrieden.
„So, jetzt wird es etwas schwieriger. Etwas Körperbehaarung könnte abgehen - schlimm?”
„Wächst doch nach, aber wenn ich mit diesem Panzer nach Hause komme, bin ich in Schwierigkeiten. Also weg damit!”
Kristin sieht Jan an. „Faßt Du bitte auf der anderen Seite an. Vorsichtig rucken …” Beide rütteln leicht. „… uuund --- hoch!” Christian ist befreit. „Puh, geschafft.” Er atmet noch einmal tief durch und setzt sich auf. Die Haarnaht bauchnabelabwärts ist noch vollständig da. Kristin prüft derweil das Ergebnis.
„Gelungen. Prima! Wollt Ihr noch das Ausgießen abwarten oder wiederkommen?”
„Was meinst Du, Christian? Bleiben wir oder gehen wir an den Strand?”
„Wir können ja wiederkommen, wenn mein Abbild fertig ist. Aber heute würde ich lieber schwimmen gehen und jetzt erst einmal duschen.”
Kristin reicht Christian eine Papierrolle, damit er sich abwischen kann.
„Es war Dir hoffentlich nicht langweilig, während Du hier gelegen bist.”
„Ganz im Gegenteil. Was soll die Fragerei? Die müssen doch wissen, was hier passiert ist! ” Christian reibt sich ab und dann kehren alle drei ins Haupthaus zurück, wo Kristin ihm die Dusche zeigt. Dann läßt sie die Freunde allein.
Jan lehnt sich an die Tür, während Christian sich einseift.
„War es Dir wirklich nicht langweilig?” Christian hält inne, sieht seinen Freund verwundert an.
„Warum fragst Du so komisch? Du mußt doch wissen, daß es das nicht war.”
„Woher soll ich das wissen? Kristin und ich haben im großen Atelier die ganze Zeit Aufnahmen gemacht.”
„Das kann nicht sein, es war …” Christian unterbricht sich selbst. „Das habe ich doch nicht geträumt, oder?”
„Was soll gewesen sein?”
„Habt Ihr mich nicht heimlich beobachtet?”
„Warum sollten wir das tun? Wir waren beschäftigt und sind erst zur Formenabnahme zurückgekommen. Wie kommst Du darauf?”
Christian spült den Schaum herunter und dreht die Dusche ab. Während er sich abtrocknet, geht er langsam auf Jan zu. So ganz sicher ist er sich seiner Sinne nicht mehr. Jan hat ihn noch nie beschwindelt.
„Ich hatte das Gefühl, es sei jemand im Raum gewesen, aber dasjenige hat nichts gesagt.”
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