„Und?”
„Ja nichts und!” Er überlegt kurz. „Ach was, vielleicht habe ich nur taggeträumt.”
Beide lachen und gehen zurück ins Hauptatelier, wo Kristin die geschossenen Aufnahmen von Jan einspeichert. Christians Abgüsse liegen auf einem großen Tisch daneben. Christian zieht sich an und betrachtet sein “Negativ”. Er findet es seltsam interessant sich so zu sehen und ist gespannt auf das Positiv von sich selbst. Beide verabschieden sich von Kristin und verlassen Haus und Grundstück. Christian dreht sich am Tor um und blickt zurück. Ein seltsamer Tag, aber er hofft inständig, Sigrun wiederzusehen. Auf der Rückfahrt werden Jan und Christian schweigen.
Ein blaues Augenpaar hat sie fest im Visier, bis sie davonfahren. Zwei Vorhänge werden zugezogen.
*
Malvoisin tritt in das Vorzimmer des Präsidenten ein. Frau Stern sieht den Hereinkommenden freundlich lächelnd und erwartungsvoll an.
„Moin, Frau Stern. Ist der Präsident frei?”
„Verzeihung, Herr von Malvoisin. Kriminalrat Müller-Dobermann ist gerade beim Herrn Präsidenten. Ich glaube nicht …”
„Ach, das trifft sich ganz gut. Melden Sie mich bitte an.”
Frau Stern zuckt mit den Achseln und greift zum Hörer, drückt einen Knopf.
„Herr Präsident, Herr von Malvoisin wäre da. Darf er eintreten? - Ob es wichtig sei?” Frau Stern sieht Malvoisin fragend an.
„Habe ich den Herrn Präsidenten jemals mit Unwichtigem behelligt?”
„Es sei wichtig, dringende Ermittlungsarbeit. Duldet keinen Aufschub.”
Malvoisin staunt wieder einmal über Sternchens flinke Auffassung und ihre treffende Wiedergabe seiner Wünsche. Sie legt den Hörer auf und deutet einladend auf die große Tür.
„Der Herr Präsident erwartet Sie.”
Malvoisin küßt ihr die Hand, die sie nun wieder drei Tage lang nicht waschen wird, und tritt ein.
„Er ist einfach zu galant”, murmelt Frau Stern und läßt einen sehnsüchtigen Seufzer hören, aber den hört Malvoisin schon nicht mehr.
*
Malvoisin tritt ein. Die schwere Tür geht leise ins Schloß. Der Präsident sitzt in Uniform mit kleiner Ordensschnalle hinter seinem Schreibtisch. Das Große Bundesverdienstkreuz trägt er in Originalgröße auf dem extra flach gebundenen Krawattenknoten. Bonner Rot macht sich optisch sehr attraktiv auf Polizeiblau. Kein Vergleich zu dem Grün, in dem man aussah wie ein Förster, der sich in der Dienststelle geirrt hat. Nur der amerikanische Deckel paßt einfach nicht. Der schicke deutsche Tschako wäre besser, aber im Büro trüge man das ohnehin nicht. Die Halszierde war ihm am 3. Oktober des vergangenen Jahres im Schloß Bellevue verliehen worden. Die Buschtrommeln hatten zu seiner Freude und Erleichterung richtig getrommelt. Nicht auszudenken, der Spott und Hohn, wenn nicht, denn es war durchgesickert, daß er vorgeschlagen worden war, und seine liebe Frau wäre noch beleidigter gewesen als er selbst. Kaum etwas schlimmer, als unbehandelte Halsschmerzen! Nur die Tatsache, daß es mit dem Staatssekretärsposten im Innenministerium nichts geworden war, jedenfalls diesmal nicht, das wurmte ihn immer noch. Da hatte mal wieder eine etwas längere Parteimitgliedschaft entschieden. Und obendrein konnte er den Bevorzugten nicht leiden. Er hatte ihn schon während der gemeinsamen Schulzeit nicht gemocht. Hundsmiserables Abitur, aber schon mit 16 in der Parteijugend. Gezahlte Mitgliedsbeiträge haben schon manchen Abidurchschnitt angehoben und den fehlenden IQ verbessert. Aber der Bundespräsident war sehr freundlich gewesen, hatte seine Zufriedenheit ausgedrückt, einem so verdienten höheren Polizeiführer die verdiente Auszeichnung überreichen und den Dank des Vaterlandes aussprechen zu können. Das glich manches aus, wenn auch nicht ganz.
