Sein Schlussplädoyer begann Gestalt anzunehmen.
„Unser Volk ist bereit für diesen Krieg. Unsere Propaganda hat gefruchtet. Das Volk sieht die Schuld für ihr Leiden in den Verfehlungen des Westens und sinnt auf Rache. Ich fasse zusammen: wir haben das Element der Überraschung, die Europäer sind gelähmt in ihrer Uneinigkeit und Zerstrittenheit. Sie haben sich, im Anflug grotesker Selbstüberschätzung, mit ihrer Schutzmacht den USA überworfen. Wir haben die industrielle, technologische und die demografische Überlegenheit. Wir haben uns Jahre auf diese Kampagne vorbereitet und unser Plan ist perfekt. Noch bevor sie verstanden haben, wer sie angreift, wird die Hälfte von ihnen tot sein. Und unter dieser Hälfte, werden alle ihre Soldaten sein. Wer zurück bleibt, wird nicht imstande sein zu kämpfen. Degeneriert wie sie sind, werden sie es wahrscheinlich noch nicht einmal probieren.“
Shi Deliang setzte sich, nahm eine Zigarette aus seinem Etui und steckte sie an. Wong Li sah besinnlich den Rauchschwaden hinterher, die langsam durch den Raum zogen. Wong war mit Shi zufrieden. Er hatte es dem alten Sack ordentlich eingeschenkt. Er hatte ihn isoliert und niemand würde sich mit ihm jetzt solidarisieren. Noch nicht einmal sein Waffenbruder Liu würde ihm zur Seite springen. Auch für Liu stellte diese Kampagne die größte Chance seines Lebens dar. Wong dachte sich, wenn Liu diese Nummer gut durchzieht, würde er Yao beerben können. Wenn er also nicht komplett verblödet ist, spielt er nach unserer Musik und darf die Glorie für sich beanspruchen. Er schaute Liu an und lächelte kalt.
Lius Blick traf auf den von Wong, und er konnte Wongs Gedanken geradezu lesen. Yao hatte zwar Recht, es war ein großes Wagnis. Aber Wong und Shi hatten das Momentum auf ihrer Seite und Liu fielen keine besseren Alternativen ein. Oder überhaupt einen Weg, ihnen Paroli bieten zu können.
Zhou nahm den grübelnden Liu wahr und entschied sich, ihn zur Rede zu stellen: „Liu, wollen sie etwas hierzu beitragen?“ forderte er den General auf.
„Nur, dass ich keine Zweifel an der Operation Heimkehr habe, weder an dem Sinn, noch an der Durchführbarkeit der Kampagne. Ich bin den Plan mit meinen Kollegen in allen Details immer wieder durchgegangen. Er ist perfekt. Wir werden Opfer erbringen müssen, dass ist in jedem Krieg so. Aber an unserem Sieg habe ich nicht den geringsten Zweifel.“
Yao schaute Liu fassungslos an. Liu wich seinem Blick aus.
Yao erkannte die Ausweglosigkeit seiner Lage. Er war kalt gestellt. Dies würde das letzte Mal sein, dass er an einer Sitzung der Zentralen Militärkommission teilnahm. Aber das war nicht wichtig. Schlimmer war, dass sein Land in einen gefährlichen Krieg stürmte. Dieser Krieg gefährdete den schwer errungenen Wohlstand und zerstörte die Möglichkeit auf Koexistenz mit den anderen Ländern in einer friedlichen Welt. Er erwartete das Schlimmste, den schlimmsten Krieg aller Zeiten. Er sank in sich zusammen.
Staatspräsident Zhou lächelte. Er war zufrieden. Es war jetzt an ihm das Bündel zu schnüren. Es gab kein Zurück mehr. Schon seit langer Zeit gab es eigentlich kein Zurück mehr. Der Würfel war gefallen.
Staatpräsident Zhou Yinhong erhob seine Stimme: „Das Wohl der Kommunistischen Partei ist unauflöslich mit dem Wohl des chinesischen Volkes verbunden. Wir sind die militärische Führung und ich bin der politische Führer dieser Partei. Das Politbüro steht in dieser Sache hinter mir. An uns ist jetzt zu entscheiden.
Über kurz oder lang hat unser Volk keine Zukunft mehr in China. Der Boden hier kann nur noch wenige Menschen ernähren und die Bedingungen zum Leben werden von Tag zu Tag schlimmer. An diesem Ort ist das Schicksal des chinesischen Volkes mit seinem Untergang besiegelt.
Wir befinden uns heute in einer zunehmend verdorrenden Welt, in der die Völker um das nackte Überleben kämpfen. Wie nie zuvor, wird das Recht weiter zu leben bestimmt durch das Recht der Stärke. Heute sind WIR in der Position des Stärkeren. Wäre diese Situation vor hundert Jahren eingetreten, so würde es das chinesische Volk sein, dass dem Untergang geweiht wäre. Wir entscheiden heute, so wie die Europäer vor hundert oder tausend Jahren entschieden hätten. So wie jedes Volk seit dem Anbeginn der Zeit entschieden hätte, nämlich für sein eigenes Überleben zu kämpfen. Und im Kampf darf man weder zögern noch zaudern. Was getan werden muss, wird am besten schnell getan - ohne Zweifel - ohne Aufschub. Hiermit leite ich zur Abstimmung über. Jeder, der für die Durchführung von Operation Heimkehr ist, hebe die Hand.“
Neun Hände gingen nach oben. Yaos blieb unten.
