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Kommissar von Malvoisin sitzt in seinem Büro im Lübecker Polizeipräsidium und studiert seine Niederschrift zur “Leiche 21”. Ihm gegenüber sieht sein Kollege Frederik Langeland Fallberichte am Bildschirm durch. Malvoisin legt die Blätter hin.
„Ich kann mir die ‘21’ auf dem Bauch des Toten nicht erklären. Was soll das? Das Alter des Getöteten ist es sicher nicht. Ein Code? Leiche Nummer 21?
Langeland überlegt und kommt zu dem Ergebnis „Solch eine Mordserie hatten wir hier noch nicht. Die Datenbanken spucken nichts aus was passen könnte.”
Malvoisin kratzt sich am Kopf. „Oder ein neuer Fritz Haarmann?” Er runzelt die Stirn. „Das fehlte uns gerade noch.”
Langeland sieht auf. „Wer ist das denn?”
„Ach, das ist lange her. Das kannst Du als Däne nicht wissen.“
Langeland reagiert etwas pikiert: „Danke für den Hinweis.“
Malvoisin schmunzelt. „Krieg’ Dich ein, die meisten deutschen Kollegen wissen das nicht mehr. Das war damals im Reich. Haarmann stand auf junge Burschen, hat seit 1918 mindestens 24 umgebracht und Wurst aus ihnen gemacht.” Langeland schüttelt es sichtbar. „1925 wurde er mit dem Schwert hingerichtet. In Hannover, ich glaube am 15. April.”
Langeland staunt über Malvoisins Detailwissen. „Das weißt Du so genau? Und ich dachte, das Schwert war nur für vornehme Delinquenten, hm?”
„In England und Frankreich vielleicht, früher, Königin Anne Boleyn zum Beispiel - da mußte der Henker das zarte Hälschen noch perfekt treffen können.“ Er zielt mit seiner rechten Handkante in der Luft gegen ein unsichtbares Hälschen. „Das waren noch Meister ihres Fachs, hochbezahlt, Guillotine kann doch jeder …“. Malvoisin schaut geringschätzig. Langeland verzieht sein Gesicht. Malvoisin merkt selber, daß er gerade etwas makaber geworden ist und räuspert sich durch. „Na ja, Geschichte eben, mein Hobby, Du weißt doch. Und ich lese Bücher. Auf’s Internet verlasse ich mich nicht. Am Ende noch dieses überschätzte Wiki-Dingsda.”
Langeland ergänzt „-pedia.”
„Wie? Ach so. Ja, genau das. Unwissenschaftlicher Krampf. Aber die Jungen …”
Es klingelt das Telephon. Er nimmt ab.
„K 1, Malvoisin. - Ah, Klinge, hast Du schon ‘was? - Sollen wir ‘rüberkommen? - Gut, bis gleich.”
Malvoisin erhebt sich im Auflegen. „Fritz, komm’. Wir haben ein Rendez-vous mit einer Leiche. Und mach‘ den Computer aus. Auch Strom kostet Steuergelder.”
Langeland in maulig gedehntem Ton: „Jawohl, Euer Majestät.”
Malvoisin ist schon auf dem Weg zur Tür und dreht sich um. „Wie bitte?”
Langeland sieht auf den Bildschirm: „Tatsächlich. 15. April 1925.” Er fährt den Computer herunter, schaltet alles aus und geht auf Malvoisin zu. Der sieht in verwundert an. „Majestät? Ist Dir zu heiß?”
„Martin, Du bist mein Chef, und ich liebe Dich trotzdem, und Du bist mein Freund, weil Du ein feiner Kerl bist, aber manchmal benimmst Du Dich wie meine Königin, und ‚Durchlaucht’ darf ich ja nicht sagen. Keine Lust, wieder schwule Pornos anzusehen. Brrr.” Langeland friert es, trotz der Hitze.
Malvoisin sieht seinen Kollegen kopfschüttelnd an. „Dir ist wirklich zu heiß, ha?”
Langeland ist zwar nur halber Däne, aber die Königin ist auch seine Königin. Er liebt sie auf Abstand, trotz ihrer Eigenarten.
„Nein, wieso? Die zweite Margarethe geht jeden Abend persönlich durchs Schloß und schaltet alle Lampen aus. Wußtest Du das nicht? Für Zigaretten gibt sie viel Geld aus, man hört von 70 am Tag, aber am Licht spart sie.”
Malvoisin wußte das nicht. „Oh, ist das so? Hhm. Und weißt Du, was aus diesem Marko geworden ist?”
„Nö. Wieso?”
„Nur so.”
Malvoisin weiß selbst, nicht warum seine Erinnerung gerade diesen Namen aufgerufen hat. Vorahnungen.