Und vor dem Schreibtisch sitzt der unvermeidliche Kriminalrat Horatius Müller-Dobermann, intern sehr schnell meist nur „Lord Nelson” genannt - wegen der Vornamensgleichheit mit dem britischen Admiral of the Blue Horatio Lord Nelson, dem Sieger der Schlacht bei Trafalgar Anno Schießmichtot 1805. Nur, der Kripo-Nelson war nie über den Leutnant zur See der Reserve hinausgekommen. Irgendwie hatte man ihn bei den Reserveübungen “vergessen”. Er hatte ein Minensuchboot als Wachhabender auf der Brücke an eine Kaimauer manövriert, und man wollte ihm nicht die Gelegenheit geben, derartige Materialprüfungen mit größeren Einheiten durchzuführen. Obwohl, einem, dem das gelungen war, hatte es den Weg hinauf zum Vizeadmiral und Marineinspekteur auch nicht verbaut. Beziehungen schaden nur dem, der sie nicht hat. Wer hatte das doch immer gesagt?
Malvoisin wird in seinen Betrachtungen unterbrochen.
„Was gibt es, mein lieber Malvoisin?”
Der Präsident hat seinen jovialen Tag. Er rechnet es Malvoisin immer noch hoch an, im letzten Sommer die Strandmorde binnen weniger Tage gelöst zu haben, die damit aus den Schlagzeilen kamen und Ruhe in den Tourismusbetrieb zurückkehrte, und das er im Herbst den Mörder eines Verkehrspolizisten, der vierfacher Familienvater war, ebenfalls binnen kurzem gefaßt hatte. Der Täter hatte gerade sein “Lebenslänglich, mit besonderer Schwere der Schuld” wegen erwiesener Heimtücke bekommen. Der Präsident war seither bester Laune. „Lord Nelson” sieht dagegen etwas sauertöpfisch aus. Goldkränzchen hatte ihm gerade leichte Erfolglosigkeit vorgehalten und vor allem mangelndes Dienstalter. Wie er sich das denn mit einer weiteren Beförderung vorstelle? Wie solle er das denn befürworten? Nur weil ein Kriminaloberrat unlängst pensioniert worden sei? Er bekomme eher ein weiteres und schnelleres Dienstfahrzeug bewilligt, als die Anhebung des Lebensstandards eines seiner höheren Herren. Im entsprechenden Haushaltsreferat sei man ja froh, wenn nicht gleich das Beförderungskarussell angeworfen würde. Aus dem Innenministerium käme dann nur wieder der Vorwurf wie man sich das denn denke: Immer mehr Häuptlinge und immer weniger Indianer! Im Stillen war der Präsident froh, daß er wenigstens einem verdienstvollen Mann wie Malvoisin die Beförderung durchdrücken konnte, ohne daß aufgefallen war, daß mit ihm ein veritabler Fürst im Rang und Gehalt angehoben wurde. Das könnte sich leicht zu einem Politikum auswachsen, und das konnte er nicht gebrauchen. Ein Präsident braucht Ergebnisse, vor allem, wenn er noch Staatssekretär werden will - und die Frau das auch gern so hätte.
„Die Herren muß ich ja nicht vorstellen.”
„Guten Tag, Herr Kriminalrat.” Malvoisin hat die alte Angewohnheit, Vorgesetzte mit ihrem Rang anzureden nicht aufgegeben, obwohl “die Simonis”, wie er immer dachte, gelegentlich auch sagte, geglaubt hatte, das abschaffen zu müssen. Von sozialistischer Gleichmacherei hat er nie etwas gehalten. Auf Erden sind die Menschen nicht gleich, und wenn jemand sich erhoben erhaben fühlt und ein Gegenüber von oben herab behandeln will, dann tut er das mit oder ohne Ranganrede. In der Marine hat er es immer so gehalten auch rangniedere Kameraden, die er nicht sehr gut kannte, mit Dienstgrad anzusprechen, was fast durchweg gut ankam. Sogar Hindenburg hat als Generalfeldmarschall und Reichspräsident selbst einen Leutnant mit “Herr Leutnant” angesprochen und in Schriftstücken so angeschrieben. Höflichkeit kostet nichts, vermittelt aber Respekt oder verhindert durch eine gewisse Distanz das Abrutschen in falsche Kumpelhaftigkeit. Er bleibt dabei.
„Guten Tag, Herr von Malvoisin. Sie fehlten heute bei der Morgenlage. Sie fehlen eigentlich immer bei der Morgenlage!” Es klingt Vorwurf in „Lord Nelsons” Stimme mit.
„Deswegen bin ich hier, Herr Präsident.” Malvoisin übergeht einfach, daß der Kriminalrat ihn angesprochen hat.
„Was liegt denn an, Verehrter?”
Der Kriminalrat stutzt und dreht sich erstaunt, aber schweigend, zu seinem Präsidenten um, sieht dann den so Flattierten wieder an. Malvoisin ist die Anrede auch neu. Sein Präsident ist offenkundig wirklich guter Laune; da könnte er mit seiner Bitte um Einsatzkräfte durchdringen.
Читать дальше