Zhou nickte zufrieden und erhob sich. Alle standen auf.
„Verteidigungsminister Wong, General Yao, ich ordne hiermit an, dass in Übereinstimmung mit dieser Kommission, unverzüglich mit der Operation Heimkehr begonnen wird. Genossen, meine Herren, ich danke ihnen für ihre Arbeit und wünsche uns Allen gutes Gelingen.“
Er neigte sein Kopf vor dem Gremium, trat dann einen Schritt zurück und begab sich zur Tür. So ging er hinaus, und das Schicksal nahm seinen Lauf.
Hamburg Dienstag, 16.09.2025 13:41 Uhr CET
Fan Liling stand mit dem Rücken zum geöffneten Fenster und rauchte. Zigaretten hatten einige Nachteile. Die Zähne wurden gelb und man roch schlecht. Liling dachte immer, nach einer Zigarette würde sie wie eine Gossennutte stinken. Sie konnte so viel Parfum auftragen wie sie wollte, sie wurde diesen abgestandenen, teerigen Geruch nicht los. Aber die Zigarette half beim Denken und beruhigte die Nerven. Deswegen gehörte in der Geheimdienstwelt das Rauchen immer noch zur Arbeit. Fast jeder im Dienst rauchte. Außerdem, konnte es für eine Agentin - je nach Mission - mitunter von Vorteil sein, die Verruchtheit einer Gossennutte an sich zu haben. Heute war so ein Tag.
Liling hatte ihren schwarzen Hosenanzug angezogen. Sie sah damit ein wenig wie eine Kreuzung von Lara Croft und einer Steueranwältin aus. Na ja, vielleicht einen Teil Lara Croft und drei Teile Steueranwältin. Er betonte Lilings tolle Figur, war aber nicht zu sexy und wirkte professionell. Liling hätte damit auch bei einer Investmentbank arbeiten können.
Sie befand sich in einem Sicheren Haus des Chinesischen Militärgeheimdienstes. Das Versteck lag in der Schmuckstraße in Hamburg, einen Steinwurf von der Reeperbahn entfernt. Vor knapp einer Woche war sie gelandet und hatte mit den Vorbereitungen für die Missionen Ouvertüre und Zorn begonnen. Heute Morgen hatte Liling mit ihrem Führungsoffizier, Dù Xue, gesprochen. Er war sichtlich nervös wegen dem Vorfall am Flughafen in Shanghai. Immer wieder hatte er ihr eingebläut: Keine Fehler! Kein Risiko! Es kam Liling so vor, als würde er es bereuen sie als Schlüsseloffizier in einer so wichtigen Mission entsendet zu haben; noch dazu an einem so wichtigen Standort wie Hamburg, mit einem Flughafen und einem großen Frachthafen. Liling war sehr verbittert gewesen. Sie konnte nicht verstehen, was sie falsch gemacht hatte. Sie hatte doch das Risiko mit der fremden Agentin eliminiert. Was bitte schön hätte sie denn anders oder besser machen können? sie versuchte ihre Frustration vor ihrem Chef zu verbergen, damit er nicht noch mehr Vertrauen in sie verlor. Jedenfalls hatte sie ihm versichert, alles sei unter Dach und Fach.
Sie erwartete morgen drei Kuriere aus Singapur mit der biologischen Waffe. Alles hing vom Timing ab. Mission Ouvertüre würde übermorgen, Donnerstag beginnen. Das Ausfahren der Container würde ein Tag benötigen. Die Infektion erfolgte im Laufe der Zeitspanne von Donnerstag auf Freitag. Man plante zwei Tage für die Inkubation ein, sodass sich die meisten Infizierten am Montag krank melden würden.
Mission Zorn würde kommenden Montag europaweit um 10:00 Uhr CET anlaufen und war der Schlüssel zu den folgenden Missionen. Es galt alle Kräfte des Gegners auf Antiterror in den Innenstädten zu konzentrieren, damit keine Kapazitäten für die Flug- und Marinehäfen übrig waren. Acht Stunden nach dem Beginn von Zorn, wenn das Chaos auf dem Höhepunkt war und die meisten Kapazitäten von den Flughäfen abgezogen waren, würde Mission Reservierung anlaufen, die Stürmung und Besetzung von Flug- und Marinehäfen und damit die Vorbereitung der Invasion. Gleichzeitig würde der Schlag gegen die europäische Marine erfolgen. Innerhalb von wenigen Stunden nach Sicherung der Häfen und der Vernichtung der europäischen Seemacht würde die eigentliche Invasion mit der Landung der Expeditionstruppen beginnen.
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