*
Marko Reddemann hatte tags zuvor einen interessanten gemischten Dreier. Ein Kommilitone war mit seiner Freundin zu Besuch nach Plön gekommen. Britto und Ariane. Sie hatten einen schönen Abend und eine noch heißere Nacht miteinander verbracht.
Kurz vor 10 Uhr war Marko aufgestanden, denn er mußte zu einem Vorstellungsgespräch um Zwölf pünktlich in Kiel sein. Britto und Ariane schliefen noch. Er hatte sich leise hinausgeschlichen, geduscht, ein schnelles Frühstück für sich und für die beiden ein reichhaltiges gemacht, einen Zettel geschrieben, sie sollten sich Zeit lassen und dann einfach die Tür zuziehen.
Abends erfuhr er, nachdem er nach anfänglichen Schwierigkeiten den Weg nach Hause gefunden hatte, daß sie seine Gastfreundschaft tatsächlich “etwas” ausgedehnt und die Nacht mit großem Vergnügen fortgesetzt hatten. Er fand seine Wohnung dennoch piekfein aufgeräumt vor.
Aber noch mehr gefiel ihm, daß er wieder einen Job hatte - und das mit sehr angenehmen Begleitumständen.
Marko hatte in Kiel erst ein wenig suchen müssen, er war fast schon in Altenholz gelandet. In der Nähe der Ahornallee fand er sein Ziel. Eine anständige Adresse. Von außen sagte es ihm zu. Four Starfish Film GmbH stand da in neonblauer Schrift.
Etwa zweieinhalb Stunden später würde Marko vorübergehend vergessen haben, wo er wohnte.
*
Jan und Christian kommen am Anwesen der Bildhauerin an. Jan stellt seinen Polo am Tor ab. Dort steht schon ein anderer, froschgrüner, mit Ostholsteiner Kennzeichen. Sieht gebraucht aus.
„Aufgeregt?” Christian sieht Jan an. „Warum? Das ist doch nicht viel anders als für Großonkel Flo Photos zu machen.” „Na, dann los.”
Die Freunde steigen aus. Christian sieht sich um. Kein Mensch zu sehen. Eine ruhige, fast einsame Ecke, aber Künstler brauchen das wohl, denkt er sich.
„Ob noch andere Models gekommen sind?” Christian deutet auf den kleinen “Frosch”. Jan zuckt mit den Achseln. „Keine Ahnung. Gesagt hat sie nichts. Aus dem Kreis ist er jedenfalls. OH-SS 1990. Schon mal gesehen?”
„Nö, der Grünling wär’ mir aufgefallen. Wer fährt denn mit so ‘ner Farbe?” Christian schüttelt verständnislos über solch eine Geschmacksverirrung den Kopf. Er wirft einen kurzen Blick ins Innere. „Mädchenauto, hm.”
Jan schließt ab, wirft Christian einen aufmunternden Blick zu und sie nähern sich dem hölzernen, zweiflügeligen Tor. Es könnte einen Anstrich gebrauchen. Im Hintergrund ist das große reetgedeckte Haupthaus zu sehen, daneben einige kleinere Wirtschaftsgebäude.
Jan hebt den Verschlußbügel hoch, schiebt einen Flügel nur so weit auf, daß beide hindurchpassen. Sie treten ein, Jan schiebt den leicht schwingenden Torflügel wieder zu und legt den Verschluß über. Kurzes Rütteln - hält.
Während sie auf den Hof zugehen, verläßt ein junges Mädchen ein Nebengebäude, nimmt ein Fahrrad und kommt auf die Freunde zu. Sie sehen sich vielsagend lächelnd an, als sie bemerken, daß sich ihnen eine Schönheit nähert. Sie hat rückenlange goldblonde Haare, die offen im Wind wehen und im Sonnenschein glänzen. Bald haben sie sich erreicht und bleiben voreinander stehen. Das Mädchen ist in ein bauchfreies gelbes T-Shirt und blaue Jeans gekleidet, ihre nackten Füße stecken in hellen Leinenschuhen.
„Moin.”
„Moin.”
„Heißt einer von Euch Jan?”
„Woher …?” Die Freunde sehen erst sich und dann die optisch etwa 18jährige fragend an.
„Ich bin Jan.”
„Kristin wartet schon auf Dich.” Mit lächelndem Blick mustert die Schöne Christian. „Die Zugabe wird sie freuen. Bist Du sein Bruder?”
„Das ist mein Freund Christian. Und wer bist Du?”
„Ich heiße Sigrun.”
Während Christian stumm bleibt und mit leuchtenden Augen Sigrun betrachtet, fragt Jan nach.
„Und weiter?”
„Das wird sich finden.”
„Wo?”
„Hier oder …” Sigrun überlegt kurz. „Kennt Ihr Lensterstrand?”
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